Institut für Geowissenschaften: Mineralogin Qiao Shu genießt ihre Arbeit als Gastwissenschaftlerin

Das war gerade noch rechtzeitig: Mitte Januar, unmittelbar vor dem Ausbruch der Covid-19-Pandemie, meldeten die chinesischen Behörden erste Todesopfer einer neuartigen Lungenkrankheit. Die Mineralogin Qiao Shu konnte allerdings noch problemlos von China nach Deutschland reisen, bevor am 17. Januar 2020 ihr Aufenthalt als Gastwissenschaftlerin am Institut für Geowissenschaften der Goethe-Universität begann. Seither – und noch bis Dezember dieses Jahres – wohnt Shu zusammen mit ihrem deutschen Ehemann und ihrer fünf Jahre alten Tochter Anna im Frankfurter Westend, im Gästehaus der Universität in der Beethovenstraße.

Sie lobt die Betreuung durch die Goethe-Universität: „Die Beschäftigten des International Office haben sich sehr gut um uns gekümmert, das war – und ist – gerade in der ‚Corona-Pandemie‘ besonders wertvoll.“ So habe sich das Team des International Office immer wieder per E-Mail erkundigt, ob alles in Ordnung sei. Es habe außerdem die Gastwissenschaftlerinnen und -wissenschaftler stets über neue Entwicklungen und behördliche Vorschriften auf dem Laufenden gehalten. „Wegen der Kontaktbeschränkungen haben die Leute vom International Office immer wieder Online-Besprechungen organisiert“, berichtet Shu, „das war ausgesprochen nützlich und dafür bin ich ihnen sehr dankbar.“

Jedes System hat seine Stärken

Sie kommt aus dem Südwesten Chinas, aus der Provinzhauptstadt Guiyang; dort befindet sich einer von drei Standorten, welche die chinesische Akademie der Wissenschaften für das Fach Geologie betreibt. Nachdem sie zehn Jahre außerhalb Chinas verbracht hatte, gehört Shu seit August 2017 dem geochemischen Institut der Akademie an und leitet in Guiyang zwei der dortigen Labore. Sie hat festgestellt: Wenn auch die Naturgesetze an jedem Ort der Erde gleichermaßen gelten, ist das Leben einer Naturwissenschaftlerin, eines Naturwissenschaftlers in Deutschland doch deutlich weniger belastet von Formalitäten und Besprechungen als in China. Dadurch könne sie sich hier viel besser ihrer Forschung widmen als in China, wo sie sich oft erst am Abend, müde und wenig konzentriert, ihren wissenschaftlichen Projekten zuwendet. Andererseits biete China heimkehrenden Jungwissenschaftlerinnen sehr gute Startbedingungen, sagt Shu; dazu trügen insbesondere die moderne Ausstattung in den Laboren und Hilfe im privaten Umfeld bei.

Shu genießt die Forschungsbedingungen, die sie an der Goethe-Universität vorfindet: „Die Labore am Institut für Geowissenschaften sind fabelhaft ausgestattet. Als Gastwissenschaftlerin habe ich hier zu allen Mess-Apparaturen Zugang, die ich mir für meine Forschung wünschen kann“, schwärmt sie. Außerdem sei die Arbeitsatmosphäre an der chinesischen Akademie der Wissenschaften viel stärker von Konkurrenzdenken geprägt: „Manche Kollegen in China wollen nicht über ihre Forschung diskutieren, aus Angst, dass andere ihre Ideen stehlen“, berichtet Shu, „so etwas habe ich in den vergangenen sechs Monaten in Deutschland zum Glück noch nicht erlebt.“

Auch an der „University of Alberta“ im kanadischen Edmonton hat sie diese Erfahrung nicht gemacht, wo sie dreieinhalb Jahre als Postdoc geforscht hatte, bevor sie die Stelle in Guiyang antrat. „Und auch davor, während meiner Promotion und der ersten Postdoc-Phase, war von solcher Rivalität nichts zu spüren“, stellt Shu klar. Dafür hat sie schon einmal rund fünf Jahre im Geozentrum auf dem Riedberg-Campus verbracht, nachdem sie zuvor an der Universität von Peking ihren Bachelor und ihren Master abgelegt hatte.

Frankfurt, Prag und wieder Frankfurt

„Schon damals hat es mir an der Goethe-Universität ausgesprochen gut gefallen“, berichtet Shu. Sie hatte 2015 auf einer internationalen Tagung in Prag den Geologen Horst Marschall kennengelernt und in den folgenden Jahren immer wieder festgestellt, wie gut seine und ihre Forschungsschwerpunkte zusammenpassen. Als sie durch ehemalige Frankfurter Arbeitskollegen erfuhr, dass Marschall seit 2016 eine Professur an der Goethe-Universität innehatte, nahm sie Kontakt zu ihm auf und schlug ihm die Kooperation vor; dank der Förderung durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) können Shu und Marschall ihr gemeinsames Projekt inzwischen verwirklichen.

Shu genießt auch das alltägliche Leben in Frankfurt: „Ich habe schon viele verschiedene Länder erlebt wie Kanada, die Vereinigten Staaten und Südafrika“, zählt sie auf, „aber in Deutschland gefällt es mir wirklich am besten. Hier fühle ich mich wohl und sicher, egal ob ich abends auf der Straße unterwegs bin oder ob ich in Geschäften darauf vertrauen kann, einwandfreie Lebensmittel zu bekommen.“ Aber sie freut sich auch darauf, in einem halben Jahr wieder in ihre Heimat zurückzukehren, zu Freunden, Verwandten und vertrautem traditionellem Essen, das selbst in China nur wenige Wochen im Jahr verkauft wird und hierzulande nicht einmal in Asien-Läden erhältlich ist. Auf die Frage, was ihr an Deutschland nicht so gefällt, muss Shu allerdings erst einmal überlegen, bevor ihr einfällt, dass ihr der graue und dunkle Winter in Deutschland doch manchmal etwas zu schaffen macht.

Stefanie Hense

Dieser Beitrag ist in der Ausgabe 4.20 des UniReport erschienen.

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