Für die anstehende Runde der Exzellenzstrategie des Bundes und der Länder bewirbt sich die Goethe-Universität Frankfurt mit vier neuen Clustern zu den Forschungsthemen Vertrauen im Konflikt (CONTRUST), Infektion und Entzündung (EMTHERA), Ursprung der Schweren Elemente (ELEMENTS) und zelluläre Architekturen (SCALE). Die Anträge vereinen die Kompetenzen und zukunftsweisenden Ideen der Goethe-Universität mit denen der Kolleg:innen des Verbunds der Rhein-Main-Universitäten (RMU) und weiterer Partner der vier großen Organisationen der außeruniversitären Forschung. Der seit 2019 bestehende Exzellenzcluster Cardiopulmonary Institute (CPI) wird im kommenden Jahr direkt einen Vollantrag einreichen.
Bonnie Murphy erforscht die wohl vielseitigste Gruppe von Zellbausteinen, die Proteine. Genauer gesagt begeistert sich die Gruppenleiterin am Max-Planck-Institut für Biophysik für molekulare Maschinen, also Komplexe aus Proteinen, die zusammenarbeiten, um eine bestimmte Aufgabe zu erfüllen, also um etwas zu bauen, Nahrung zu verwerten oder die Zelle zu beschützen. „Ich möchte verstehen, wie diese Maschinen funktionieren, insbesondere wie ihre Struktur ihre Funktion beeinflusst“, erklärt Murphy. Mit ihrem Team setzt sie dafür vor allem auf die Kryo-Elektronenmikroskopie (Kryo-EM), mit der man Details bis fast zum einzelnen Atom sichtbar machen kann. Durch schnelles Einfrieren (kryos = griechisch für kalt) werden die Proben vor der Mikroskopie in ihrem jeweiligen Zustand konserviert. Indem man mithilfe von Bildverarbeitungssoftware kleine Unterschiede in diesen Momentaufnahmen aufspürt, lässt sich dann sogar rekonstruieren, wie sich die molekularen Maschinen bewegen – „und damit, wie sie möglicherweise funktionieren könnten“, freut sich die Strukturbiologin. Durch die Bestrahlung mit Elektronen gewinnt man anschließend ein Abbild der Proben – genauer eine Karte ihrer Elektronendichte. Aus diesem zweidimensionalen Schwarz-Weiß-Bild lässt sich durch die Kombination vieler Bilder ein dreidimensionales Bild rekonstruieren. Dieses wiederum lässt sich in ein Atommodell umrechnen. Dafür ist es hilfreich, dass über Proteine bereits Informationen vorab bekannt sind, wie die Wissenschaftlerin erläutert: „Proteine bestehen aus einer Kette von Aminosäuren, die mehr oder weniger komplex gefaltet wird. Die Abfolge der Aminosäuren erleichtert es uns zu bestimmen, was im Atommodell an welcher Stelle liegen muss.“
Vom Molekül zur Zelle
Zu wissen, wie einzelne molekulare Maschinen arbeiten, reicht allerdings nicht aus, um zu verstehen, wie eine ganze Zelle funktioniert. „Denn dies hängt auch mit der zellulären Organisation der Zelle zusammen“, weiß Murphy. Genau diese Zell-Architektur steht im Zentrum des neuen Forschungsverbunds SCALE (Subcellular Architecture of Life), der sich derzeit in der Exzellenzinitiative um Fördergelder der Deutschen Forschungsgemeinschaft bewirbt. „Bei SCALE liegt der Fokus darauf herauszufinden, wie ihre innere Organisation der Zelle ermöglicht, als Einheit zu funktionieren“, fasst die Gruppenleiterin zusammen und fügt hinzu, dass die Kryo-EM – und insbesondere die Kryo-Tomographie – zur Bearbeitung dieser Fragestellung bestens geeignet sind. Bei der Tomographie wird mit dem Elektronenmikroskop eine Vielzahl an Bildern aus unterschiedlichen Winkeln aufgenommen, die dann zu einem dreidimensionalen Bild zusammengesetzt werden können.
Die innere Organisation der Zelle – also beispielsweise, dass es abgetrennte, von einer Membran umhüllte Kompartimente, die sogenannten Organellen, gibt – hat für Biomoleküle Konsequenzen. So sind Proteine, je nachdem, wo sie sich in der Zelle befinden – im Zellplasma, in einem Organell oder in einer Hüllmembran – ganz verschiedenen Bedingungen ausgesetzt: Sie kommen in Kontakt mit unterschiedlichen Ionen, pH-Werten oder Lipiden, die die Membranen der Zelle und ihrer Kompartimente bilden. „All diese Faktoren ermöglichen den komplexen ‚Tanz‘, der es einzelnen Molekülen erlaubt, so zu kooperieren, dass eine funktionierende Zelle entsteht“, so die Strukturbiologin. Aus diesem Grund sei es wichtig, mit der Kryo-EM auch solche Faktoren abbilden zu können und zu verstehen, wie sie in Abhängigkeit von der subzellulären Architektur variieren.
Detailreiche Aufnahmen
Ein anschauliches Beispiel hierfür sind Hilfsfaktoren, die bei vielen molekularen Maschinen für die Aktivität wichtig sind. „Da diese Metalle, Lipide oder kleinen Moleküle nicht in der Aminosäuresequenz verschlüsselt sind, ist ihr Auffinden in der Rekonstruktion eines elektronenmikroskopischen Bilds eine besondere Herausforderung für die Strukturbiologie“, so Murphy. Mit ihrem Team arbeitet sie deshalb daran, Kryo-EM-Techniken so weiterzuentwickeln, dass diese Faktoren besser verstanden werden können. Ganz neue Möglichkeiten bieten hier Verfahren, die in den Materialwissenschaften zum Aufspüren von Elementen verwendet werden. Allerdings sind die meisten unbelebten Materialien unempfindlich gegenüber dem Beschuss mit Elektronen, während Biomoleküle dadurch zerstört werden. Letztere dürfen deshalb immer nur mit wenigen Elektronen beschossen werden, weshalb einzelne Aufnahmen nur wenige Details zeigen. „Aus diesem Grund setzen wir viele einzelne Aufnahmen zu einer Rekonstruktion zusammen“, verrät die Gruppenleiterin. „Indem wir Techniken der analytischen EM mit den Bildverarbeitungsalgorithmen der Kryo-EM zur Rekonstruktion von dreidimensionalen Bildern kombinieren, verhindern wir, dass zu starke Bestrahlung im Mikroskop unsere biologischen Proben zerstört und erhalten trotzdem detailreiche Aufnahmen.“ Man habe bereits Fortschritte dabei gemacht, diese Technik auf einzelne molekulare Maschinen anzuwenden und hoffe nun, „sie im Rahmen von SCALE auf die Erforschung der subzellulären Architektur übertragen zu können”.
Ein inhaltlicher Schwerpunkt von SCALE sind die Mitochondrien – die sogenannten „Kraftwerke der Zelle“. Sie heißen so, weil in ihnen Nährstoffe abgebaut werden, um daraus Energie zu gewinnen. „Mitochondrien sind für jede Zelle überlebenswichtig und ihr Ausfall ist mit einer Vielzahl von Krankheiten assoziiert“, so Murphy. „In SCALE wollen wir herausfinden, wie die Struktur der Mitochondrien ihre Funktion beeinflusst und wie das zur Gesunderhaltung der Zelle beiträgt.“ Dazu sollen auch die neuen Kryo-EM-Techniken beitragen.
Lebende Zellen sichtbar machen
Wie die räumliche Anordnung von Proteinen in der Zelle ihre Funktion beeinflusst, interessiert auch Mike Heilemann, der am Institut für Physikalische und Theoretische Chemie der Goethe-Universität „optische Zellbiologie“ betreibt und ebenfalls zum SCALE-Verbund gehört. „Wir entwickeln Methoden, um die räumliche Anordnung von Proteinen in Zellen sichtbar zu machen“, erläutert der Chemiker. Um dies auch in lebenden Zellen zu visualisieren, kommt ein Beschuss mit Elektronen nicht infrage. Stattdessen nutzt Heilemann die Lichtmikroskopie, genauer die Fluoreszenzmikroskopie. „Dafür markieren wir Biomoleküle mit Fluoreszenzfarbstoffen. Werden diese mittels Laserlicht angeregt, leuchten sie und wir können das markierte Molekül im Lichtmikroskop sehen“, so der Forscher.
Für die Untersuchung ganzer Zellen ist die Lichtmikroskopie perfekt geeignet. Für die Visualisierung von Organellen oder einzelnen Proteinen reicht die Auflösung dagegen nicht mehr aus. Dieser Abstand, in dem zwei Punkte gerade noch getrennt wahrgenommen werden können, entspricht etwa der Hälfte der Wellenlänge des verwendeten Lichts. „Für die Lichtmikroskopie liegen wir damit bei etwa 200 bis 300 Nanometern“, erklärt Heilemann. Ein Protein ist aber meist nur wenige Nanometer groß. Einzeln kann es über Fluoreszenzfarbstoffe dennoch problemlos sichtbar gemacht werden. Liegen Proteine allerdings dicht gedrängt vor wie in einer Zelle, sieht man nur noch ein verschmiertes Bild. „Genau das wollen wir ändern“, fasst der Mikroskopie-Experte zusammen.
Neuronale Netze verbessern die Auflösung
Den Trick der sogenannten Einzelmolekül-Lokalisierungsmikroskopie beschreibt Heilemann folgendermaßen: „Wir programmieren die Fluoreszenzfarbstoffe so um, dass im Gedränge immer nur ein Protein pro Zeiteinheit leuchtet. Durch die zeitliche Trennung der Signale können wir für jedes Protein die Position unabhängig von der Auflösungsgrenze bestimmen.“ Zwei Verfahren lassen sich derzeit dazu nutzen: Entweder wird ein zusätzlicher Schritt eingebaut, der es den Fluoreszenzfarbstoffen überhaupt erst ermöglicht, Licht abzugeben. Oder die Fluoreszenzsonden werden so konstruiert, dass sie nur sehr kurz an Biomoleküle binden. Dadurch leuchten immer nur wenige Proteine gleichzeitig auf und das in zufälliger Verteilung. So kann ihre Position bestimmt werden, ohne dass sich eng nebeneinanderliegende Proteine in die Quere kommen. Da auf diese Weise jedes Protein einzeln angeschaut werden muss, ist die Einzelmolekül-Lokalisierungsmikroskopie jedoch sehr langsam. Mithilfe von Künstlicher Intelligenz hat Heilemanns Team aber auch dieses Problem gelöst: „Wir haben ein neuronales Netz trainiert, das anhand unserer Mikroskopiebilder gelernt hat, die Position von Molekülen zu bestimmen, die sehr nah aneinanderliegen. Damit beschleunigen wir die hochauflösende Mikroskopie und können auch schnelle Prozesse in lebenden Zellen visualisieren, beispielsweise die strukturelle Dynamik von Organellen.“ Ist das neuronale Netz einmal für ein bestimmtes Mikroskop trainiert, stellt es dafür eine Art digitale Erweiterung dar, die immer wieder genutzt werden kann.
Austausch zwischen Fachdisziplinen
Zum Einsatz kommt diese Technik in Heilemanns Labor etwa für die Erforschung von Wachstumsrezeptoren, die eine wichtige Rolle bei Krebserkrankungen spielen. „Die Rezeptoren sitzen in der Zellmembran und nehmen an der Außenseite der Zelle bestimmte Botenstoffe wahr“, erklärt der Gruppenleiter. „Nach der Bindung eines Botenstoffs leiten sie ein Signal mit einer Handlungsanweisung ins Innere der Zelle weiter. Dabei hängt die Art des Signals entscheidend davon ab, mit welchen anderen Proteinen die Rezeptoren Komplexe bilden und das können wir mit unseren Mikroskopen untersuchen.“ Im SCALE-Cluster sieht sich der Mikroskopie-Experte als Methodenentwickler vielseitig einsetzbar. „Die Idee von SCALE ist es, viele verschiedene Methoden zusammenzubringen und durch die Integration dieser Daten eine Art digitalen Zwilling der menschlichen Zelle zu erstellen.“ Anhand dieser digitalen Zelle sollen dann Experimente vorab simuliert werden, etwa die Wirkung von Behandlungen.
Konsortien wie SCALE hätten den Vorteil, dass Leute aus verschiedenen Fachrichtungen miteinander reden und dabei neue Ideen herauskommen, ist der Chemiker überzeugt. In seinem Team arbeiten ebenfalls Forschende der verschiedensten Fachrichtungen zusammen. „SCALE ist thematisch tatsächlich im Herzen meines Interesses“, freut sich Heilemann und erwartet jede Menge Herausforderungen. „Aber das ist hochgradig spannend! Wenn wir es schaffen, so einen digitalen Zwilling zu erstellen, können wir sagen, dass wir die Zelle wirklich verstanden haben.“ Auch Murphy glaubt, dass sich SCALE hervorragend dafür eignet, Gruppen mit verschiedener Expertise zusammenzubringen. Da sie mit ihrem Team bisher vor allem auf der Ebene der individuellen Maschinen gearbeitet hat, sieht sie im Konsortium eine Chance, mehr über kompliziertere Systeme zu lernen. „Wir freuen uns darauf, als Teil des SCALE-Clusters unsere Methoden weiterentwickeln zu können, um zu verstehen, wie Organellen und Zellen funktionieren.“
Larissa Tetsch
SCALE
Der Name der Clusterinitiative SCALE steht für »Subcellular Architecture of Life«. Im Forschungsverbund SCALE wollen Frankfurter Forscherinnen und Forscher die Struktur der menschlichen Zelle untersuchen.
Dafür nutzen und entwickeln sie ausgefeilte Techniken, um kleinste Details sichtbar machen zu können. Die Initiatoren von SCALE wollen dabei bewusst eine traditionelle Stärke der Forschenden auf dem Campus Riedberg fortsetzen.
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