Ein Lehrforschungs-Projekt des Kunstgeschichtlichen Instituts zum Thema „längeres Leben“
Der Wunsch nach ewiger Jugend und Unsterblichkeit ist tief in der menschlichen Existenz verankert und findet sich kulturübergreifend in Text- und Bilddarstellungen von der Antike bis zur Gegenwart. Ursprünglich in Mythos und Glauben angesiedelt, finden die Vorstellungen durch neue wissenschaftliche Erkenntnisse und Technologien heute verstärkt Eingang in künstlerisches Schaffen. Bahnbrechende Erkenntnisse in Molekular- und Neurobiologie, Gen- und Informationstechnologie stellen völlig neue Möglichkeiten eines längeren und gesünderen Lebens oder gar der Überwindung des Todes in Aussicht.
Vor diesem Hintergrund verändern sich nicht nur die künstlerische Auseinandersetzung mit Vorstellungen von „Leben“, „Natur“ oder der Grenzziehung zwischen Mensch und Maschine, sondern auch die künstlerischen Produktionsstrategien: Unter dem Schlagwort der ArtScience-Kollaborationen findet künstlerisches Schaffen immer häufiger in Zusammenarbeit mit Wissenschaftlern unterschiedlichster Disziplinen direkt im Labor statt. Die dabei entstehenden künstlerischen Werke bewegen sich jenseits tradierter Vor- und Darstellungen bildender Kunst und markieren damit eine Entwicklung, die Rahmen, Inhalt und Kontext kunstwissenschaftlichen Arbeitens beeinflusst und erweitert.

Das auf zwei Semester angelegte Projekt von Prof. Dr. Viola Hildebrand-Schat und Heike Sütter am Kunstgeschichtlichen Institut widmet sich dieser Entwicklung. Im Wintersemester 2024/25 stand die Auseinandersetzung mit zeitgenössischen künstlerischen Positionen zur Idee des ewigen Lebens und ihre Kontextualisierung im Mittelpunkt. Diese Auseinandersetzung bildet die Wissensbasis für den anschließenden praktischen Teil des Projektes im Sommersemester 2025. Er widmet sich der Konzeption einer Artist in Residency – ein Pilotprojekt, das in Kooperation mit dem Centre for Healthy Aging (CHA), einem Zentrum, das Forschungsgruppen auf dem gesamten Campus der Universität Mainz verbindet, und dem Kunsthaus Wiesbaden Mitte 2025 starten soll. „Wir möchten den Studierenden damit einen Einblick in ein wachsendes Berufs- und Forschungsfeld geben, das sich durch Interdisziplinarität und Zukunftsorientierung auszeichnet“, sagt Heike Sütter. „Angesichts des sich verändernden Kunstverständnisses sind solche Erfahrungen für die berufliche Laufbahn wichtiger denn je und eine notwendige Ergänzung zur akademischen Ausbildung“, ergänzt Viola Hildebrand-Schat.
Ewiges Leben – vom Jungbrunnen zum Posthumanismus
Der erste Teil des Lehrforschungsprojektes (WS 2024/25) widmete sich der Fundierung der künstlerischen Auseinandersetzung mit Unsterblichkeit und Langlebigkeit. Nach einem kurzen kulturhistorischen Streifzug durch Topoi der mythologischen Unsterblichkeit und des Jungbrunnens lag der Schwerpunkt auf neueren und neuesten Werken an der Schnittstelle zu Natur- und Informationswissenschaften. In diesem Zusammenhang wurden zentrale Arbeiten – wie etwa von Lynn Hershman Leeson oder Sommerer & Mignonneau – diskutiert und breit kontextualisiert. Naturwissenschaftliche Forschungsansätze wurden ebenso behandelt wie philosophische Hintergründe und psychologische, ethische, politische und ökonomische Überlegungen. Neben der Erarbeitung der komplexen Inhalte ist es Ziel des Seminars, kurze Texte zu den diskutierten Werken zu verfassen, die als Begleitmaterial für das Residency-Projekt und einer Abschlussausstellung genutzt werden können. Die Unterstützung durch KI-Angebote wie ChatGPT ist dabei ausdrücklich erlaubt.
Spätestens seit Ende der 1980er Jahre entwickelte sich mit der BioArt und der Artificial Life Art eine Disziplin, die mittlerweile fest in der Kunst verankert ist und vom Austausch mit Natur- und Technowissenschaften profitiert. Tatsächlich aber wurden Vorstellungen von Wiedererweckung der Toten und die Auffassung, der Tod sei nur eine Schwachstelle in der Konstruktion der Menschheit, die durch Technologie und Fortschritt überwunden werden kann, bereits zu Beginn des 20. Jahrhunderts von russischen Philosophen und Wissenschaftlern wie Nikolai Fëdorov oder Alexander Bogdanov unter dem Stichwort „Biokosmismus“ diskutiert. Ähnlich lassen sich Mensch-Maschine-Konzepte, wie sie u. a. im Cyborg, in Körperextensionen und Prothetik Ausdruck finden, auf die Maschinenkunst im 18. Jahrhundert zurückführen, die nicht nur die biologische Verdauung vorspiegelnde Ente von Vaucanson hervorbrachte. Der Übergang zur Kybernetik, computergesteuerten Prozessen und schließlich KI-Systemen nährte die Vorstellung, das Gehirn als Zentrum von menschlichem Leben von der sterblichen Hülle des Körpers zu befreien und per Hirnupload weiterleben zu können.
Ebenfalls bereits in den 1980er Jahren griffen Künstler wie Stelarc oder Orlan Themen wie Selbstoptimierung oder Human Engineering auf. Fand dies noch überwiegend auf der körperlich sichtbaren Ebene statt, richten aktuelle Positionen wie Heather Dewey Hagborg oder Anna Dumitriu ihren Blick auf die mikroskopische Dimension der Stammzellen oder Gene. Anknüpfungspunkte der Alternsforschung – Zellen, Proteine, Gene, aber auch Organismen wie Quallen, Seeschnecken oder Archaeen – werden zum künstlerischen (Forschungs-)Material. Mit spekulativen Forschungsansätzen rücken zunehmend auch posthumanistische Positionen und mit ihnen nichtmenschliche Akteure in den künstlerischen Blick. Diese Perspektive verknüpft sich mitunter mit einer deutlichen Anthropozentrismus- und Gesellschaftskritik und bezieht ökologische Aspekte mit ein. So setzt sich etwa Robertina Šebjanič mit der Qualle als einem resilienten Lebewesen auseinander und fragt nach den Möglichkeiten der Schaffung eines ewig lebenden, biokybernetischen Organismus.
Viele der untersuchten künstlerischen Arbeiten sind im Rahmen von Artist-in-Residency-Projekten entstanden. Am Abschluss des Wintersemesters stand die genauere Betrachtung der Ausschreibungen zu diesen Projekten, die damit ebenfalls den Übergang zum Praxisteil markierte. Analysiert wurde, welche Informationen und Angaben eine Ausschreibung enthalten sollte und wie das Grundgerüst eines entsprechenden Textes für die mit dem CHA und Kunsthaus Wiesbaden aufzusetzende Residency aussehen kann. Hierzu wurden Dr. Ralf Dahm (Leiter Wissenschaftsmanagement des CHA) und Monique Behr (Referatsleiterin Bildende Kunst und Leiterin des Kunsthauses Wiesbaden) eingeladen, die über die Ziele und Rahmenbedingungen einer Artist Residency an ihren Häusern berichteten und den Studierenden einen ersten Einblick in die organisatorischen Aufgaben vermittelten.
Ausblick 2025: Live Long and Prosper – Vorbereitung einer Künstlerresidenz
Der sich im Sommersemester 2025 anschließende Teil des Lehrforschungsprojektes widmet sich unter dem Arbeitstitel „Live Long and Prosper“ der Konzeption und Etablierung einer Artist in Residency. Hier wird erarbeitet, welche Ziele und Erwartungen aus wissenschaftlicher, kuratorischer und künstlerischer Sicht und unter Berücksichtigung von Diversitätsaspekten mit einem Residency-Projekt verbunden sind. Hinzu kommt die Ideenentwicklung, Konzeption und Planung von Maßnahmen zur Kommunikation, Dissemination und Bewerbung der Ausschreibung. Dem schließen sich die Planung und Vorbereitung eines Jurymeetings und Künstlerkolloquiums an. Im Rahmen des Seminars werden ebenfalls Besuche und Arbeitstreffen am CHA in Mainz und dem Kunsthaus Wiesbaden stattfinden. Theorie, Praxis und interdisziplinäres Arbeiten werden so miteinander verbunden. Bei den Studierenden ist das Projekt bislang auf eine gute Resonanz gestoßen – so gut, dass sich eine Gruppe gebildet hat, die eine Exkursion zum Thema organisieren wird. „Nach intensiver Auseinandersetzung im Seminar sind wir auf spannende Ausstellungen und Installationen in und um München zum Thema Mensch und Maschine und dem Streben nach ewigem Leben gestoßen. Wir freuen uns darauf, weitere künstlerisch-wissenschaftliche Perspektiven und kuratorische Ansätze zu erkunden und unser Verständnis dafür zu vertiefen“, berichtet Pauline Söhngen, eine der Studierenden.