Romantikforschung: 4. Workshop der Serie »Kalathiskos«

Seit 2021 ist an der Goethe-Universität eine wissenschaftliche Workshopserie beheimatet, die sich mit den vergessenen und in Forschung und akademischer Lehre vielfach marginalisierten Schriften und künstlerischen Beiträgen von Frauen auseinandersetzt, die sich dem literatur- und kulturgeschichtlichen Netzwerk der deutschsprachigen Romantik zuordnen lassen. Neue Forschungsbeiträge sammeln die Gründerinnen der Serie, Frederike Middelhoff, Professorin für Neuere Deutsche Literatur mit dem Schwerpunkt Romantikforschung, und Martina Wernli, Privatdozentin am Institut für Deutsche Literatur und ihre Didaktik sowie Herausgeberin des Bandes Schriftstellerinnen der Romantik (2022), im Anschluss an Sophie Mereaus (1770 –1806) Journaltitel Kalathiskos (1800/1801).

Kalathisken bezeichnen – wie Mereau selbst anmerkt – im Griechischen die „Spinn- und Arbeitskörbchen“ der Frauen. Sammeln, sichten, analysieren, kommentieren und diskutieren sind Grundprinzipien der Serie Kalathiskos. Autorinnen der Romantik. Für diesen wissenschaftlichen Austausch, der Studierenden und Angehörigen der Goethe-Universität ebenso offensteht wie der interessierten Öffentlichkeit, luden Middelhoff und Wernli nun zum vierten Mal renommierte Wissenschaftler: innen und Early Career Researchers an die Goethe-Universität ein. Nach Veranstaltungen zu Karoline von Günderrode (1780 –1806) und Rahel Levin Varnhagen (1771–1833) im Jahr 2021 und zu Dorothea Schlegel (1764 –1839) im vergangenen Jahr, stand vom 9. bis 11. März 2023 eine Auseinandersetzung mit dem Werk Wilhelmina von Chézy, geb. Klencke (1783–1856) auf dem Plan, zu dem internationale Wissenschaftler:innen geladen waren, die sich u. a. Chézys Pionierleistung in Bezug auf die romantische Reportage, mit dem Zusammenhang von Ökonomie und Autorinschaft, mit Chézys Funktionalisierung von Namen oder mit ihren Strategien mit Blick auf ihre umfangreichen Korrespondenzen beschäftigten.

Schon vierzehnjährig schrieb die gebürtige Berlinerin ihre ersten literarischen Texte, wurde achtzehnjährig Korrespondentin in Paris, nachdem sie von der erfolgreichen Autorin Félicité de Genlis (1746 –1830) persönlich in die französische Metropole eingeladen worden war, und publizierte fortan bis zu ihrem Lebensende eine bislang noch immer nicht übersichtlich zusammengestellte und editorisch aufbereitete Vielzahl von Gedichten, Erzählungen, Romanen, Reiseschriften, Schauspielen, Libretti (u. a. für Webers romantische Oper Euryanthe), Übersetzungen, Literatur- und Kunstkritiken sowie journalistischen Texten. Fehlende Editionen sind ein nach wie vor aktuelles Thema und häufiger Frustrationsgrund in der Beschäftigung mit den Schriftstellerinnen der Romantik. Chézy bildet hier leider keine Ausnahme. Die meisten ihrer Schriften sind allein im Google-Universum zu finden.

Helmina von Chézy (Zeichnung von Wilhelm Hensel)

Chézy war mit zeitgenössischen Autoren und Autorinnen und den wichtigsten Intellektuellen um 1800 äußerst gut vernetzt. In ihrer 1858 in zwei Teilen erschienenen Autobiografie Unvergessenes. Denkwürdigkeiten aus dem Leben, entfaltet sich auf gut 700 Seiten ein umfassendes Porträt des Who is Who der deutschen und französischen Kulturszene um 1800. Auch die turbulenten politischen Ereignisse zu Beginn des 19. Jahrhunderts geraten in den Blick. Welche kulturvermittelnde Rolle Chézy an verschiedenen Orten (vor allem: Paris, Wien, Dresden, Heidelberg und München) einnahm, zeigt exemplarisch ihr Austausch mit George Sand [eigentlich: Amantine Dupin de Francueil] (1804 –1874), mit der Chézy in ihren späten Lebensjahren innigen Kontakt pflegte.

Chézy nutzte das Renommee ihrer überregional gefeierten Großmutter, der Dichterin Anna Louisa Karsch (1722 –1791), gezielt als Werbestrategie für ihre eigenen Texte, machte sich aber frühzeitig auch einen eigenen Namen als Schriftstellerin – und publizierte als „Helmina von Hastfer“ (so der Name ihres ersten Mannes) bzw. „Helmina von Chézy“ (so der Name ihres zweiten Mannes). Bekannt wurde sie vor allem durch ihre zweibändige, aus Essays, Übersetzungen, Gedichten, Berichten und Kritiken zusammengestellte Textkollektion Leben und Kunst in Paris (1805/07). Dass Leben und Kunst in Paris als Hommage an die culture parisiènne in genau in den Jahren erschien, als Napoleons militärischer Siegeszug seinen Höhepunkt erlebte, kann mitnichten als Zufall gelten. Das Buch bringt den Reichtum französischer Kultur und Geschichte als Gegenmodell eines französischen Expansionismus in Stellung und lässt Chézy als Kulturvermittlerin Frankreichs sichtbar werden.

Der Workshop verdeutlichte die beeindruckende Breite der Kunstformen und -gattungen, deren Klaviatur Chézy virtuos beherrschte. Deutlich wurde gleichermaßen auch das Desiderat einer Gesamtedition, die Chézys umfangreiches, oftmals in namhaften Zeitschriften weitläufig verstreutes Werk versammelt, kommentiert und kontextualisiert. Die Beiträge des Workshops sind für die Publikation in der wissenschaftlichen Buchreihe Neue Romantikforschung vorgesehen. Ein fünfter Kalathiskos-Workshop für das Jahr 2024 ist in Planung.

Die Kalathiskos-Reihe wird durch den Fonds des Klaus Heyne-Preises zur Erforschung der Deutschen Romantik gefördert; der Chézy-Workshop wurde zusätzlich durch den Verein der Freunde und Förderer der Goethe-Universität unterstützt.

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