Der Soziologe Lars Meier hat für den UniReport den Film „Contra“ gesehen. In seiner Rezension arbeitet er heraus, dass die „einzelnen gute Taten von Privilegierten“ und die auf Versöhnung hinauslaufende Filmhandlung „strukturelle Dimensionen sozialer Ungleichheiten“ entschuldigten.
Zum Ende des Films „Contra“ hat der Rezensent Tränen in den Augen. Das Happy End wirkt. Auch ich spüre eine Erleichterung darüber, dass der am Anfang des Films rassistisch und klassistisch auftretende Professor im Verlauf des Films geläutert wird und die eigentliche Heldin des Films, die von ihm diskriminierte Studentin, ihm schlussendlich vergibt. Damit erzählt der Film die angenehm konsumierbare Geschichte eines sozialen Aufstiegs, bei dem auch Diskriminierungen kein Hindernis darstellen.
Keine Erklärung für Rassismus
Die erzählte Geschichte schließt an ähnliche Erzählungen an (My Fair Lady-Situation), in denen ein privilegierter weißer Mann einer diskriminierten Frau mit seinem Wissen und Fähigkeiten beim sozialen Aufstieg hilft. Damit verläuft der Film recht erwartbar.
Während seiner Vorlesung am juristischen Fachbereich der Goethe-Universität wird durch eine zuschlagende Tür die Aufmerksamkeit des dozierenden Professors Richard Pohl auf die zu spät kommende Studentin Naima Hamid gerichtet. In dem gefüllten Hörsaal beleidigt Professor Pohl die Studentin offen und mit Nachdruck rassistisch. Die anwesenden Kommilitonen drücken ihre Ablehnung darüber aus, filmen das Geschehen und laden den Film im Internet hoch. Professor Pohl wird daraufhin vor den Disziplinarausschuss der Universität vorgeladen. Der mit ihm befreundete Universitätspräsident möchte Pohl schützen und schlägt ihm zu seiner beruflichen Rettung vor, dass er die rassistisch diskriminierte Studentin auf einen bundesweiten Debattierwettbewerb vorbereitet.
Beide sehen sich, trotz ihrer anfänglichen gegenseitigen Ablehnung, zu einer Zusammenarbeit gezwungen; Pohl, um seine Suspendierung und damit den sozialen Abstieg zu verhindern, und Naima Hamid als Chance für einen beruflichen und sozialen Aufstieg. So kommt es wenig überraschend dazu, dass Naima Hamid durch die Hilfe und die rhetorischen Unterweisungen von Pohl, der dabei ganz bildungsbürgerlich Bezug auf Schopenhauers „Eristische Dialektik“ nimmt, Schritt für Schritt Debattierwettbewerbe gewinnt. Dabei kommt es zu einer Annährung von Pohl und Hamid, diese wird unterfüttert durch Pohls Erzählung des eigenen Unglücks durch den Tod seiner Tochter. Dieser Schicksalsschlag scheint einen Erklärungsversuch für den Zynismus von Pohl zu liefern, sein Rassismus erklärt dies jedoch nicht. Die Annährung wird kurz vor dem großen Finale des Films, dem anstehenden Disziplinarausschuss und dem Finale des Debattierwettbewerbs empfindlich gestört. Hamid erfährt, dass Pohl sie nur unterstützt, um sich selbst zu retten. Nach einer Überredung durch ihren Freund, trotz dieser Kränkung noch am Finale teilzunehmen, ist es dafür jedoch zu spät.
Aber sie vergibt Pohl und unterstützt ihn mit den durch ihn erlernten rhetorischen Fähigkeiten vor dem Disziplinarausschuss der Universität. Zum Schluss des Films kommt es zu einer Aussöhnung und Pohl bedankt sich bei Hamid für ihre Unterstützung.
„Symbolische Gewalt“ gegen Studierende
Fast unerträglich werden beim Zuschauen des Films die rassistischen und klassistischen Diskriminierungen durch Professor Pohl gezeigt, die dabei zuweilen eher als zynische Provokation erscheinen und vielleicht auch so von Pohl gemeint sind. Es sind jedoch nicht nur einfache Meinungen oder Ansichten, denen man im Rahmen der Meinungsfreiheit inhaltlich abwägend ablehnend oder zustimmend gegenübersteht. Die Aussagen haben eine verletzende Wirkung, sie etikettieren, grenzen aus und üben damit eine symbolische Gewalt aus, die mit einer weiteren sozialen Abwertung der so Adressierten einhergeht. Wie im Bericht der Antidiskriminierungsstelle des Bundes deutlich wird, sind auch die Hochschulen Orte, an denen solche Diskriminierungen mittels rassistischer Abwertungen, aufgrund der sozialen Herkunft oder durch Sexismus stattfinden. Dies findet häufiger statt als oft (von denen, die unter solchen Diskriminierungen nicht zu leiden haben) erwartet wird. Verschiedene Studien an Hochschulen zeigen, dass je nach Untersuchung zwischen 9 und 15 Prozent aller Studierenden selbst Diskriminierungen an Hochschulen erlebt haben. In Befragungen von Studierenden mit Migrationserfahrung berichten sogar, je nach Studie, zwischen 11 Prozent und 45 Prozent der Befragten von eigenen Diskriminierungserfahrungen an Hochschulen (Antidiskriminierungsstelle des Bundes 2020: 9). Was für die einen, die Privilegierten, bloß ein interessantes Thema in einem Debattierwettbewerb ist, hat für die anderen, die durch die Diskriminierungen Benachteiligten, dramatische Folgen. Nicht nur in dem psychischen Schmerz während der Adressierung, sondern langfristig als sich eine wiederholende Platzanweisung in eine niedrige soziale Position, die sich in geringeren Bildungs- und Einkommenschancen ausdrückt.
Sozial-räumliche Ungleichheit wird in dem Film zunächst als Kontrast zwischen dem Leben von Hamid und Pohl dargestellt, sei es in der Sprache oder in den Essenspraktiken. Die beiden unterschiedlichen sozialen Räume, die spektakulär ins Bild gesetzten bildungsbürgerlichen und altehrwürdigen Universitätsgebäude, der in noblen Restaurants dinierende Professor werden in dem Film kontrastiert zu der engen dunkleren Wohnung, in einer vorstädtischen Hochhaussiedlung, in der Naima Hamid mit ihrer Familie lebt. Während der Professor sich in dem Film ausschließlich seiner Arbeit an der Universität widmet, muss Hamid neben dem Studium noch Erwerbs- und Sorgearbeit in ihrer Familie übernehmen.
Die dargestellte soziale Ungleichheit und die Diskriminierungen, die Hamid zu erleiden hat, werden in dem Film aufgelöst durch den erfolgreichen Aufstieg und die neuen Fähigkeiten von Naima Hamid. Damit nährt der Film auch eine Illusion, nämlich die, dass sich manifeste Strukturen sozialer Ungleichheit durch einzelne gute Taten von Privilegierten überwinden lassen -, und zwar ohne das diese dabei ihre Privilegien aufgeben müssen. Dies bekräftigt die Auffassung, dass es Einzelne eben doch schaffen können und entschuldigt so strukturelle Dimensionen sozialer Ungleichheiten. Wer es also letztlich doch nicht schafft, die persönliche Erniedrigung wegzustecken und trotz aller Hindernisse Karriere zu machen – ist selbst schuld? Am Ende des Films wird so die Anrührung des Rezensenten und das Einschleichen eines wohligen Gefühls darüber, dass die sozialen Grenzen in dem Film für Hamid überwindbar sind, gestört von dem bitteren Wissen des Soziologen, dass Rassismus sozial sehr wirkungsvoll ist, Klassengrenzen weniger überschreitbar geworden sind und soziale Aufstiegserwartungen sich weniger realisieren.
Der Autor Prof. Dr. Lars Meier ist Professor für Soziologie Sozialer Ungleichheit an der Goethe-Universität. (Foto: Privat)
Dieser Beitrag ist in der Ausgabe 6/2021 (PDF) des UniReport erschienen.