Ein einfacher Schrank im Naturkundlichen Museum der agrarwissenschaftlichen Fakultät der Universität von Santa Cruz (Bolivien), in dem weit mehr als hundert Pilze teils ohne Namensschild durcheinanderliegen, teils vor sich hin schimmeln – mit deutschen Verhältnissen muss die Situation der Pilzkunde in Bolivien gar nicht verglichen werden, damit man erkennt:
Hier steckt die Mykologie noch ganz in den Kinderschuhen. „Während es für bolivianische Botaniker einige sehr umfangreiche und gut geordnete Pflanzensammlungen gibt, ist in der Mykologie noch jede Menge Pionierarbeit zu leisten“, sagt die Frankfurter Biologieprofessorin Meike Piepenbring. „Eine nationale mykologische Gesellschaft existiert in Bolivien bislang nicht, und es hat sich dort noch kaum herumgesprochen, dass Pilze ernährungsphysiologisch sehr wertvoll sind, so dass sie eine ökologisch sinnvolle Alternative zu Fleisch darstellen.“
Was es in Bolivien aber sehr wohl gibt, sind einzelne Pilz-Enthusiasten. So etwa Daniela und Telma, die vor kurzem ihr Biologiestudium mit der „Licenciatura“ ( vergleichbar dem Bachelor) abgeschlossen haben und auf die Idee kamen, sich in einem einmonatigen Mykologie-Kurs intensiv mit dem Vorkommen und mit den Anwendungsmöglichkeiten bolivianischer Pilze zu beschäftigen. Die beiden jungen Frauen kannten Piepenbrings Beitrag zu einem Buch über die bolivianische Biodiversität.
Ein mit Daniela und Telma bekannter US-amerikanischer Mykologe vermittelte ihnen auf einer Tagung in Peru den Kontakt zu Piepenbring. „Natürlich habe ich kurz gezögert, weil in diesem Monat meine sonstige Arbeit liegenbleiben würde. Aber weil ich gerade ein Forschungssemester habe, ließ sich der Kurs in Bolivien mit meinen Verpflichtungen an der Goethe-Universität vereinbaren“, berichtet Piepenbring.
Förderung durch den DAAD
Dankenswerterweise habe der Deutsche Akademische Austauschdienst (DAAD) ihre Reise nach Bolivien finanziell gefördert, „also konnte ich Daniela und Telma zusagen. Ich war nämlich von der Idee begeistert, meine Kenntnisse an ein Land weiterzugeben, in dem es für Mykologen noch so viel zu tun gibt“, sagt Piepenbring. „Was Pilze angeht, hat dieses Land ein riesiges Potenzial, und indem ich mich an der Ausbildung von Mykologinnen und Mykologen beteilige, kann ich dazu beitragen, dass Bolivien dieses Potenzial ausschöpft, ökonomisch und ökologisch.“
Ungefähr ein Jahr später waren aus rund 30 Bewerbungen insgesamt 19 ausgewählt, und Daniela, Telma sowie 17 weitere Teilnehmer – fortgeschrittene Studierende, Graduierte, (Post-)Doktoranden und Lehrkräfte – trafen sich an der Uni von Santa Cruz. Pilze sammelten sie zunächst im Botanischen Garten von Santa Cruz, später auch auf landwirtschaftlich genutzten Flächen nahe der Universität und während einer Exkursion in tropischem Tieflandswald nordwestlich von Santa Cruz. Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer sammelten große und kleine Pilze, am Boden, an Holz oder parasitisch auf Pflanzen lebend.
Von den „erbeuteten“ Pilzen fertigten sie Schnitte an, die sie unter dem Mikroskop betrachteten, zeichneten, bestimmten und entsprechend der mykologischen Systematik in Gruppen klassifizierten. Dabei habe die ganze Zeit eine wunderbar produktive und hoch motivierte Stimmung unter den Teilnehmerinnen und Teilnehmern geherrscht, berichtet Piepenbring, „obwohl sie sich größtenteils erst durch den Kurs kennengelernt haben. Sie kamen ja aus verschiedenen Städten Boliviens, in zwei Fällen sogar aus Brasilien beziehungsweise Chile.“ Natürlich hätten alle ganz verschiedene Erfahrungen mitgebracht, aber deswegen sei es nicht etwa zu Spannungen gekommen, vielmehr hätten sich alle entsprechend ihren eigenen Möglichkeiten gegenseitig unterstützt.
„Das war ausgesprochen wichtig“, kommentiert Piepenbring, „sonst könnte man eine 19-köpfige Gruppe nicht angemessen betreuen.“ Außerdem habe ihr geholfen, dass sie schon einmal zwei Jahre als Dozentin in Panama verbracht habe, so dass sie auf spanischsprachige Lehrmaterialien zurückgreifen konnte. Trotzdem sei der einmonatige Kurs in Bolivien äußerst aufwendig gewesen. „Viele Teilnehmerinnen und Teilnehmer brachten nämlich schon umfangreiche Vorkenntnisse mit in den Kurs“, erläutert Piepenbring, und entsprechend anspruchsvoll sei es für sie gewesen, den Kurs abzuhalten.
Schwierige Pilzzucht in den Tropen
„Da war zum Beispiel eine Teilnehmerin, die zusammen mit ihrer Mutter Speisepilze anbaut“, berichtet Piepenbring. Allerdings sei es technisch nicht leicht, unter tropischen Bedingungen Pilze zu züchten, weil die Pilze, die sich gut kultivieren ließen, so etwa Austernseitling und Shiitake, für ihr Wachstum relativ niedrige Temperaturen brauchten. „Weder durch diese Schwierigkeiten noch durch die nervenaufreibende Auseinandersetzung mit bolivianischen Bürokraten hat sich diese Frau von der Pilzzucht abbringen lassen, so dass sie heute erfolgreich eine Pilzfarm betreibt und mit deren Ertrag mehrere Restaurants beliefert“, schildert Piepenbring.
Und nicht nur durch solche menschlich beeindruckenden Erlebnisse habe sich der Aufenthalt in Bolivien für sie gelohnt. Zugleich habe sie ihr Spektrum didaktischer Methoden erweitert, sagt Piepenbring, beispielweise indem sie verschiedene Spiele ausprobiert habe, um die Taxonomie und Merkmale der Pilze mit ihren vielen Ordnungen, Gattungen und Arten zu vermitteln. „Dabei habe ich auch selbst dazugelernt. Neu waren für mich nicht nur einige Pilzarten, sondern auch botanische Zusammenhänge bei den Pflanzen, die parasitisch wachsenden Pilzen als Wirte dienen“, zählt Piepenbring weiter auf.
„Was man auch nicht unterschätzen sollte: Ich kenne in Bolivien jetzt die Verwaltungsstrukturen und weiß, an wen wir uns bei zukünftigen Forschungsreisen wenden müssen, wenn wir Kooperationspartner suchen oder wenn wir die Sammel- und Exporterlaubnis für Pilze brauchen“, fährt sie fort. „Und last, but not least: Wahrscheinlich haben wir nicht nur mehrere Pilze erstmals in Bolivien nachgewiesen, sondern auch für die Wissenschaft zwei neue Pilzarten entdeckt.“
Stefanie Hense
Dieser Artikel ist in der Ausgabe 3.19 des UniReport erschienen.