In den Kopf geschaut

Wie MRT-Bilder bei Diagnose und Therapie von Hirntumoren helfen können

Hirntumoren – Gliome – sind schwer zu behandeln und deshalb noch immer häufig ein Todesurteil. Für Diagnose und Therapie­planung setzt Elke Hattingen auf ein Verfahren, das die Stoffwechsel­aktivität des Tumors sichtbar macht: die metabolische Bildgebung. Dabei hat sie nicht nur den Tumor selbst im Blick, sondern auch seine unmittelbare Umgebung, die der Tumor manipuliert und zum Über­leben und Wachsen benötigt.

Obwohl sie vergleichsweise selten sind, gehören sie zu den am meisten gefürchteten Krebserkrankungen: Gliome (auch als Glioblastome bezeichnet) sind aufgrund ihres aggressiven Wachstums noch immer in den meisten Fällen tödlich. Sie sind Tumoren, die aus dem Hirngewebe selbst auswachsen – konkret entstehen sie aus entarteten Gliazellen,

die im gesunden Zustand vor allem Stütz- und Nährfunktion für die Nervenzellen aufweisen. Nach ihrer Bösartigkeit werden Gliome in vier Grade eingeteilt, wobei allenfalls die Tumoren vom Grad 1 noch heilbar sein können. Sobald der Krebs beginnt, ins gesunde Hirngewebe zu streuen, können bekannte Therapien den Betroffenen nur noch Zeit verschaffen. Das liegt vor allem daran, dass in der Regel nie alle Krebszellen eliminiert werden können und es mit gängigen diagnostischen Verfahren nicht möglich ist, die übrig gebliebenen Krebsherde sicher zu erkennen.

Elke Hattingen möchte das ändern. Die Radiologin ist Chefärztin am Universitätsklinikum Frankfurt und leitet dort als Direktorin das Institut für Neuroradiologie. Eine zentrale Aufgabe ihres Teams ist die Diagnose und Therapieüberwachung bei Krebs und anderen Erkrankungen des Gehirns durch bildgebende Verfahren, insbesondere die Magnetresonanztomographie (MRT), an der Hattingen seit vielen Jahren forscht. MRT eignet sich besonders gut für die Darstellung von Weichgewebe wie dem Gehirn und kann Schnittbilder mit hoher Auflösung erzeugen. Da die Bildgebung durch starke Magnetfelder erfolgt, werden die Patienten nicht durch Röntgenstrahlung belastet. Für die Neuroradiologie hat sich Hattingen schon früh begeistert – weil man für die Diagnosestellung »kriminalistischen Spürsinn einsetzen muss«, wie die »Bildermacherin« erklärt. »Ein MRT-Bild alleine reicht meistens nicht aus. Wir müssen die Puzzleteile aus klinischem Bild, Laborbefunden, Krankengeschichte, Pathologie und Histologie zusammenbringen. Das finde ich auch nach 25 Jahren noch extrem spannend!«

Das gesamte Gehirn im Blick

Kernspinaufnahmen verraten mit neuen Technologien mehr über Charakteristika und Ausdehnung von Tumoren. Foto: simonkr/istock

Bei Verdacht auf ein Gliom wird mittels MRT ein Hirn-Scan erstellt. Meist ist die Krankheit dann schon relativ weit fortgeschritten, weil Gliome die Funktion des Gehirns oft sehr lange unberührt lassen. Das macht die Krankheit besonders tückisch. Treten erste Beschwerden auf, bleibt dem Patienten trotz Behandlung häufig nur noch wenig Zeit. »Besonders aggressive Gliome vom Grad 4 führen oft innerhalb eines Jahres zum Tod des Patienten«, weiß die Ärztin. Dabei kann es Menschen jeden Alters treffen, auch wenn die aggressiveren Formen vermehrt im höheren Alter auftreten.

Um den Betroffenen Zeit zu verschaffen, werden alle therapeutischen Möglichkeiten ausgeschöpft: Im ersten Schritt wird möglichst viel des erkrankten Hirngewebes operativ entfernt. Anschließend wird die betroffene Stelle etwas großräumiger bestrahlt, und es kommt eine Chemotherapie hinzu. Allerdings sind selbst gutartige Gliome vom Grad 1 abhängig von ihrer Lage in funktionell wichtigen Hirn­bereichen wie dem Sprach- oder Atemzentrum nicht immer operabel.

Und selbst wenn die Operation erfolgreich war, ist die Wahrscheinlichkeit hoch, dass unerkannte Krebszellen nach abgeschlossener Therapie zu neuen Tumoren auswachsen. »Im MRT sehen wir immer nur die Spitze des Eisbergs«, sagt Hattingen, die trotz zunehmender organisatorischer Aufgaben als Institutsleiterin noch immer ihre jahrzehntelange Erfahrung in die Diagnostik und Patientenbetreuung einbringt. »Dabei wissen wir inzwischen, dass eine Hirn­tumorerkrankung eigentlich mehr oder weniger eine Ganzhirnerkrankung ist. Die krankhaften Veränderungen, die wir mit dem herkömmlichen MRT nicht sehen, möchten wir mit neu entwickelten Methoden sichtbar machen.«

Molekularer Fingerabdruck sichtbar gemacht

Dies soll dann sowohl die Diagnosestellung als auch die Therapieüberwachung verbessern. Denn mit dem herkömmlichen MRT könne man zwar die Lage und Morphologie des Tumors gut einschätzen und aufgrund langjähriger Erfahrung möglicherweise bereits die Diagnose Gliom stellen. »Für die heute übliche, auf den Patienten individuell zugeschnittene Behandlung muss man aber das molekulare Profil der Krebszellen kennen«, schränkt die Neuroradiologin ein. »Da kommen wir mit normaler Bildgebung nicht weiter.« Der mole­kulare Fingerabdruck des Tumors – sprich die genetischen Veränderungen, die die Gliazellen zu Krebs­zellen machen – bestimmt, welche Therapien erfolgversprechend sind und gegen welche Wirkstoffe die Krebszellen mit hoher Wahrscheinlichkeit resistent sind. Um diesen Fingerabdruck zu bestimmen, wird das Genom von Krebszellen untersucht, die durch eine Biopsie gewonnen wurden.

Die Radiologen sind aber inzwischen in der Lage, den molekularen Fingerabdruck des Tumors ohne invasive Verfahren indirekt im Körper sichtbar zu machen, wie Hattingen erklärt. »Das molekulare Profil wirkt auf den Stoffwechsel des Tumors in einer sehr spezifischen Art und Weise. Diese Stoffwechselveränderungen können wir mit unserem metabolischen MRT darstellen und damit krankes von gesundem Gewebe unterscheiden.« Neben dem metabolischen Tumorprofil können vielfältige weitere biologische Merkmale mit dem MRT untersucht werden: Vor allem Veränderungen der Durchblutung von pathologisch veränderten Hirnbereichen, die Mikrostruktur und Textur sowie Veränderungen der Funktionalität des Gehirns seien sehr aufschlussreich. »Mit unseren innovativen MRT-Methoden bekommen wir einen tieferen Einblick in die Tumorpathologie, aber sie helfen auch bei der Diagnostik von Hirnkrankheiten, die im MRT-Bild sonst oft unauffällig sind wie Schizophrenie oder entzündliche Erkrankungen«, fügt die Bildgebungsexpertin hinzu.

Sicherheit für die Therapieplaner

Vor der Operation kann das MRT zeigen, wie weit der Tumor sich schon ins gesunde Gewebe ausgebreitet hat und ob er sich in einem wichtigen Hirnbereich wie dem Sprachzentrum befindet. Diese Informationen erleichtern die Planung und Durchführung des operativen Eingriffs. Nach Bestrahlung und Chemotherapie wird das metabolische MRT zusammen mit dem konventionellen MRT und der Messung der Hirndurchblutung eingesetzt, um den Erfolg der Therapie zu kontrollieren. Denn es sei alles andere als einfach zu beurteilen, ob der Tumor erneut wächst, so Hattingen: »Das Gehirn reagiert auf die aggressive Therapie mit Schwellungen oder einer Störung der Blut-Hirn-Schranke. Diese Veränderungen lassen sich im normalen MRT oft nicht vom Tumorwachstum unterscheiden.« Eine verstärkte Durchblutung und die Anwesenheit von Zellmarkern, die auf Wachstum hindeuten, sind dagegen klare Anzeichen für eine Rückkehr des Tumors.

Die Tumorzellen in Gliomen teilen sich häufig und benötigen daher viel größere Mengen von Cholin, das ein Vorläufer unter anderem für Zellmembran-­Bestandteile ist. Erst das metabolischen MRT (rechts) kann so die Tumorausdehnung präzise sichtbar machen. Bild: AG Hattingen

Auf diese Weise hilft das metabolische MRT zu beurteilen, ob eine Behandlung angeschlagen hat oder abgebrochen werden sollte. Das hat für die Patienten greifbare Konsequenzen, betont die Ärztin: »Eine derart optimierte Therapieplanung verschafft einzelnen Patienten durchaus noch einmal drei bis fünf Jahre mit guter Lebensqualität.« Doch auch jenseits von Krebserkrankungen lassen sich die neuen Verfahren einsetzen: So gibt es inzwischen sogar die Möglichkeit, Botenstoffe des Gehirns direkt im Kopf zu bestimmen. Ein Ungleichgewicht dieser sogenannten Neurotransmitter spielt bei Epilepsie und vermutlich auch bei neurodegenerativen Erkrankungen eine Rolle. Die Messungen sind schonend und können gleichzeitig ein ganzes Stoffwechselprofil erstellen.

Unterstützung durch KI

Bei all diesen Untersuchungen fallen allerdings Unmengen an Daten an, die sich inzwischen nur noch mit Künstlicher Intelligenz beherrschen lassen. »Wir Radiologen sind mit unseren Messungen ja auch nur ein Baustein«, fasst Hattingen zusammen. »Hinzu kommen die Ergebnisse weiterer Untersuchungen und die Informationen zur Patientengeschichte, Vorerkrankungen und Risikofaktoren. All das lässt sich mit normaler Statistik nicht mehr greifen.« Zwar basiere heute die Diagnosestellung noch weitgehend auf der Erfahrung der Ärztin. »Wenn wir das besser und zuverlässiger machen möchten, brauchen wir aber Künstliche Intelligenz, die Muster erkennen kann und Zusatzinformationen berücksichtigt.« Wichtig ist der Medizinerin, dass der Mensch letzte Instanz bleibt und alle Diagnosen der KI auf Plausibilität prüfen muss. Ist das der Fall, kann KI bei der Diagnosestellung Zeit sparen sowie dem Patienten unnötige Untersuchungen ersparen. »Gerade in Zeiten mit zunehmendem Fachkräftemangel erhoffe ich mir von KI eine große Unterstützung für uns Ärzte«, so Hattingen.

Angst, dass ihnen durch computergestützte Methoden die Arbeit ausgeht, müssen Neuro­radiologen wohl nicht haben. »Ganz neu für uns ist, dass wir jetzt auch operieren«, freut sich die Ärztin. »Seit etwa 2014 können Neuroradiologen bei einem Schlaganfall Blutgerinnsel aus den Hirnarterien entfernen, wenn die durch das Gerinnsel verstopften Arterien groß genug sind, um über einen Katheter erreicht zu werden.« Häufig führe das zu einer deutlichen Verbesserung oder sogar Heilung. »Wenn Sie sich vorstellen, dass ein Patient mit einer halbseitigen Lähmung zu uns kommt und ohne Lähmung nach Hause geht, ist das einfach fantastisch«, begeistert sich Hattingen. »Das macht das Fach nochmal spannender und auch für unseren ärztlichen Nachwuchs sehr attraktiv.«

Foto: Universitätsklinikum Frankfurt

Zur Person / Elke Hattingen ist Direktorin des Instituts für Neuroradiologie des Klinikums der Goethe-Universität Frankfurt. Nach Medizinstudium und Promotion an der Universität Freiburg arbeitete sie in der Neurochirurgie des Städtischen Klinikums Karlsruhe. Anschließend wechselte sie an die Radiologische Klinik der Universität Bonn. Nach der Facharztausbildung in der Radiologie habilitierte Hattingen in Frankfurt. Im Jahr 2014 übernahm sie die Leitung der Neuroradiologie an der Universität Bonn und 2018 die Leitung des Instituts für Neuroradiologie der Universitätsmedizin Frankfurt.
hattingen@med.uni-frankfurt.de

Foto: Wolfgang Zwanzger

Die Autorin / Larissa Tetsch hat Biologie studiert und in Mikrobiologie promoviert. Anschließend war sie in der Grundlagenforschung und später in der Medizineraus­bildung tätig. Seit 2015 arbeitet sie als freie Wissenschafts- und Medizinjournalistin und betreut zusätzlich als verantwortliche Redakteurin das Wissenschaftsmagazin »Biologie in unserer Zeit«.

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