„Navigating global responsibilities“… in crazy times

Eine bi-nationale Tagung der U15 Deutschlands und Kanadas zum Thema „Navigating Global Responsibilities: How research-intensive Universities strengthen societies“*. Ein Tagungsbericht von Enrico Schleiff, Katharina Meyer und Johannes Müller

„We live in crazy times!“ – mit diesen Worten eröffnete die Moderatorin Katie Gallus die gemeinsame Tagung von und für Vertreter führender Universitäten aus Deutschland und Kanada, vereint in der U15 Canada und in der German U15, die nur zwei Tage nach der Amtseinführung des 47. Präsidenten der USA in Hannover begann. In diesen Tagen kann man diese Worte sowohl auf die Aktivitäten von Donald Trump als auch auf die vielen anderen globalen Herausforderungen beziehen, die nicht nur die Weltpolitik, sondern zunehmend auch die internationale Zusammenarbeit von Forschenden und Forschungseinrichtungen überschatten. Kein Zweifel besteht, dass die neue US-amerikanische Regierung zu den weltweiten Herausforderungen gehört und neue schaffen wird, die neben den Konfliktherden in der Ukraine, im Nahen Osten und auf dem afrikanischen Kontinent, neben dem geostrategischen Auftreten Chinas, dem weltweit zu beobachtenden Anwachsen von populistischen und autoritären Bewegungen und Regierungen, den globalen Krisen in den Bereichen Klima, Energie und Ernährung auch den sinkenden Rückhalt demokratischer Prinzipien und das zunehmende Misstrauen gegenüber partizipativen, inklusiven und sozial gerechten Organisationsformen umfassen.

Wie gehen führende Forschungsuniversitäten mit diesen Herausforderungen um? Wie stärken sie die Gesellschaften, in denen und für die sie wirken? Wie bewahren sie ihre Unabhängigkeit und akademische Freiheit angesichts des wachsenden Drucks von einzelnen Gruppen, politischen Bewegungen oder gar machtvollen Regierungen? Wie können sie dies gemeinsam als zwei große internationale Organisationen aktiv gestalten, statt reaktiv zu handeln? Um diese Fragen ging es in Schloss Herrenhausen in Hannover, wohin die beiden nationalen Vereinigungen der 15 führenden Forschungsuniversitäten Kanadas und Deutschlands (in beiden Ländern bekannt unter dem Kürzel U15) eingeladen hatten.

Die Tagung knüpfte an die Vernetzungsbemühungen der U15 und Universitätsverbünden aus aller Welt an, die bereits im Juli 2024 mit dem „Berlin Statement“ ein Bekenntnis zur gesellschaftlichen Verantwortung von Universitäten abgelegt und gemeinsam für die Prinzipien der offenen Gesellschaft, der akademischen Freiheit sowie für Dialog und Austausch in den Wissenschaften eingetreten waren. Darauf wies auch Peter Stoicheff, Präsident der University of Saskatchewan, derzeit mit Vorsitz in den kanadischen U15, in seinem Eröffnungsvortrag hin und betonte: „these are challenging times, more than ever“. Es sei Aufgabe der großen Universitäten, sich den zersetzenden Effekten der vielfältigen Krisen zu widersetzen, die allenthalben das gesellschaftliche Miteinander zu bedrohen scheinen. Nicht zuletzt der Trend zur „hypocritization“, zum zynischen Umgang mit Fakten und zur Tatsachenverdrehung, bedrohe auch die Wissenschaften und die Bedeutung von Forschung selbst. Stoicheff hob hervor, dass der Begriff „Geopolitik“ in hochschul- und bildungspolitischen Debatten lange keine Rolle spielte und es Ausdruck der veränderten Weltlage sei, wenn sich Hochschulen nun weltweit wieder über ihre globale Verantwortung und geopolitische Strategien verständigten. Heute sähen sich Universitäten vielerorts „im Auge des Sturms“ und seien gezwungen, nicht nur Lösungen für globale Probleme zu finden, sondern auch die Voraussetzungen dazu – Forschungs- und Wissenschaftsfreiheit, freie Rede und demokratische Grundordnungen – zu verteidigen. Universitäten müssen sich zeitgleich als Ort der Entpolarisierung und der dialogischen Aushandlung präsentieren.

Was ist exzellente Forschung?

Wie Universitäten diesen epischen Auftrag erfüllen können, war Gegenstand von fünf Themenblöcken – jeweils bestehend aus einem Impulsvortrag und einer Expertendiskussion. Los ging es mit einem Blick auf die Begriffe „Exzellenz in Forschung, Innovation und globale Fachkräftemobilität“, die Prof. Uwe Cantner (Uni Jena), Vorsitzender der Expertenkommission Forschung und Innovation der Bundesregierung, Prof. Wolfgang Wick (Uni Heidelberg), Vorsitzender des Wissenschaftsrats, und Prof. Sophie D’Armour, Rektorin der Université Laval, gemeinsam mit Prof. Ed McCauley, President der University of Calgary, diskutierten. Die Definition exzellenter Forschung erwies sich als schwerer als angenommen. „Rigor, originality, impact“ waren als Kriterien für gute Forschung schnell identifiziert, aber klar wurde auch, dass wissenschaftliche Exzellenz ein dynamisches, komplexes und offenes Konzept sein muss, weil eben auch Wissenschaft offen und dynamisch ist. Beim Thema Innovation und Transfer, die beide teilweise synonym verstanden werden, wurde die Diskussion politischer, weil es geeignete politische Rahmenbedingungen braucht, um Forschungsergebnisse zügig auf und in den Markt zu bringen. Deutlich wurde, dass Deutschland in diesem Bereich im Vergleich zu Kanada deutlich schwächer aufgestellt ist. Nicht vergessen wurde aber auch der gesellschaftliche Transfer, also der Einfluss von geistes- und gesellschaftswissenschaftlicher Forschung auf gesellschaftliche Prozesse. Hier sind andere Strategien und translatorische Instrumente gefragt, die auf freien Medienzugang und eine offene Debattenkultur angewiesen sind.

„Gleichstellung, Diversität und Inklusion“ und die Frage nach der „gerechten Universität“ und ihrer Rolle für die Gesellschaft war das zweite diskutierte Thema. Ein fulminanter Vortrag von Prof. Malinda Smith, VP Forschung der University of Calgary, setzte den Ton der nachfolgenden Debatte. Sie legte ein differenziertes Konzept des Zusammenspiels von Gleichstellung, Diversität und Inklusion vor und warnte vor zunehmenden „Renaming“-Tendenzen in der Wissenschaft und Anti-Diversitäts-Trends in der Gesellschaft. Sie plädierte dafür, Universitäten als Vorbilder und Labore einer gerechten Gesellschaft zu betrachten, in denen nicht nur die Grundsätze der „EDI“ (= Equity, Diversity, Inclusion) beachtet, sondern auch akademische Tugenden wie faktenbasierte Diskussionskultur, Pluralismus und das Leistungsprinzip zum gesellschaftlichen Nutzen vorgelebt werden. Allein, so der Aufruf von Malinda Smith: „Universities have to walk the talk“ – Universitäten müssten ihren Worten auch Taten folgen lassen und mit gutem Beispiel vorangehen!

Universitäten bereits inklusiver als andere Einrichtungen?

Prof. Enrico Schleiff auf dem Panel.
Prof. Enrico Schleiff auf dem Panel.

An dieser engagierten Position entzündete sich die Diskussion des Panels. Gülay Çaglar (FU Berlin) hob hervor, dass Universitäten vielleicht ein Ort mit demokratischer Vorbildfunktion seien, nicht aber per se demokratische Orte. Als Beispiel verwies sie auf den langen Kampf der Frauenbewegung um Zugang zu akademischer Bildung. Vielmehr müsse auch um den chancengerechten und inklusiven Charakter von Universitäten immer wieder gerungen werden. Das griff Ingrid Piller (Uni Hamburg) auf mit Beispielen aus dem Universitätsalltag von Migranten, die Hochschulen keineswegs als inklusiver als andere Einrichtungen wahrnehmen. Auch Präsident Enrico Schleiff, der für die Goethe-Universität im Panel saß, betonte, dass die EDI-Grundsätze auch an deutschen Universitäten noch längst nicht hinreichend umgesetzt seien. Es sei nötig, sich an diesem Punkt ehrlich zu machen und die Unzulänglichkeiten in Sachen Gleichstellung, Diversität und Inklusion anzuerkennen und kontinuierlich an einer Verbesserung zu arbeiten. Dazu bedürfe es aber auch einer Bewertung des Erfolgs der Anstrengungen sowohl für die Universitäten selbst als auch für die Gesellschaft. Nur so könnten Entwicklungen in der Gesellschaft verankert und künftige Fortschritte erzielt werden.

Mit der „Zukunft der internationalen akademischen Zusammenarbeit unter den Bedingungen neuer geopolitischer Herausforderungen“ befasste sich das dritte Panel, das sich ebenso wie das Panel davor auf die Ergebnisse einer bi-nationalen Arbeitsgruppe stützen konnte. Darin werden die neuen Risiken infolge der krisenhaften weltpolitischen Lage für Forschungskooperationen gegenüber den Vorteilen und Notwendigkeiten von offenem Wissenschaftsaustausch und akademischem Dialog abgewogen. Daran knüpften Jeannick Brisswalter (U Cote d’Azur), Robert Mason (University Birmingham) und Günter Ziegler (FU Berlin) an, indem sie für die wichtige Funktion der „Wissenschaftsdiplomatie“, die große Bedeutung auch des physischen Austauschs und zugleich für einen verantwortungsvollen Umgang mit den Risiken für Forschung und Forschende in der internationalen Wissenschaftskooperation warben. Mona Khoury (Hebrew University Jerusalem) wechselte die Perspektive und gewährte einen beeindruckend klaren Einblick in die prekäre interne Situation der akademischen Gemeinschaft der Hebrew University infolge des Gaza-Kriegs. Die Aufrechterhaltung von zivilen Grundsätzen, die Wahrung pluralistischer Diskussionsformen und die Beachtung von Diversität stellt sich hier als ein Aufbäumen gegen Bürgerkrieg und Radikalisierung in einer von Israelis und Arabern gleichermaßen geprägten Universität dar.

Weltweit Einschränkungen akademischer Freiheit

Ein furioser Keynote-Vortrag von Shalini Randeria (Central European University) leitete die Sektion ein, die sich mit Wissenschaftsfreiheit und der Frage „Wie können Universitäten als Räume des offenen Diskurses bewahrt werden?“ beschäftigte. Randerias Vortrag schöpfte aus ihrer dramatischen Erfahrung als Präsidentin der Central European University. Wie weithin bekannt, wurde diese Universität durch die Regierung Viktor Orbans aus dem Land gedrängt und musste von ihrem ursprünglichen Standort in Budapest nach Wien umsiedeln. Sie zeichnet sich durch eine multinationale und transkulturelle akademische Gemeinschaft aus, in der je nach Herkunft unterschiedliche Erfahrungen mit eingeschränkter oder unterdrückter Akademischer Freiheit gemacht wurden. Katrin Kinzelmann (Uni Erlangen-Nürnberg), eine Expertin für den internationalen Vergleich von akademischer Freiheit, konnte die Beobachtungen Randerias nur bestätigen: Trotz internationaler Vereinbarungen zur rechtlichen Absicherung der Meinungs- und Wissenschaftsfreiheit sind weltweit zunehmend Einschränkungen der akademischen Freiheit zu verzeichnen. Regierungen üben Druck auf Wissenschaftler*innen aus, Forschende und Lehrende sehen sich in immer mehr Ländern zu Selbstzensur gezwungen, vermeiden kritische Forschungsthemen oder halten unbequeme Forschungsergebnisse zurück. Diesen Befund konnte Kai Sicks, Generalsekretär des DAAD, aus eigener Anschauung und aufgrund von Berichten aus dem DAAD-Netzwerk bestätigen.

Auch die „Wege zu nachhaltigen Ernährungssystemen“ wurden in einem Panel diskutiert. Die Beiträge führten drastisch vor Augen, wie fundamental Forschung und Wissenschaft für das Überleben der Menschheit sind. Matin Qaim (Uni Bonn) unterstrich in seinem Vortrag die existenzielle Bedeutung einer nachhaltigen Lebensmittelproduktion, denn ein Fortbestehen der gegenwärtigen Produktions- und Ernährungsweise stellt die Menschheit nur vor die Wahl, entweder zu verhungern oder an Treibhausgasen zu ersticken. Er stellte alternative Konzepte und Entwicklungen vor (darunter auch ungewohnte Ernährungsalternativen), die in der sich anschließenden Podiumsdiskussion näher vorgestellt wurden. Angela Bedard-Haughn (Uni Saskatechwan), Peter Dannenberg (Uni Köln) und Thomas Heckelei (Uni Bonn) stimmten mit Qaim überein, dass die Lösung nur in interdisziplinären Anstrengungen liegen könne.

Man könnte vermuten, dass die Tagung nachgerade eine pessimistische Note hatte. Dem war aber nicht so, denn in Erinnerung bleibt das energische Bekenntnis zur gesellschaftlichen Verantwortung von Universitäten. Dass dies in einem transatlantischen Rahmen geschehen konnte, war der eine von zwei großen Verdiensten dieser Veranstaltung. Zudem wurden in den Gesprächen zwischen den U15-Universitätsleitungen die weitere Zusammenarbeit in den Handlungsfeldern verabredet und neue Ziele identifiziert. Der andere Erfolg lag in den vielen persönlichen Begegnungen und Gesprächen, die zu vielfältigen deutsch-kanadischen Kontakten führten. Die enge Zusammenarbeit der deutschen und kanadischen U15 ist in Schloss Herrenhausen jedenfalls für die nächsten Jahre gefestigt worden.

Prof. Enrico Schleiff ist Präsident der Goethe-Universität; Dr. Katharina Meyer ist Stellvertretende Leiterin des Büros für Chancengerechtigkeit; Dr. Johannes Müller ist Leiter des Global Office.

*„Globale Verantwortung wahrnehmen: Wie Forschungsuniversitäten die Gesellschaft stärken“, 22./23. Januar 2025, Schloss Herrenhausen, Hannover – gemeinsame Tagung der U15 Deutschlands und Kanadas.

Relevante Artikel

Dr. Clementina Gentile Fusillo, Dr. Larissa Wallner

Demokratieforschung in Zeiten von Krisen

Zwei neue Fellows am Forschungskolleg Humanwissenschaften Die italienische politische Theoretikerin Dr. Clementina Gentile Fusillo arbeitet auf Einladung von Professor Rainer

Autorin Anne Cathrine Bomann (l.) und ihre Übersetzerin Franziska Hüther.

Dänen siezen nicht

Im Rahmen eines Tandemprojektes haben dänische Germanistik-Studierende deutsche Dänisch-Studierende in Frankfurt besucht. Dabei stand der interkulturelle Austausch auch mit dänischer

In Archiven verschollen

Das Projekt „Lost in Archives“ möchte innovative Frauen des 18. und 19. Jahrhunderts, die über die Zeit in Vergessenheit geraten

Öffentliche Veranstaltungen

You cannot copy content of this page