Verschollen geglaubte Stuckfragmente in der Altorientalischen Sammlung entdeckt.
Der englische Archäologe Dr. St John Simpson staunte, als er die zehn Kartons im Stahlschrank der Altorientalischen Sammlung im archäologischen Institut der Universität erstmals sah. Mit dem Inhalt dieser Kartons hatte er nicht gerechnet, denn diese Funde galten als verschollen.

Dr. Simpson ist Hauptkurator am Department of the Middle East des British Museum in London, sein Spezialgebiet ist die Archäologie des Iran und benachbarter Regionen in den sogenannten Spätzeiten, insbesondere der sasanidischen bis frühislamischen Epochen des ersten Jahrtausends nach Christus. Derzeit ist Simpson Fellow der VolkswagenStiftung und hält sich zu Forschungszwecken in Frankfurt auf. In den besagten Kartons befanden sich Fragmente von Stuckdekor aus der Zeit der Sasaniden (224–637 n. Chr.) aus Palästen im Umfeld der sasanidischen Hauptstadt Ktesiphon, etwa 35 Kilometer vom heutigen Bagdad entfernt. In der Zeit von 1928 bis 1931 war Ktesiphon Ziel einer deutschen Ausgrabungsexpedition, deren Funde zwischen den Museen in Bagdad, Berlin, New York und London aufgeteilt worden waren. Über diese Funde wurde wenig publiziert, und ein Großteil der originalen Grabungsdokumentation ist heute kriegsbedingt verloren. Umso überraschter war Dr. Simpson, der die bisher bekannten Funde bereits untersucht hat, nun in Frankfurt auf Stuckreste von eben diesem Fundort zu stoßen.
Die Fragmente waren durch den ersten Vertreter des Faches Vorderasiatische Archäologie in Frankfurt, Professor Friedrich Wachsmuth, 1943 nach Frankfurt in die Altorientalische Sammlung gelangt. Bauforscher Wachsmuth war 1928/29 sowie 1931/32 an den deutschen Ausgrabungen in Ktesiphon beteiligt und hatte in der zweiten Kampagne die technische Leitung inne. Von dieser muss er die Stuckfragmente mit nach Deutschland gebracht haben. Wie Selim Pascal Zillich-Ünal bereits 2018 in seiner Bachelor-Hausarbeit am Institut für Archäologische Wissenschaften dargelegt hat, gehören die Fragmente zu Wandpanelen und zeigen Ranken- und Blattwerk-Schmuck. Ein größeres Fragment gehörte offenkundig zu einer Halbsäule beziehungsweise verkleidete ein Gebälk, ein weiteres größeres Blattfragment war mutmaßlich Teil eines „Scheinfensters“. Insgesamt elf handtellergroße Fragmente aus verschiedenen Gebäuden in Ktesiphon befinden sich heute in Frankfurt und stammen aus dem Schutt dieser Gebäude.
Abgesehen von dieser studentischen Hausarbeit sind die Frankfurter Fragmente bislang unpubliziert geblieben und insofern für die Forschung unsichtbar. Dr. Simpsons Interesse gilt insbesondere auch der Farbigkeit solcher Stuckarbeiten, die aber leider auch auf den Frankfurter Fragmenten kaum erhalten ist. So befand sich auf dem gröberen Gipsputz ursprünglich ein feiner weißer, dünner Überzug, der in der Antike farbig bemalt war. Dieser Überzug ist auch an den Frankfurter Stücken weitestgehend abgeplatzt, die Farbe verloren. Simpson regte eine weitergehende Untersuchung an, um neue Erkenntnisse etwa zu den Pigmenten und zur Ästhetik zu erzielen. Die Erhaltung der Frankfurter Fragmente ist hinlänglich gut, allerdings sind die Lagerungsbedingungen nicht optimal: Die Bestände der Altorientalischen Sammlung sind im Dachgeschoss des IG-Farben-Hauses untergebracht, welches nicht ausreichend gedämmt ist. Der Magazinraum der Sammlung beispielsweise ist zu feucht und unterliegt starken Temperaturschwankungen zwischen Sommer und Winter. So führt die hohe Luftfeuchtigkeit im Raum zum Ausblühen von Salzen im Gips des Stucks, wodurch sich die oberste Verputzschicht ablösen kann. Die Funde müssten fachgerecht entsalzt und konserviert werden.
Die intensivierte Sammlungsarbeit an der Goethe-Universität und die Aufarbeitung der Altorientalischen Sammlung bringen solche und vergleichbare Stücke zutage. Die für die Altorientalische Sammlung Verantwortlichen bemühen sich seit Längerem darum, die Lagerbedingungen für die Funde zu verbessern. Wünschenswert wäre eine Zusammenarbeit mit dem Mainzer Leibniz-Zentrum für Archäologie (LEIZA), das über eine hochprofessionelle Restaurierungsabteilung verfügt. Um die Konservierung in Gang zu bringen, muss jedoch die Finanzierung gesichert sein. Die Frankfurter Stücke sollen nun zunächst in einem kleineren Beitrag publiziert und so der archäologischen Forschung bekannt und zugänglich gemacht werden. Die Frankfurter Altorientalische Sammlung umfasst mehr als 4000 Objekte, von denen viele bislang wissenschaftlich noch nicht erschlossen sind – und vielleicht ähnliche wissenschaftliche Entdeckungen erwarten lassen.
Dirk Wicke, Institut für Archäologische Wissenschaften










