Matthias Thiemann ist Juniorprofessor für Soziologie mit dem Schwerpunkt Finanzmarkt, Geld- und Bankensoziologie. Im UniReport (Ausgabe 4-16) berichtet er über seinen Gastaufenthalt an der University of Pennsylvania.
Philadelphia, die Stadt der brüderlichen Liebe (abgeleitet vom griechischen „philos“ für Liebe und „adelphos“ für Bruder)? Wie eine neuerliche Umfrage in den USA ergab, ironischerweise die wütendste Stadt der USA. Seit 2012 hat die University of Pennsylvania in Philadelphia eine Strategische Partnerschaft mit der Goethe-Universität, und mittlerweile sind auch die beiden Städte „verbrüdert“. Als einer der ersten Professoren hatte ich das Glück, einen vom DAAD finanzierten Auslandsaufenthalt zu erhalten. Mit zwei Monaten in den Semesterferien weitaus kürzer als gewünscht, sollte der Aufenthalt doch viele interessante Einblicke in ein Land gewähren, welches sich in einer Krise des gesellschaftlichen Zusammenhalts befindet.
Zwei Jahre hatte ich als Student schon in Philadelphia gelebt, bei der Rückkehr wollte ich den Versuch wagen, für die zwei Monate in einem Student Dorm (Studentenwohnheim) zu schlafen, um einmal den Campus von innen zu erleben. Es sollte ein sehr interessanter Aufenthalt werden, der viele Einblicke in ein zerrissenes Land ergab – primär aus der Sicht von Migranten. Denn das Geschäftsmodell der UPenn basiert auf nicht-amerikanischen Bachelor- und Masterstudenten (primär aus Asien), die pro Jahr 50.000 Dollar und mehr für ein Jahr an der UPenn bezahlen. Dazu kommt die Unterbringung im Studentenwohnheim für 1000 Dollar im Monat und weitere Unterhaltungskosten. Dann, der erste Schock: Das Studentenwohnheim wird von jeder durchschnittlichen Jugendherberge in Deutschland bei weitem geschlagen. Auf Grund verschiedener Reisen beschließe ich doch zu bleiben, im 20. Stock, in einem 10qm-Zimmer ohne Küche, eigenes Bad oder andere Annehmlichkeiten.
Wachsende Universität
Der Blick über die Stadt ermöglicht mir eine Sicht auf die neuen Hochhäuser, die am Rand des Ghettos, in dem ich vor 4 Jahren gelebt hatte, emporschießen. Alles UPenn-Bauten, wie insgesamt West-Philadelphia immer mehr von dieser Universität geprägt wird. Das Viertel wurde vor einigen Jahrzehnten in einer Art von PR-Gag in University City umgetauft, eine Beschreibung, die immer mehr der Realität entspricht. Eine plötzliche Lücke im Häuserreigen fällt mir auf, und ein späterer Spaziergang bestätigt: Eine frühere Schule, die 2 km von der Uni entfernt vor allem von farbigen, sozio-ökonomisch benachteiligten Schülern besucht wurde, ist planiert worden und wird demnächst Platz machen für eine weitere Ausweitung des UPenn-Campus. Bilder an den Wänden der UPenn verdeutlichen diesen Trend: Vor einigen Jahrzehnten war die UPenn eine Universität inmitten von typischen zweigeschossigen Häusern, heute stehen diese Häuser, wenn überhaupt noch, etwas verloren zwischen den aufstrebenden Neubauten.
Aber wie konnte der UPenn dieser Aufstieg gelingen? Eine der Antworten findet sich in der Wharton School of Business, eine der besten, wenn nicht die beste Business School der Welt. Sie ist nicht nur eine der direkten Haupteinnahmequellen der Universität, es sind vor allen Dingen die Spenden der Alumni, die in den letzten drei Jahrzehnten mit dem Aufstieg der Wall Street massiven Reichtum akkumulierten und, über einen Steuervorteil begünstigt, ihre Alma Mater daran teilhaben lassen. Es sind unter anderem diese Spenden, die den Auf- und Ausbau der UPenn finanzierten. Die UPenn hat dies mit einem sehr geschickten Branding der Marke UPenn gekoppelt, welches nicht primär auf den europäischen, sondern auf den asiatischen Markt fokussiert. So leben denn auch in meinem Student Dorm vornehmlich Studenten aus Indien, China und anderen asiatischen Ländern. Jung, motiviert, verschuldet … so ließe sich ihre Lage zusammenfassen. In meinen Gesprächen mit diesen Studenten, beim Pool-Billard zum Beispiel, erfährt man von dem Willen, zumindest die Studiengebühren wieder einzunehmen, bevor man wieder nachhause gehen will/muss. Es ist eine Mischung aus amerikanischem Traum und Silicon Valley und auf der anderen Seite der unausweichlichen Festlegung auf einen einmal beschlossenen Weg.
Forschungsthema Schulden
Mein Thema der Finanzmarktsoziologie findet hier ein interessantes Untersuchungsfeld. Denn Studienkredite sind mit 1,2 Billionen Dollar das am stärksten wachsende Segment der Schulden in den USA und betreffen sowohl ausländische als auch amerikanische Studierende. Diese Problematik lässt sich gesellschaftlich schwer ignorieren, hat doch Bernie Sanders (der überraschend hartnäckige und erfolgreiche Präsidentschaftskandidat der Demokraten) dies zu einem seiner wichtigsten Kampagnenthemen gemacht. Eingebunden in diese Schuldendynamik bietet sich diesen Studierenden noch eine zweite Facette einer Gesellschaft, die sich sehr ungleich von der Finanzmarktkrise 2007- 2009 erholt hat. An die 45% der Lohneinkommensbezieher zahlen keine ‚federal income tax‘, da ihr Einkommen zu gering ist. Es ist die erste Generation, in der der generelle Lebensstandard das erste Mal niedriger sein dürfte als der ihrer Eltern und in der sich diese negative Tendenzen primär in der weißen, männlichen und schlechtgebildeten Unterschicht auswirken. Es ist diese Unterschicht, aber auch verunsicherte Mittelschichten (neben Rassisten und Xenophoben), die den Erfolg des zweiten überraschenden Präsidentschaftskandidaten Donald J. Trump begründen.
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Der Autor Matthias Thiemann ist Juniorprofessor für Soziologie mit dem Schwerpunkt Finanzmarkt, Geld- und Bankensoziologie. Das International Office der Goethe-Universität hat DAAD-Mittel im Programm Strategische Partnerschaften für die Finanzierung seines Aufenthalts eingeworben.
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Dieser Artikel ist in der Ausgabe 4-2016 des UniReport erschienen [PDF].