Oral, intravenös oder als Salbe – wie Arzneimittel zum Zielort gelangen, ist ganz entscheidend für die therapeutische Wirkung. Ein Experte auf diesem Gebiet besucht im November die Goethe-Universität.
Der renommierte US-indische Havard-Forscher Samir Mitragotri kommt dann im Rahmen der Friedrich-Merz-Stiftungsgastprofessur für eine Woche nach Frankfurt. In Harvard leitet er ein Laboratorium für Arzneimittelträgersysteme (Drug Delivery) und Biomaterialien an der John A. Paulson School of Engineering and Applied Sciences und dem Wyss Institute, das an der Schnittstelle von Grundlagenforschung und Ingenieurswesen arbeitet. Kuratorin Prof. Maike Windbergs vom Institut für Pharmazeutische Technologie der Goethe-Universität Frankfurt organisiert die Gastprofessur und wird Mitragotri während seines Aufenthalts an der Goethe-Universität begleiten. „Wir kennen uns seit vielen Jahren. Er war vom Format der Gastprofessur begeistert und hat direkt zugesagt.“ Neben einem hochkarätig besetzten wissenschaftlichen Symposium wird es auch eine Vorlesung für Studierende und ein Symposium für die Frankfurter Bürger geben.
Im Rahmen der Gastprofessur wird Mitragotri vor Fachpublikum über sein Schwerpunktthema „Drug Delivery“ sprechen, also die Entwicklung von Arzneistoffträgersystemen, die die Verabreichung von Arzneistoffen ermöglichen. Dabei geht es allgemein um Systeme, die einen Arzneistoff in einer bestimmten Form und auf einem bestimmten Weg zum Zielort im menschlichen Körper bringen –, und zwar so, dass die therapeutische Wirkung möglichst groß ist. „Da werden unter anderem fragile Biomoleküle transportiert, Proteine zum Beispiel“, erklärt Windbergs. „Die müssen so verpackt sein, dass sie in ihrer Wirkform im Körper ankommen. Nur so können sie dann auch die gewünschte therapeutische Wirkung entfalten.“ Arzneien lassen sich im einfachsten Fall oral als Tablette einnehmen. Oder sie werden durch Injektion zum Beispiel in eine Vene, einen Muskel oder unterhalb der Haut, also subkutan, verabreicht. Dann gibt es noch topische Medikamente, die weder geschluckt noch injiziert werden. Das können Salben, Nasentropfen, Gurgellösungen oder Augentropfen sein.
Ziel der Stiftungsgastprofessur ist es, einen „besonders angesehenen Wissenschaftler“ aus den Bereichen Pharmazie oder Humanmedizin an die Goethe-Universität Frankfurt einzuladen. Da passt Mitragotri sehr gut, findet Windbergs. „Er hat Trägersysteme auf hohem Niveau entwickelt. Sein Fokus liegt dabei auf Applikationssystemen, die biologische Barrieren des menschlichen Körpers überwinden. Beispielsweise die Darmbarriere oder die Haut.“ Er hat hautpenetrierende Peptide und ionic liquids, ionisierte Flüssigkeiten, für transdermale Verabreichungen entwickelt. „Durch die Ladung ist ein einfacherer Eintritt der Wirkstoffe durch die Haut möglich“, erklärt Windbergs. Damit lässt sich zum Beispiel Schuppenflechte behandeln, ohne dass der Wirkstoff, siRNA, injiziert werden muss. SiRNA steht für small interfering RNA, es sind kurze doppelsträngige RNA-Stücke aus 21 bis 28 Nucleotiden. Sie können ein Zielgen stilllegen, indem sie die RNA-Transkripte des Gens zerstören. Injektionen von siRNA in die Haut sind zwar wirksam, aber schmerzhaft und decken nur kleine Flächen ab. Die topische, also äußere Verabreichung von siRNA ist dank ionischer Flüssigkeit möglich geworden. Ein weiteres Kernthema Mitragotris neben den Barriere-überwindenden Techniken sind synthetische Carrier, die auf körpereigenen Zellen – rote Blutkörperchen, Makrophagen oder T- Zellen – „per Anhalter“ im Körper transportiert werden. „Damit wird die Verabreichung zielgerichteter“, erklärt Windbergs.
Was sie sich von der Gastprofessur erhofft? Zuerst einmal, dass sich durch die intensivierte „bilaterale Kommunikation“ zwischen Harvard und Frankfurt neue Impulse ergeben. Zudem könnte das Thema Drug Delivery durch Mitragotris Besuch allgemein sichtbarer werden. Bisher zieht insbesondere die Entdeckung neuer Wirkstoffe die Aufmerksamkeit auf sich. Das Thema Drug Delivery führt dagegen eher ein Schattendasein. „Die Corona-Pandemie brachte da schon Fortschritte. Die Bevölkerung hat gemerkt, dass es nicht nur einen guten Impfstoff braucht, sondern auch eine gute Verpackung, damit der Impfstoff stabil im Körper ankommt.“ Jetzt werde Mitragotri helfen, das Thema weiter ins Bewusstsein zu bringen.
Andreas Lorenz-Meyer
Die Friedrich-Merz-Stiftungsgastprofessur wurde im Dezember 1985 anlässlich des 100. Geburtstags von Firmengründer Friedrich Merz gestiftet, der als einer der ersten Mitglieder der Senckenbergischen Gesellschaft mit der Frankfurter Universität eng verbunden war und die Wissenschaft gefördert hat. Ziel der Stiftungsgastprofessur ist, einen besonders angesehenen Wissenschaftler aus den Bereichen Pharmazie oder Humanmedizin an die Goethe-Universität Frankfurt zu berufen. 1987 zum ersten Mal verliehen, wurde die Gastprofessur bis auf zwei Ausnahmen jährlich vergeben. Die Gastprofessur und das Symposium, dessen Themenspektrum von der Grundlagen- bis zur Versorgungsforschung reicht, bieten Forschern aus Hochschule und Industrie jährlich die Gelegenheit zum Wissensaustausch und zu einer weitergehenden Zusammenarbeit.
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