Mit der Chagas-Krankheit kann man sich eigentlich nur in Lateinamerika infizieren, denn die Wanzenarten, die die Krankheit übertragen, kommen nur dort vor. Wissenschaftler der Goethe-Universität und der Senckenberg Gesellschaft für Naturforschung haben jetzt anhand ökologischer Modellrechnungen getestet, inwieweit sich Habitate auch außerhalb Amerikas für die Wanzen eignen. Das Ergebnis: Für zwei Chagas-Wanzenarten herrschen auch im südlichen Europa günstige klimatische Lebensbedingungen, für eine weitere entlang der Küsten Afrikas und Südostasiens. Die Frankfurter Wissenschaftler fordern daher ein aufmerksames Beobachten der aktuellen Verbreitung der Chagas-Wanzen.
Meist verläuft die akute Phase der Tropenkrankheit Chagas (Amerikanische Trypanosomiasis) unauffällig: Nur in jedem dritten Fall verursachen die infizierenden Parasiten (Trypanosoma cruzi) überhaupt Symptome, die dann auch noch unspezifisch sein können, wie Fieber, Nesselsucht und geschwollene Lymphknoten. Doch die Parasiten bleiben im Körper, und mehrere Jahre später kann die chronische Chagas-Krankheit lebensbedrohlich werden, mit einer krankhaften Vergrößerung des Herzens und einer fortschreitenden Lähmung des Magen-Darm-Trakts. Eine Impfung gegen die Chagas-Krankheit gibt es nicht. Weltweit sind nach Schätzungen der WHO etwa 6 bis 7 Millionen Menschen infiziert, wobei der Großteil in Lateinamerika lebt (ca. 4,6 Millionen), gefolgt von den USA mit über 300.000 und Europa mit ca. 80.000 infizierten Menschen.
Die Chagas-Parasiten werden durch Blut saugende Raubwanzen übertragen, die den Erreger mit dem Blut aufnehmen. Nach einer Entwicklungszeit im Darm der Raubwanzen werden die Parasiten mit dem Kot ausgeschieden. Durch den starken Juckreiz, den der Stich der Wanzen auslöst, wird der hochinfektiöse Kot versehentlich in die Wunde gerieben. Auch eine Übertragung durch orale Aufnahme von mit Raubwanzenkot kontaminiertem Essen ist möglich.
Forscher um die Frankfurter Parasitologen und Infektionsbiologen Fanny Eberhard und Prof. Dr. Sven Klimpel haben in Modellrechnungen untersucht, welche klimatischen Bedingungen auf der Welt günstig für lateinamerikanische Chagas-Wanzen sind. Dabei flossen insbesondere Temperatur und Niederschlagsmuster in die Berechnung der klimatischen Eignung eines Gebiets ein. Die Wissenschaftler konnten zeigen, dass heute neben Lateinamerika auch Zentralafrika und Südostasien geeignete Lebensbedingungen für Chagas-Wanzen bieten. Zwei der Chagas-Wanzenarten, Triatoma sordida und Triatoma infestans, finden mittlerweile in klimatisch gemäßigten Regionen im südlichen Europa gute Lebensumstände, wie zum Beispiel in Portugal, Spanien, Frankreich und Italien. Beide Wanzenarten übertragen in Lateinamerika sehr häufig die gefährlichen Parasiten und sind dort innerhalb oder in der Nähe von Häusern und Ställen zu finden, wo sie ihre nächtlichen Blutmahlzeiten bevorzugt von Hunden, Hühnern oder Menschen einnehmen.
Eine andere Chagas-Wanzenart, Triatoma rubrofasciata, ist bereits außerhalb Lateinamerikas nachgewiesen worden. Die Modellrechnungen der Frankfurter Wissenschaftler sehen geeignete Lebensbedingungen an weiten Teilen der afrikanischen und südostasiatischen Küsten.
Prof. Dr. Sven Kimpel erklärt: „Es leben in Europa zwar Menschen, die in Lateinamerika mit Chagas infiziert wurden und unwissentlich Träger von Trypanosomacruzi sind. Auf andere Menschen übertragen werden kann der Parasit jedoch derzeit nur zum Beispiel über ungetestete Blutkonserven oder von einer Mutter auf ihr ungeborenes Kind. Ansonsten benötigt Trypanosoma cruzi Chagas-Wanzen als Zwischenwirt. Und diese Wanzen finden zunehmend günstige klimatische Bedingungen auch außerhalb Lateinamerikas. Ausgehend von unseren Daten wären daher Monitoring-Programme für die Verbreitung der Chagas-Wanzen denkbar. Ebenso könnte eine Meldepflicht für die Chagas-Krankheit hilfreich sein.“
Publikation: Fanny E. Eberhard, Sarah Cunze, Judith Kochmann, Sven Klimpel. Modelling the climatic suitability of Chagas disease vectors on a global scale. eLife 2020;9:e52072 doi: 10.7554/eLife.52072, https://elifesciences.org/articles/52072