Viel Sex ist in der Evolution nicht immer von Vorteil. Moskitofisch-Weibchen schwimmen ungestümen Lovern aus dem Weg. Diese lassen ihnen kaum Zeit zum Fressen und verletzen sie häufiger im Genitalbereich.
In manchen Spezies investieren die Männchen kaum etwas in den Nachwuchs außer Sperma. Biologen waren bisher der Ansicht, dass in solchen Arten die sexuell aktivsten Männchen einen evolutionären Vorteil haben. Doch die Gleichung „Wer sich öfter paaren will, hat auch mehr Nachwuchs“, geht bei den östlichen Moskitofischen nicht immer auf. Denn die Weibchen haben auch ein Wörtchen mitzureden, wie Verhaltensforscher der Goethe-Universität jetzt herausgefunden haben.
„Ausgangspunkt unserer Untersuchung war die Frage, warum sich Männchen mancher Tierarten deutlich und konsistent in ihrer sexuellen Aktivität unterscheiden, selbst wenn sie identischen Umweltbedingungen ausgesetzt sind und sich nicht gegeneinander behaupten müssen“, erklärt Carolin Sommer-Trembo, die sich in ihrer Doktorarbeit mit dem Thema beschäftigte. „Wir wollten wissen, wie diese Variation an männlichen Verhaltenstypen erhalten wird, obwohl die Selektion Männchen mit niedriger oder mittlerer sexueller Aktivität verdrängen sollte“.
Als Forschungsobjekt wählte sie die kleinen, unauffälligen Moskitofische (Gambusia holbrooki), weil diese Sex haben und lebende Junge zur Welt bringen. Die Männchen haben am Unterbauch ein im Vergleich zur Körpergröße langes Geschlechtsorgan. Um sich zu paaren, schwimmen sie von unten an das Weibchen heran, um möglichst lange unentdeckt zu bleiben.
Um herauszufinden, welche Männchen für weibliche Moskitofische interessant sind und ob das Level an männlicher sexueller Aktivität überhaupt eine Rolle in der Partnerwahl spielt, ließen Carolin Sommer-Trembo und ihre Kollegen Dr. David Bierbach (Leibniz Institut für Gewässerökologie und Binnenfischerei, Berlin) und Prof. Martin Plath (Northwest A&F University, Yangling) Weibchen zwischen Männchen verschiedener sexueller Aktivität wählen. Um auszuschließen, dass die Männchen wegen ihres Aussehens oder anderer Verhaltensmerkmalen ausgewählt wurden, und um das Maß an sexueller Aktivität der Männchen genau steuern zu können, arbeiteten die Forscher mit animierten Stimulus-Männchen, die den Weibchen über Bildschirme präsentiert wurden.
Das Ergebnis: Weibchen bevorzugten Männchen mit mittlerer sexueller Aktivität, während sie Männchen mit hoher sexueller Aktivität deutlich vermieden. Die Forscher vermuten, dass dies aus einer Kosten-Nutzen Abwägung erfolgt. Denn Weibchen, die sich in der näheren Umgebung von sexuell sehr aktiven Männchen befinden, leiden oft nicht nur an Verletzungen im Genitalbereich, sondern kommen kaum dazu, Nahrung aufzunehmen, da sie unablässig damit beschäftigt sind, den Annäherungsversuchen der Männchen zu entgehen.
Anders verhält es sich, wenn eine ganze Gruppe von Weibchen einem paarungswütigen Männchen begegnet. „Unter natürlichen Umständen bilden Moskitofisch-Weibchen oft Gruppen, um sich gegen männliche Belästigung zu schützen, ganz ähnlich wie sich Schwarmfische gegen Fressfeinde schützen“, erklärt Carolin Sommer-Trembo. In der Gruppe zeigten Weibchen eine deutlich höhere Akzeptanz gegenüber den sexuell sehr aktiven Männchen, da sich die Kosten-Nutzen Rechnung unter diesen Umständen verschiebt.
Die Abhängigkeit der Weibchenwahl vom sozialen Kontext könnte erklären, warum die Vielfalt an männlichen Verhaltenstypen bei den Moskitofischen erhalten blieb. Und die Experimente zeigen, dass Weibchen die männliche sexuelle Aktivität als Kriterium bei der Partnerwahl miteinbeziehen.
Übrigens: Dass man stürmischen Lovern aus dem Weg schwimmen sollte, wenn man als Fisch-Weibchen allein unterwegs ist, scheint nicht instinktiv zu sein, sondern auf Erfahrung zu beruhen. Das zeigten zusätzliche Tests mit jungfräulichen Weibchen. Sie waren gegenüber allen Typen noch gleich aufgeschlossen.
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Publikation: Sommer-Trembo, C., Plath, M., Gismann, J., Helfrich, C. & Bierbach, D.: Context-dependent female mate choice maintains variation in male sexual activity. Royal Society Open Science; DOI: 10.1098/rsos170303 Online »
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