Vom 19. bis 21. September findet am Forschungskolleg Humanwissenschaften die Bad Homburg Conference 2019 statt. Diesmal dreht sich alles um das Thema Künstliche Intelligenz und die Frage, inwiefern wir Algorithmen vertrauen können. Wir haben uns im Vorfeld mit Prof. Matthias Lutz-Bachmann, Direktor des Forschungskollegs, zum Interview getroffen.
Anke Sauter: Das Wissenschaftsjahr steht unter dem Motto Künstliche Intelligenz – KI –, und man hat den Eindruck: Dieses Thema ist aus dem Dornröschenschlaf erwacht. Auch die Bad Homburg Conference widmet sich von 19. bis 21. September der Künstlichen Intelligenz.
Matthias Lutz-Bachmann: Ich habe auch den Eindruck: Anders als bei anderen Themen wird das Thema KI nun geradezu überfallartig in allen Bereichen von Gesellschaft und Politik diskutiert. Auch in den Wissenschaften. Natürlich ist KI in der Computerwissenschaft schon lange ein zentrales Thema, aber in der Breite der Gesellschaft ist dieses Thema erst jetzt angekommen, und wir haben es wissenschaftlich nicht hinreichend begleitet, nicht vorbereitet. Auch und gerade im Pro und Kontra der Folgen, die damit verbunden sind für uns im Leben als Bürger, als Konsumenten, als Patienten, als Kreditnehmer im Finanzbereich, als automobile Mitglieder einer mobilen Gesellschaft. Überall kommt KI zum Einsatz, und wir merken im Zuge der Einführung dieser Systeme, wie sich zugleich für uns Menschen Handlungsspielräume verändern – und hier setzt jetzt spät, aber nicht zu spät der wissenschaftliche Disput ein. Wir laden mit der Konferenz dazu ein, die verschiedenen wissenschaftlichen Perspektiven miteinander auszutauschen, und kommen vielleicht zu ersten, hoffentlich gemeinsamen Ergebnissen.
Es scheint, als würde KI von der einen Seite als Heilsbringer angesehen für alle möglichen Probleme, die wir bis jetzt nicht lösen konnten, von der anderen Seite aber als Bedrohung und Gefahr für die Freiheit des Individuums und den Schutz seiner Persönlichkeit. Kann die Wissenschaft das zusammenführen?
Wir wollen am Ende der Konferenz eine Bilanz ziehen – auch wenn wir unterschiedliche Bewertungen vornehmen vom Soll und Haben, Pro und Kontra, Risiken und Chancen. Jedem bleibt es selbst überlassen, seine eigene Stellung zu beziehen, das werden wir als Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler nicht übernehmen können. Aber wir können und müssen die Politik beraten, wir können und müssen die Wirtschaft beraten. Wir verschreiben uns nicht blauäugig irgendeinem „Fortschrittsprojekt“, ohne auch die Risiken in den Blick zu nehmen. Ich sehe Chancen, aber ich sehe auch erhebliche Risiken; erkennbar ist: Wir müssen den Prozess der Einführung von KI politisch, moralisch, rechtlich steuern.
In anderen Ländern gibt es offenbar weniger Bedenken.
Wir können es nicht machen wie China – oder die USA, die KI anwenden, um die Sozialprognose von Menschen auszurechnen und auf diese Weise Strafmaß und gegebenenfalls Therapie festzulegen. Das kann nicht unser Weg sein. Wir in Europa müssen uns immer wieder daran erinnern, dass diese Systeme nicht die Freiheit – und das heißt philosophisch: die Autonomie – des Menschen abschaffen dürfen. Sie werden diese Freiheit verändern, und wir werden sie zu gestalten haben in neuer Weise. Vielleicht bereits auf der Ebene der Algorithmen.
Die Abstinenz der Wissenschaft ist vielleicht auch dadurch zu erklären, dass das, was hier passiert, schwer zu durchschauen ist. Wer einer anderen Disziplin angehört als der Informatik, versteht meist nicht, wie Algorithmen funktionieren. Ist das der Beginn einer ganz neuen Interdisziplinarität?
In jedem Fall. Die Informatiker sitzen in Bad Homburg mit am Tisch. Und die weiteren Disziplinen Rechtswissenschaft, Wirtschaftswissenschaften, Philosophie, Medizin, Politikwissenschaft ebenso. Und wir werden voneinander erst die verschiedenen Perspektiven lernen müssen, um uns dann die Vor- und Nachteile wechselseitig präsentieren zu können. Auch ich weiß noch viel zu wenig. Mit dieser Konferenz ist für das Forschungskolleg Humanwissenschaften auch ein Auftakt verbunden: Wir werden das Thema für die nächsten Jahre in ein zentrales Forschungsfeld ausbauen, und dafür markiert die Bad Homburg Conference einen idealen Startschuss.
Sie haben es ja schon erwähnt: Es gibt an der Goethe-Uni durchaus schon Expertise für das Thema – jenseits der Informatik. Wo liegen denn hier die Stärken?
Die Goethe-Universität war Vorreiterin beim Themenkreis Digitalisierung und Recht: Wenn es um den Schutz der Freiheitssphäre geht, als Konsument oder als Staatsbürger; das Hessische Datenschutzgesetz ist ganz wesentlich durch Herrn Simitis von der Goethe-Uni, der ja auch mein Vorgänger als Direktor am Forschungskolleg war, mitgestaltet worden. Wir können aber auch noch auf andere Personen zurückgreifen: Da gibt es Simitis‘ Nachnachfolgerin Indra Spieker, wir haben außerdem mit Christoph Burchard, den wir im Rahmen der Neuberufungen des Exzellenzclusters gewinnen konnten, einen weiteren Experten, der sich im Rahmen des Rechts mit der Thematik befasst. Natürlich haben wir die Kollegen aus der Informatik, wir sehen, dass im FIAS (Frankfurt Institute for Advanced Studies) eine Forschungsinitiative auf dem Weg ist. Bei der Bad Homburg Conference arbeiten wir auch eng mit dem FIAS zusammen, das FIAS war an der Vorbereitung der Konferenz beteiligt. Wir werden aber nicht an den Grenzen der Goethe-Uni haltmachen, sondern versuchen, auch Darmstadt, Gießen, Mainz – also RMU und Hessen Süd – mit einzubeziehen, und auch jenseits dessen die internationale Perspektive, die notwendig ist.
Wie groß ist das Interesse an der jetzigen Veranstaltung?
Es gibt ein lebhaftes Interesse, wir haben für Freitag und Samstag schon weit mehr als 100 Anmeldungen. Wahrscheinlich werden wir auch Absagen erteilen müssen. Wir suchen ja bei diesem Typ von dialogorientierter Veranstaltung das normale öffentliche Bürgergespräch mit der Wissenschaft, denn das Thema geht ja jeden an.
Sie haben die Abschlussveranstaltung überschrieben mit „Künstliche Intelligenz oder die Wiederentdeckung der Zukunft“. Ist die Zukunft denn verlorengegangen oder in Vergessenheit geraten?
Das ist der Versuch, natürlich ein bisschen pointiert formuliert, nicht nur eine Gegenwartsanalyse vorzunehmen, sondern auch zu schauen: Was sind die realistischer Weise erwartbaren Entwicklungen der nächsten Jahre? Wir sollten diese weder nur pessimistisch als Verhinderung von Zukunft, von lebenswerter Zukunft, begreifen, noch als Verheißung eines technologischen Wunderwerks und Paradieses, auf das wir alle nur gewartet hätten. Die Wahrheit wird irgendwo in der Mitte liegen. Wichtig ist für uns und für die Entscheider in der Politik, dieses „Irgendwo“, also die Grenzlinien dessen, was zuträglich ist und hilft – etwa in der Medizin – und was in einer Weise eingreift, die Freiheit und Würde von Menschen beeinträchtigt, immer wieder neu zu ziehen und zu definieren. Dann hat das auch rechtliche und politische Folgen. „Wiederentdeckung der Zukunft“ heißt: Wie können wir die Zukunft mit dieser Technologie verträglich – oder wie das Thema heißt: vertrauensvoll – für uns ausgestalten? Wie können die Algorithmen so geschrieben werden, dass wir uns darin auch wiederfinden und uns nicht einer fremdwerdenden Rationalität gegenüber sehen, die uns beherrscht und der wir ausgeliefert sind? Wir wollen doch alle eine Zukunft, die wir gestalten können und die uns nicht überrollt.
Die Fragen stellt Dr. Anke Sauter