Die Moulagensammlung des Universitätsklinikums vermittelt einen lebensechten Eindruck von Hautkrankheiten aller Art.
Die Zunge ist gestreckt, ihre Oberfläche glänzt feucht und ist überzogen von tiefen Ulzerationen als Zeichen der Syphilis. Der Eindruck ist zum Täuschen echt – denn diese Zunge ist aus Wachs. „Der Moulageur hat hier einfach großartige Arbeit geleistet“, sagt Prof. Dr. Markus Meissner und dreht das Kunstwerk vorsichtig in den Händen. „Kaum zu glauben, dass dieses Stück schon über 100 Jahre alt ist.“
Markus Meissner leitet die Dermatochirurgie und das Hautkrebszentrum an der Klinik für Dermatologie, Venerologie und Allergologie der Uniklinik. Seitdem er sich 2012 bei dem Umzug der Klink dem Ausräumen des Kellers am alten Standort widmete und ihm die damals wenig gepflegten Anschauungsobjekte in die Hände fielen, lässt ihn die Faszination für die Wachsmodelle nicht mehr los.
„Ich fand sie eingewickelt in Zeitungspapier in einem alten Stahlschrank im hintersten Winkel des Kellers. Einige Objekte waren zerbrochen. Insgesamt waren die Stücke in bescheidenem Zustand.“ Meissner nahm sich der Moulagen an. Neben seiner Arbeit als Oberarzt der Klinik verbrachte er die Wochenenden im Keller, packte die Stücke aus, reinigte, sichtete, fotografierte sie – und brachte sie mit an den neuen Standort der Klinik im Haus 28 auf dem Gelände des Uniklinikums. Heute ist Markus Meissner Hauptansprechpartner für die wiederentdeckte Moulagensammlung.
Feinheit und Genauigkeit
Moulagen sind Wachsmodelle von Hautkrankheiten, die überwiegend Ende des 19. Jahrhunderts bis Mitte des 20. Jahrhunderts – also vor dem Zeitalter der Fotografie – als Anschauungsobjekte für die Ausbildung von Studierenden sowie den Austausch mit Kollegen angefertigt wurden. An vielen Kliniken in Europa wurden damals Moulageure, eigens für das Herstellen von Moulagen ausgebildete Experten, beschäftigt.
Auch die damalige Frankfurter Hautklinik im Städtischen Krankenhaus Sachsenhausen, dem Vorgänger der heutigen Uniklinik, leistete sich einen eigenen hauptamtlichen Moulageur, Ernst Winkler. Der größte Teil der Frankfurter Moulagensammlung stammt aus Winklers Hand. Darüber hinaus finden sich aber auch Werke berühmter Moulageure aus ganz Europa wie etwa von Alfons Kröner aus Breslau, Theodor Johnson aus Freiburg oder Jules Baretta aus Paris, der unter anderem die Modelle der Zungen angefertigt hat.
Sie wurden von den Ärzten der jeweiligen Kliniken als Anschauungsobjekte an interessierte Fachkollegen in anderen Ländern verschickt, so zum Beispiel auch nach Frankfurt. Die ältesten Stücke der Sammlung stammen aus dem Jahr 1904. Bis heute lösen die Feinheit und Genauigkeit der Abbildungen bei Dermatologen Begeisterung aus. „In einige Stücke haben die Moulageure sogar Haare eingearbeitet, um die Plastizität zu erhöhen“, sagt Markus Meissner und deutet auf den Abdruck einer männlichen Gesichtshälfte, in dessen Oberlippe kleine Barthärchen eingelassen sind.
„Insbesondere die Präzision der Darstellung farblicher Veränderungen der Haut ist beeindruckend.“ Je realistischer, desto besser. Schließlich wurden die Abbilder nicht nur für die universitäre Lehre, sondern seinerzeit auch zur Abschreckung bei der Bevölkerung eingesetzt, vor allem zur Belehrung über die damals noch recht geläufige Geschlechtskrankheit Syphilis. Um all die Rötungen und Verfärbungen, Pickel und Pusteln im neuen Glanz erstrahlen zu lassen, ließ die Klinik die Moulagen nach ihrer Wiederentdeckung mit Stiftungsmitteln restaurieren.
Hierzu wurde eine eigens auf Moulagen spezialisierte Restaurateurin beauftragt, die die Stücke säuberte und sie neu aufspannte. Für die sachgemäße Lagerung wurden neue Schubkästen angeschafft. Heute ist die 208 Stücke umfassende Sammlung im klimatisierten Seminarraum der Klinik gelagert – und damit dort, wo sie am dringendsten benötigt wird.
Verwendung auch heute noch in der Lehre
Denn auch wenn heute keine Moulagen mehr hergestellt und Hautkrankheiten in der Regel durch Fotografie dokumentiert werden, sind sie in der Lehre – zumindest am Standort Frankfurt – wieder sehr bedeutend. „In der Dermatologie als stark morphologisch- deskriptives Fach spielt das Sehen für den Befund eine große Rolle“, sagt Markus Meissner. „Je detail- und wirklichkeitsgetreuer die Darstellung einer Hautkrankheit ist, desto besser lässt sich das Erkennen und Beschreiben von Krankheitsbildern an den Objekten einüben.“
Auf Initiative und unter Leitung von Prof. Dr. Falk Ochsendorf, den Unterrichtsbeauftragten an der Klinik für Dermatologie, Venerologie und Allergologie, sind die Moulagen heute wieder in den Lehralltag eingebunden und stehen den Studierenden, die ihr Praktikum an der Klinik absolvieren, zur Verfügung. „In der Regel sind die Studierenden am Vormittag bei den Patienten und haben am Nachmittag nochmal die Möglichkeit, sich im Seminarraum mit den Moulagen zu beschäftigen“, so Meissner.
„So haben sie die Chance, eine Vielzahl von Hautkrankheiten kennenzulernen, die entweder selten vorkommen oder bereits ausgestorben sind, wie Syphilis oder hierzulande die Pocken – und das alles in lebensechter Darstellung in 3D.“ Das Lernen an Moulagen kommt bei den Studierenden gut an: Die Einheiten im Seminarraum werden in den Evaluationsbögen regelmäßig als sehr gut bewertet. Auch über den Klinikbetrieb hinaus sind die Moulagen für andere Einrichtungen interessant.
Bereits dreimal waren Stücke der Sammlung in Museen ausgestellt, so etwa im Städtischen Museum Wiesbaden und auch im Frankfurter Museum Giersch. Sogar eine Germanistin aus Japan war bereits zu Recherchezwecken an der Klinik und hat ihre Ergebnisse in eine ihrer Publikationen in Japan einfließen lassen. Was zur vollständigen Sammlungsarbeit noch fehlt, ist die Katalogisierung und Digitalisierung des Bestands. Eine Ärztin des Instituts hat sich im Rahmen ihrer Doktorarbeit nun des Katalogisierens der Moulagen angenommen:
Sie beschreibt den Erhaltungszustand der einzelnen Objekte, ordnet sie zu, differenziert, ob die damals erlassenen Diagnosen noch stimmen und evaluiert das Lehrkonzept der Sammlung. In Zukunft soll die Sammlung auch über eine Online-Plattform für Interessierte zugänglich sein.
Autorin: Melanie Gärtner
Dieser Artikel ist in der Ausgabe 4.19 des UniReport erschienen.