Das Symbol des Holocaust

Erinnerungskultur aus transnationaler Perspektive: Studierende und Dozierende des Faches Erziehungswissenschaften auf Exkursion zum Staatlichen Museum Auschwitz.

Eingang des Stammlagers in Oświęcim. Foto: Sandra Binnert

Im Dezember reisten Bachelor-Studierende der Erziehungswissenschaften auf Exkursion nach Polen, organisiert von Sandra Binnert vom Fachbereich Erziehungswissenschaften. Begleitet wurde die Gruppe von Prof. Dr. Wolfgang Meseth, Susanne Thimm, Julia Kaufmann, Johanna Christ und Jonas Riepenhausen sowie vor Ort von Dr. Andreas Kahrs (Geschäftsführer von what matters.), der eine historische Weiterbildung der Gruppe ermöglichte. Die Exkursion nach Oświęcim und Krakau bot den Studierenden Einblicke in die Bedeutung von Erinnerungskultur aus transnationaler Perspektive und ermöglichte eine tiefere Reflexion über den Holocaust und seine Relevanz für heute. Vorbereitungsseminare thematisierten pädagogische Herausforderungen der Gedenkstättenarbeit sowie erziehungswissenschaftliche Perspektiven auf Erinnerungskultur, die vor Ort vertieft wurden. Der Besuch der Gedenkstätte Auschwitz-Birkenau und der Internationalen Jugendbegegnungsstätte zeigt, wie eng Erinnerungskultur mit historisch-politischer Bildung verknüpft ist.

Von der Idee zur Umsetzung

Sandra Binnert arbeitet im Projekt ELLVIS (Erfolgreich Lehren und Lernen – Vielfalt und Internationales im Studium). In ihrer Dissertation beschäftigt sie sich mit Holocaust- und Lagerliteratur, sodass in ihr die Idee reifte, eine Exkursion zum Thema zu planen. „Mein Ansatz war, politische Bildungsarbeit mit Internationalisierung zu verknüpfen: Wie verändern sich unsere Einstellungen, wenn wir auf die Erinnerungsarbeit eines anderen Landes treffen?“ Im Lehr- und Forschungsforum ‚Erziehung nach Auschwitz‘ bekam Binnert dafür viel positive Resonanz. Angedacht war nicht nur ein Besuch des Staatlichen Museums Auschwitz-Birkenau, das sich auf dem Gebiet der polnischen Stadt Oświęcim befindet und die Anlagen der Konzentrationslager KZ Auschwitz I sowie KZ und Vernichtungslager Auschwitz-Birkenau (auch Auschwitz II) umfasst. Ebenso war ein ergänzender Besuch in Krakau geplant, mit Führungen zum Thema Ghetto und Besatzungspolitik sowie über das ehemalige Konzentrationslager Plaszow. Anträge zur Förderung wurden gestellt, um den Studierenden eine möglichst kostengünstige Teilnahme zu ermöglichen, mit einem niedrigen Eigenanteil. Die Studierenden bewarben sich mit einem Motivationsschreiben, insgesamt konnten 22 an der Exkursion teilnehmen.

Nachdem die Förderung in trockenen Tüchern war, konnte die inhaltliche Vorbereitung losgehen, zwei Vorbereitungsseminare wurden dafür angesetzt. Jonas Riepenhausen, Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Fachbereich Erziehungswissenschaften und auch Teilnehmer der Exkursion: „Zur Vorbereitung gehörte auch ein Besuch von Prof. Michel Friedman, der den Studierenden Interessantes über die Geschichte seiner Familie berichtete. Seine Eltern und Großmutter gehörten zu den sogenannten ‚Schindler-Juden‘, die in der Fabrik des Unternehmers arbeiteten und dadurch einen gewissen Schutz hatten. Nach der NS-Zeit gab es enge Kontakte zwischen beiden Familien. Über Michel Friedmans Familie zu hören, war für unsere Exkursion eine von vielen engen thematischen Verbindungen von Frankfurt nach Krakau und zu den damaligen Auschwitz-Lagern.“ Susanne Thimm, ebenfalls Kollegin am Institut für Allgemeine Erziehungswissenschaft, weist auf einen weiteren Bezug zu Frankfurt und damit auch zur Geschichte des Campus Westend hin: „Das dritte, vielleicht etwas weniger bekannte Lager in Oświęcim stand in Monowice, das KZ Buna-Monowitz, das auch ‚Auschwitz III‘ genannt wird. Dort befand sich das firmeneigene Konzentrationslager des IG-Farben-Konzerns.“ Auf dem Campus Westend erinnert seit 2008 das Wollheim Memorial an die Verbrechen, an denen die IG-Farben-Industrie beteiligt war, und an die im Lager ermordeten Menschen aus fast allen europäischen Ländern. „Die Fahrt hat es auf eindrückliche Weise möglich gemacht, sich auch im Detail mit den verstörenden und komplexen Zusammenhängen der Vernichtung der europäischen Juden zu beschäftigen“, hebt Wolfgang Meseth, Professor für Erziehungswissenschaften und Leiter des Lehr- und Forschungsforums ‚Erziehung nach Auschwitz‘, hervor. Es sei wichtig, fügt Meseth hinzu, „die vielfältigen geschichtspolitischen Interessen im Umgang mit der NS-Geschichte von fachwissenschaftlichen Erkenntnissen der Holocaustforschung zu unterschieden“. Diesen Erkenntnisprozess anzustoßen und fachlich zu begleiten, war ein wichtiges Ziel dieser Exkursion.

Wie kann man Erfahrungen verarbeiten?

Zum Konzept der Exkursion gehörte, dass die teilnehmenden Studierenden sich einen eigenen thematischen Schwerpunkt suchen. Michel, Student der Soziologie mit dem Nebenfach Erziehungswissenschaft, hatte sich im Vorfeld aus seinem großen Interesse an der Frankfurter Schule und ihrer intensiven Beschäftigung mit Holocaust und Faschismus vorgestellt, im Rahmen der Exkursion die Bezüge zum heutigen Rechtsradikalismus herauszuarbeiten. Doch die intensiven Erfahrungen vor Ort haben ihn umgestimmt: „An die Stelle meines ursprünglichen Themas ist die historische Dimension des Holocausts getreten, die mich viel mehr in den Bann gezogen hat.“

Pauline, die Erziehungswissenschaft im Hauptfach studiert, hatte sich ursprünglich einen ganz anderen Ansatz vorgenommen, die Erfahrungen und Erkenntnisse der Exkursion zu verarbeiten: „Von den Vorbereitungstreffen wusste ich, dass wir gerade in der Gedenkstätte Auschwitz-Birkenau auf einen sehr vielfältigen Ort treffen werden: auf einen Friedhof, einen Gedenkort, ein Museum und einen Lernort zugleich. In der Kulturanthropologie ist der ethnographische Ansatz eine Forschungsmethode, bei der die Forschenden über teilnehmende Beobachtung mit ihrer Umwelt verbunden sind. Bei dem von mir gewählten autoethnographischen Ansatz legt man in gewisser Weise den Fokus auf sich selbst.“ Doch angesichts des dichten und auch die ganze Aufmerksamkeit der Teilnehmenden in Anspruch nehmende Programms musste sie Abstand von der ambitionierten Methode nehmen. 

Erinnerungsorte und ihre Didaktik

Beide Studierenden berichten von vielfältigen, intensiven, manchmal auch widersprüchlichen Eindrücken, über die sie viel nachdenken mussten. Michel kommt sofort auf ein merkwürdiges Nebeneinander in der Stadt Oświęcim zu sprechen: „Man kommt am stark frequentierten zentralen Busparkplatz vom Besucherzentrum der Gedenkstätte an, gleich daneben liegt das ehemalige Stammlager. Eine Massenabfertigung dann auch im Staatlichen Museum, das jedes Jahr Millionen von Menschen anlockt; es folgt dann eine Führung, deren Text für jede Besuchergruppe mehr oder minder gleich ist. Das hat natürlich auch mit sehr umfangreichen und komplexen transnationalen Aushandlungsprozessen zwischen den verschiedenen Opfergruppen zu tun, irritiert aber schon.“

Am einige Kilometer außerhalb des Stadtzentrums gelegenen ehemaligen Vernichtungslager Auschwitz-Birkenau, sagt Michel, habe er dann viele Dinge begreifen lernen können. Ausgerechnet das ikonische Einfahrtsgebäude war aber gerade nicht komplett zu sehen, da es wegen der Vorbereitung der Feierlichkeiten am 27. Januar, dem Jahrestag der Befreiung von Auschwitz, mit einem Zelt überdacht wurde.

Pauline fand die Gedenkstätte in Plaszow (Krakau), an der anstelle nicht mehr vorhandener Gebäude mit Umrissen davon und mit Texttafeln gearbeitet wird, dennoch sehr eindringlich. „Hat sicherlich auch damit zu tun, dass dort viel weniger Besucher unterwegs waren und man somit nicht den Eindruck hatte, irgendwo durchgeschleust zu werden. Vielleicht ist das auch nur mein subjektiver Zugang, da wir im Vorhinein schon viel Faktenwissen über die Lager erworben hatten. Anderen Besuchern mag etwas gefehlt haben.“ Beide Studierenden sehen rückblickend einen großen Vorteil darin, in einer Gruppe die Gedenkstätten besucht zu haben: Nach den Besichtigungen kam man abends nochmal zu Reflexionsrunden zusammen, in denen das Erlebte und Beobachtete gemeinsam mit der Gruppe reflektiert werden konnte. „Mir ist auch erst so richtig in unserem Seminar bewusst geworden, wie Auschwitz überhaupt zum Symbol des Holocaust geworden ist, wie unterschiedlich auf diesen Gedenkort aus deutscher und aus polnischer Sicht geblickt wurde und wird“, sagt Pauline.

Pädagogische Erfahrungen und Reflexionen

Sandra Binnert betont, dass aus erziehungswissenschaftlicher Sicht die historische Beschäftigung mit den Verbrechen des Holocaust immer auch untrennbar mit der Reflexion der eigenen Vermittlungsarbeit verknüpft ist. „Anhand der Erfahrungsberichte von Pauline und Michel haben wir sehen können, wie der Besuch dieser Gedenkorte Fragen anregt und aufwirft: Was möchte man davon als angehender/angehende Pädagoge/Pädagogin mitnehmen, was würde man davon verwenden, was würde man vielleicht aber auch anders machen?“ Ihre Kollegin Susanne Thimm betont die Bedeutung auch für die Dozierenden des Faches: „Als Pädagogin und Wissenschaftlerin habe ich ganz individuelle Bezüge zur geschichtlichen Erkenntnis: Was macht diese Erfahrung mit mir, was kann ich bei den anderen Besucher*innen der Gedenkstätte beobachten? Den sozialen Aspekt einer solchen Exkursion sollte man nicht unterschätzen.“ Jonas Riepenhausen ergänzt: „Ich fände es überhaupt gut, wenn alle Studierenden der Goethe-Universität – egal aus welchem Fach – einmal die Chance erhielten, an einer solchen Exkursion teilzunehmen. Das wäre gerade in Zeiten von zunehmendem Rassismus und Antisemitismus, aber auch vor dem Hintergrund der Geschichte dieses Campus, ein wichtiges Signal.“

Gefördert haben die Exkursion: Freunde und Förderer der Goethe-Universität; DAAD/Promos; Hessische Landeszentrale für politische Bildung, Dr. Andreas Kahrs, Geschäftsführer von what matters.; QSL-Projektmittel Lehre.

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