Studie untersucht Auswirkungen von direkter Bürgerbeteiligung auf Gleichheit in europäischen Demokratien

Können Volksabstimmungen dabei helfen, Ungleichheit in einer Gesellschaft abzubauen? Oder stellt direkte Demokratie eine Gefahr dar, indem ressourcenstarke Minderheiten ihre Interessen durchsetzen? Ein Team von Politikwissenschaftler*innen der Goethe-Universität hat das Thema Ungleichheit und Direkte Demokratie in Demokratien zwischen 1990 und 2015 untersucht. 

Direktdemokratische (Gesetzes-)Vorlagen zur sozialen, politischen oder rechtlichen Gleichheit zielen in der Mehrheit darauf ab, Ungleichheit in der Gesellschaft zu beseitigen und Gleichheit auszubauen. Dies besagt eine von der Deutschen Forschungsgemeinschaft geförderte Studie des Projektteams um Prof. Dr. Brigitte Geißel, Anna Krämling und Lars Paulus. Dafür hat das Team mehr als 500 direktdemokratische Verfahren nicht nur in europäischen Demokratien zwischen 1990 und 2015 untersucht: Volksbegehren wie etwa in Ungarn 2008 gegen Gebühren für weiterführende Bildung oder wie in der Schweiz gegen die Kürzung der Witwen- und Waisenrente. Die Beispiele zeigen: Gleichheit steht auf der Agenda vieler Volkabstimmungen. Studien zur Schweiz und den USA hatten zuletzt zu widersprüchlichen Ergebnissen geführt und Gefahren der Direktdemokratie für Gleichheit in den Mittelpunkt gestellt. 

Die Studie des Forschungsprojekts kann diese skeptische Sicht nicht bestätigen. Allerdings ist nicht jede direktdemokratische Vorlage gleich erfolgreich, wie die Autorinnen und Autoren der international vergleichenden Studie betonen: Direktdemokratische Vorlagen haben dann die beste Chance auf Zustimmung, wenn sie sich auf die Verbesserung der sozialen und ökonomischen Situation von Bevölkerungsgruppen konzentrieren. Bei Vorlagen, die auf rechtliche und politische Gleichheit abzielen, scheint es eine zentrale Rolle zu spielen, ob die jeweils ‚ungleichen‘ Gruppen als ‚In-Group‘ oder als ‚Out-Group‘ gewertet werden, d.h. ob sie als dazugehörig gelten oder nicht. In manchen Gesellschaften ist beispielsweise die Gleichstellung Homosexueller eine Selbstverständlichkeit – direktdemokratische Abstimmungen ermöglichen die gleichgeschlechtliche Ehe. In anderen Gesellschaften wird ihnen diese Gleichstellung verwehrt. 

Unterschiede zeigen sich auch zwischen Verfahren, die von Bürgerinitiativen per Unterschriftenaktionen an die Parlamente „von unten“ (bottom-up) herangetragen werden oder von Parlamenten quasi „von oben“ (top-down) zur Volksabstimmung gegeben werden. Bottom up-Verfahren sind wesentlich erfolgreicher, wenn sie soziale und ökonomische Gleichheit in der Gesellschaft anstreben. Besonders durchsetzungsstark sind die Anträge dann, wenn sich zivilgesellschaftliche Gruppen mit Parteien oder anderen Gruppen zusammenschließen. Wenig einflussreiche Minderheiten können durch Koalitionen an Stärke gewinnen, so ein Resultat der Studie. 

Die Studie weist dabei auch auf einige Forschungslücken hin. So konnte noch nicht untersucht werden, ob und welche direktdemokratischen Vorlagen von den Parlamenten aufgegriffen und umgesetzt wurden. Ebenso wenig erforscht: die Rolle der Motive der handelnden Gruppen, der Kampagnenstrategien oder der Einfluss der Medien auf den Erfolg von Gesetzesinitiativen. 

Fazit: Insgesamt fällt die Bilanz des Projektteams positiv aus: „Direktdemokratische Verfahren sind in ihrem Ergebnis eher gleichheitsfördernd. Sie stellen damit eine gute Möglichkeit dar, mehr Menschen an politischen Entscheidungsprozessen zu beteiligen.“

Publikation: Geißel, Brigitte/Krämling, Anna/Paulus, Lars (2019): More or Less Equality? Direct Democracy in Europe from 1990 to 2015, Zeitschrift für Vergleichende Politikwissenschaft 13(4), S. 491-525 

Geißel, Brigitte/Krämling, Anna/Paulus, Lars (2019): It Depends … Different Direct Democratic Instruments and Equality in Europe from 1990 to 2015. Politics and Governance 7(2), S.365-379

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