Dr. Thuy Loan Nguyen und Dilara Kanbiçak haben die universitätsweiten Wochen gegen Rassismus und Antisemitismus initiiert. Unter dem Titel „Diskursräume gestalten“ sind Universitätsangehörige und weitere Interessierte seit dem 5. und noch bis zum 29. November eingeladen, bei Vorträgen, Diskussionen und Workshops miteinander in den Austausch zu kommen. Im Interview berichten die beiden Kolleginnen aus dem Büro für Chancengerechtigkeit, was Engagement gegen Rassismus und Antisemitismus für sie bedeutet und wie innerhalb der Goethe-Universität Unterstützung aussehen kann.
Ihre Veranstaltungsreihe findet in einer Zeit statt, in der Rechtspopulisten von immer mehr Menschen gewählt werden und die Zahl rassistischer und antisemitischer Angriffe in Deutschland sehr stark gestiegen ist. Was wollen Sie mit Ihrer Reihe erreichen?
Dr. Loan Nguyen: Wir möchten diese Themen in die Universität und damit in die breite Öffentlichkeit bringen. Solidarität und Empathie zählen aktuell zu den wichtigsten Werten der demokratischen Gesellschaft, und es liegt in unserer Verantwortung, das Problem nicht nur den Menschen zu überlassen, die von Antisemitismus und Rassismus betroffen sind. Diese Menschen erleben gerade existentielle Ängste, und viele spielen mit dem Gedanken, das Land zu verlassen. Bei Gesprächen, zum Beispiel beim Mittagessen, fragen wir uns, welche Orte auf der Welt noch als lebenswert gelten könnten. Das ist äußerst tragisch, insbesondere, weil Deutschland unsere gemeinsame Heimat ist.
Dilara Kanbiçak: Es ist uns ein wichtiges Anliegen, die wertvolle Arbeit und Forschung zu Antisemitismus, jüdischem Leben und Rassismus an der Goethe-Universität sichtbarer und zugänglicher zu machen. Nun ist es an der Zeit, die theoretische Forschung in die Praxis zu übertragen. Wir tragen Verantwortung füreinander, und darauf wollen wir aufmerksam machen.
Gesamtgesellschaftliche Entwicklungen machen vor Universitäten nicht halt; überall wird Gesprächsbereitschaft vermisst. Inwieweit erfahren Sie in Ihrer Beratung, ob Studierende und Mitarbeitende auch an der Goethe-Uni verstärkt rassistische oder antisemitische Erfahrungen machen? Machen Sie in Ihrer Beratung auch positive Erfahrungen?
Nguyen: Die Beratung an der Antidiskriminierungsstelle erfährt derzeit einen enormen Zulauf. Der Terrorangriff vom 7. Oktober, der Krieg und das unfassbare Leid in der Region, auch eine aufgeheizte und teils unsachliche gesellschaftliche Debatte in Deutschland haben zu einem deutlichen Anstieg von antisemitischen und rassistischen Diskriminierungsfällen auch bei uns an der Universität geführt.
Daher brauchen wir dringend ausreichende Ressourcen für eine professionelle Beratung und Unterstützung von Betroffenen und die intensive Zusammenarbeit mit externen Akteur*innen im Themenfeld. Auch von Organisationen wie z.B. OFEK (https://ofek-beratung.de/) wissen wir, dass der Ausbau des Beratungsangebots dringend notwendig ist. Sie entwickeln derzeit Empowerment-Strukturen für Menschen, die von Antisemitismus betroffen sind.
Kanbiçak: Auch Lehrende, Projektleitende, Professuren und ganze Fachbereiche wenden sich an uns, um Unterstützung zu erhalten. Dies ist eine positive Entwicklung: Durch die Zusammenarbeit mit dem Büro für Chancengerechtigkeit bauen sie Ressourcen auf, um Mitarbeitende und Studierende in schwierigen Situationen gut auffangen zu können. Das ist entscheidend – Verantwortung füreinander zu übernehmen und dafür zu sorgen, dass sich die Angehörigen der Universität wieder sicher fühlen können. Antisemitismus und Rassismus müssen thematisiert und besprechbar gemacht werden, auch wenn das oft schmerzhaft ist. Das sind wir uns allen schuldig.
Welche Rolle kommt Empowerment zu, wenn wir uns medial und im Sozialleben vor allem in Blasen bewegen?
Kanbiçak: Empowerment ist in diesen Zeiten ein besonders wichtiges und kraftvolles Werkzeug. Im Rahmen unserer Veranstaltungsreihe bieten wir Formate an, die Studierenden die Möglichkeit geben, über ihre Erfahrungen zu sprechen, sich gegenseitig zu stärken und manchmal auch aufzufangen und zu trösten. Empowerment wird dann wirksam, wenn Betroffene ihre „Blasen“ verlassen, denn es gibt kaum wirkliche „safe Spaces“ – also diskriminierungsfreie Orte. In allen Alltagssituationen können Mikroaggressionen, Kommentare oder Blicke verletzend und diskriminierend wirken, auch wenn sie nicht so gemeint sind. Den Betroffenen wird immer wieder metaphorisch auf die Füße getreten, bis Wunden irgendwann nicht mehr heilen. Ob in der Mensa, im Seminar oder im Kollegium – das passiert überall.
Nguyen: Deshalb ist es wichtig, dass Betroffene gestärkt werden und gleichzeitig Fortbildungen zu diskriminierungsrelevanten Thematiken stattfinden. Offene Gespräche sind dabei genauso notwendig. Die Blasen bieten zwar kurzzeitige Ruhe, platzen aber mehrfach am Tag. Umso wichtiger ist es, unsere Universitätsangehörigen zu unterstützen, damit sie gut arbeiten, lehren, studieren und forschen können!
Was bedeutet antirassistisches Engagement für Sie persönlich?
Nguyen: Wir setzen uns schon seit Langem gegen Antisemitismus, Rassismus und jegliche Form von Diskriminierung ein. Auch wenn es nicht zu unserem Job gehört, beginnt dieses Engagement bei vielen von uns bereits, sobald wir das Haus verlassen oder Medien konsumieren. So geht es aber vielen Personen, die empathisch sind und einen Wunsch nach einer gerechten Gesellschaft haben. Am meisten freuen wir uns darüber, dass diese Veranstaltungsreihe ein Gemeinschaftsprojekt der Goethe-Universität ist. An unserer Universität gibt es so viele schlaue Köpfe, die mit ihrer großartigen Forschung und Engagement die Gesellschaft und die Hochschule zu einem besseren Ort machen möchten – das inspiriert uns und gibt uns Kraft.
Kanbiçak: Oft ist diese Arbeit jedoch kaum sichtbar, auch für die Studierenden, und das ist ein entscheidender Punkt: Sie müssen erkennen können, dass ihre Lebensrealitäten nicht ignoriert werden. Können Sie sich vorstellen, welch starke, gemeinschaftsfördernde Wirkung es hat, wenn marginalisierte Lebensrealitäten offen thematisiert und sichtbar gemacht werden? Wenn man merkt: „Hey, sie sehen und nehmen mich und meine Probleme ernst.“ Genau das ist Empowerment – und es kann nicht nur durch einzelne Veranstaltungen erreicht werden. Es geht um echte Anerkennung. Gemeinsam können wir so viel mehr erreichen, und diese Reihe hat uns gezeigt, wie wichtig es ist, als Institutionen mit gesellschaftlicher Verantwortung zusammenzustehen.
Fragen: Imke Folkerts und Pia Barth
Anmeldungen für Workshops
Mittwoch, 20. November 2024, 10 – 15 Uhr
Workshop: „Lehre vielfältig gestalten – Wie kann Diversität im Seminarkontext gefördert und Diskriminierung gestoppt werden?“
Campus Westend, Normative Ordnungen, 5.01
Anmeldung bis 15. November bei Amadeus Ulrich, ulrich@normativeorders.net
Ansprechpersonen: Amadeus Ulrich, ulrich@normativeorders.net und Felix Kämper, kaemper@em.uni-frankfurt.de; Organisation: Normative Ordnungen
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Donnerstag, 21. November 2024, 13 – 14.30 Uhr
Austauschraum mit OFEK e.V. für jüdische Studierende / Studierende mit jüdischer Familiengeschichte
Anmeldung erfolgt direkt über OFEK e.V. unter saferspaces@ofek-beratung.de bis 20.11.2024. Die Teilnehmer*innen-Anzahl ist auf max. 15 begrenzt.
Organisation: Büro für Chancengerechtigkeit und OFEK e.V.
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Freitag, 22. November 2024, 13.30 – 19.30 Uhr
Empowerment Workshop für Studierende mit Rassismuserfahrung
Campus Westend, Raum wird bei Anmeldung mitgeteilt
Anmeldung bei Dr. Thuy Loan Nguyen, ThuyL.Nguyen@em.uni-frankfurt.de. Der Workshop ist auf max. 15 Personen begrenzt. Organisation: Büro für Chancengerechtigkeit