Noch bis 16. Mai sind im Berliner Martin-Gropius-Bau über 120 Originalkopien von bis 30.000 Jahre alten Felsmalereien zu bewundern. Kurator der Ausstellung ist der Ethnologe Dr. Richard Kuba vom Frobenius-Institut.
„Ein Triumph ohne Prominenz, etwas, worauf das Publikum nicht vorbereitet ist“, so schrieb die Süddeutsche Zeitung in ihrem Feuilleton zur Ausstellung der Felsbilder aus dem Frankfurter Frobenius-Institut der Goethe-Universität. Noch bis zum 16. Mai sind im Berliner Martin-Gropius-Bau mehr als 120 gemalte Originalkopien von bis 30.000 Jahre alten Felsmalereien aus Europa, Afrika und Asien zu bewundern, die seit über 50 Jahren nicht mehr öffentlich gezeigt wurden. „Kunst der Vorzeit – Felsbilder aus der Sammlung Frobenius“ ist der Titel der Ausstellung.
Die Einmaligkeit dieser fast vergessenen Inspirationsquelle der modernen Kunst hat sich herumgesprochen: „Die bisherigen Besucherzahlen übertreffen mit mehr als 20.000 unsere positivsten Prognosen“, freut sich der Kurator der Ausstellung und Sammlungsleiter, der Frankfurter Ethnologe Dr. Richard Kuba. Tanzende und schreitende Figuren, spinnenbeinige Zwitterwesen, tierköpfige Menschen, kämpfende Altbüffel, Elefanten und Mammuts, Gruppen von Rindern, Elenantilopen und Zebras in ochsenblutroten und bräunlichen Tönen erzählen eine Weltgeschichte der anderen Art. Und zahlreiche Betrachter erleben ein „Déjà-vu“: Viele dieser Elemente kennen sie von Miró, Klee, Picasso, Pollock oder Giacometti. Sind die Felsbilder vielleicht der Ursprung der Moderne?
„Bilderbuch der Menschheitsgeschichte“: 120 Originalkopien von prähistorischen Felsbildern
Neben den 120 Felsbildern selbst, von denen einige bis zu zehn Meter lang sind und im Gropius-Bau optimal gehängt werden konnten, geht die Ausstellung auch auf die Entstehungsgeschichte der Kopien ein. In ausführlichen Texten werden die Malerinnen dieser Originalkopien vorgestellt und in Fotografien bei ihrer Arbeit an den Felswänden in Afrika gezeigt. Außerdem dokumentieren Fotos und Zeichnungen die mehr als zwölf Expeditionen, die der exzentrische Ethnologe Leo Frobenius (1873-1938) mit seinem großen Team unternommen hat. Frobenius, der Mitte der 1920er Jahre nach Frankfurt kam, betrachtete die prähistorische Felskunst als „Bilderbuch der Menschheitsgeschichte“.[dt_gap height=“15″ /]
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Frobenius war ein echtes Kommunikationstalent, er beherrschte schon damals das Geschäft der Drittmittel-Akquise perfekt und hatte neben dem ehemaligen Kaiser noch viele weitere Gönner. Er selbst schickte einen Teil seiner mehr als 5000 Felsbild-Kopien in den 1920er und 1930er Jahren auf die Reise. Frobenius ließ die Kopien mit dem Label „copied by hand“ in vielen Großstädten Europas ausstellen und durch über 30 amerikanische Städte touren.
Joan Miró, Pablo Picasso und viele Maler der Moderne entdeckten Frobenius‘ Felsbilder
Allein in Paris gastierten die Bilder zweimal: 1930 in der Salle Pleyel und 1933 im Musée d’Ethnographie du Trocadéro. Dazu die französische Kunsthistorikerin Dr. Hélène Ivanoff, die zurzeit als Postdoc am Frobenius Institut arbeitet und auch maßgeblich an der Berliner Ausstellung mitgewirkt hat: „Ethnografische Objekte aus Afrika wurden zur Inkarnation künstlerischer Modernität. Und dabei ging es nicht nur um formelle Analogie; die Künstler jener Zeit, die die Ausstellungen besuchten, sprachen vom Ursprung der Kunst – und diese künstlerischen Diskurse prägten auch ihr Schaffen.“ Auf der Einladungsliste der Pariser Salle Pleyel standen 1930 Namen wie Joan Miró und Pablo Picasso. Der Maler André Lhote schrieb nach seinem Besuch: „Die Pariser konnten … eine Ausstellung von überwältigender Modernität bewundern: In einer Serie von Fresken, deren beeindruckendste sieben Meter Länge erreichten, rollten die teuflischsten Erfindungen eines Miró, eines Max Ernst, eines Jean de Bosschère, die üblen Machenschaften und Graffitis eines Klee vor ihren Augen ab.“
In ihrem Katalog-Aufsatz berichtet Hélène Ivanoff auch von der berühmten Ausstellung im New Yorker Museum of Moderne Art, wo 1937 zum ersten Mal Felsbildkopien neben Kunstwerken der Moderne gezeigt wurden – so Gouachen von Joan Miró, Zeichnungen von Michail Larionow, Plastiken und Gipsabgüsse von Hans Arp und Ölgemälde von Paul Klee. Für die Kunsthistorikerin ist es nur zu verständlich, dass der Gründungsdirektor des Museums Alfred H. Barr die von Frobenius als „Formlinge“ bezeichneten Konturen, die einem modernen Kunstwerk entsprungen zu sein scheinen, der aktuellen modernen Kunst gegenüberstellte. Barr, so schreibt Bärbel Küster, Professorin für Kunstgeschichte der Moderne an der TU Berlin, in dem Katalog, differenzierte nicht explizit zwischen Original und Kopie: „Der Zauber ihrer Schönheit als Kunstwerk entsteht für den Betrachter gerade in jenem Imaginations- und Erfahrungsraum zwischen Kopie und Original.“
Die vielfältigen Facetten im Verhältnis von Felsbildern, ihren Originalkopien und den Kunstwerken der Moderne sind noch längst nicht ausgeleuchtet, da sind sich die Kunsthistoriker einig und erwarten durch die Ausstellung im Berliner Gropius-Bau neue Impulse für die Diskussion. Doch eines steht fest: Die Frobeniden „bedienten sich der anonymen Künstler der Vorzeit, um selbst an der Moderne mitzuwirken“, so formuliert es treffend Prof. Dr. Karl-Heinz Kohl, Direktor des Frobenius-Instituts und Emeritus der Goethe-Universität.
Das Werk der Expeditionsmaler: „Inspirierte Originale, die sich als Kopien tarnen“
Was hat die Maler aus der prähistorischen Zeit angetrieben? Welche Bedeutung haben die einzelnen Figuren, auch di e sich überlagernden Darstellungen von Tieren und Menschen? War der „homo pictor“ auch ein „homo cultus“? Diese Fragen wirft der Ethnologe Kohl auf – und muss feststellen, dass die Felsbildforschung bisher keine definitiven Antworten parat hat. Deshalb habe man in der aktuellen Ausstellung auch auf inhaltliche Deutungen verzichtet. Vielmehr geht es Kuba, Ivanoff und Kohl, die auch Herausgeber des Katalog sind, darum, die „Nachschöpfungen“, also die Originalkopien, darzustellen. Diese bezogen – so Kohl – „ihre Inspiration aus ihren prähistorischen Vorlagen“, die alles andere als deren „Faksimiles“ waren, sondern „inspirierte Originale, die ihre eigene Authenzität leugnen und sich als Kopien tarnen“.
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Es ist also nachvollziehbar, dass die Malerinnen und Maler dieser „Nachschöpfungen“ eine wichtige Rolle in der Berliner Ausstellung spielen. Auch wenn es Dokumentationsbilder sein sollen. „Wir haben die Werkgruppen nach Malern und Malerinnen gehängt, so werden doch die individuellen Stile sichtbar“, erläutert Kurator Kuba. Signiert sind die Bilder nicht, das war nicht üblich; aber aus den Aufzeichnungen, die Frobenius hinterlassen hat, sind sie eindeutig zuzuordnen. Die meisten Bilder stammen von Frauen.
Die Malerinnen: Jenseits der Zwänge der bürgerlichen Gesellschaft
Weiße Blusen, lange Röcke, luftiges buntes Sommerkleid, auch mal eine Knickerbocker, gutes Schuhwerk, Hose – so zeigen sich die Malerinnen auf den Expeditionsfotos. Dazu Kurator Kuba: „Das Kopieren der oftmals verwitterten und ausgewaschenen Felsbilder, die von ihren rissigen, unebenen Untergründen bei wechselnden Lichtverhältnissen möglichst originalgetreu in die Zweidimensionalität von Papier und Leinwand übersetzt werden mussten, barg erhebliche Schwierigkeiten, die sie meistern mussten.“ Hinzu kamen die Herausforderungen von Klima, Nahrungsumstellung und kräftezehrenden Reiserouten.
Agnes Schulz, Elisabeth Mansfeld, Maria Weyerberg und Elisabeth Pauli (sie war übrigens Schüler des Schweizer Malers und Meisters des Weimarer Bauhauses Johannes Itten) verdankt das Frobenius Institut einen Großteil seiner Originalkopien von Felsbildern. Allein von Agnes Schulz, die auch eine Reihe von wissenschaftlichen Aufsätzen über die Expedition und die Felsbildforschung schrieb, stammen 723 Felsbildkopien und 450 ethnografische Bilder. „Viele der Malerinnen waren ‚höhere Töchter‘ aus gutbürgerlichem Hause, die meisten hatten an einer Kunstakademie studiert.“ Kuba hat in seiner Sammlung auch das unpublizierte Tagebuch der Malerin Elisabeth Krebs: „Es zeugt nicht nur vom Staunen über das fantastische Spiel der Lichter und Schatten, Farben und Formen der saharischen Landschaften, sondern auch von einem wilden und freien Leben jenseits der Zwänge der bürgerlichen Gesellschaft.“
Zwischen Malerinnen und Wissenschaftlern gab es einige Affären, immerhin wurden auch mindestens sieben Ehen geschlossen; auch darüber informiert der Katalog zur Ausstellung. In diesen Beziehungen zählten die Frauen nicht selten zu den Verliererinnen: Beispielsweise kündigte Elisabeth Krebs im Dezember 1939, weil sie ein Kind von ihrem Institutskollegen Hans Rhotert erwartete, „der seit 1927 mit seiner früheren Studienfreundin Dorothea ‚Ebba‘ Daasch verheiratet war“ und– so ist im Katalog zu lesen – „aber trotz ehelicher Diskrepanzen offensichtlich nicht in der Lage war, eine Entscheidung zu treffen“. Krebs musste den Unterhalt für sich und ihren Sohn allein bestreiten – als Vertretung für einen im Krieg befindlichen Zeichenlehrer in Oberbayern. Von 1945 an schlug sie sich als freischaffende Künstlerin durch und starb bereits 1950 an Krebs.
Warum in Berlin?
Übrigens verfolgen Karl-Heinz Kohl und Richard Kuba schon seit vielen Jahren die Idee zu dieser Ausstellung. Verhandlungen mit Frankfurter Museen führten leider nicht zum Erfolg. „Doch dann landeten wir mit unserer Sammlung im renommierten Gropius-Bau, davon kann eine Uni-Sammlung eigentlich nur träumen!“, so Kuba. Da müssen Interessenten eben nach Berlin fahren, um die Frankfurter Schätze zu sehen – bis 16. Mai ist es noch möglich! „Der Kraft und dem Reiz dieser Malereien kann man sich kaum entziehen“, so die Neue Zürcher Zeitung.
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Ausstellung: „Kunst der Vorzeit“, bis 16. Mai 2016,
Mi bis Mo 10 bis 19 Uhr,
Martin-Gropius-Bau, Berlin,
www.gropius-bau.de
Hrsg. Karl-Heinz Kohl, Richard Kuba, Hélène Ivanoff,
Kunst der Vorzeit. Felsbilder aus der Sammlung Frobenius,
München 2016, Prestel Verlag, 8. Auflage,
ISBN 978-3-7913-5503-0, 270 Seiten, gebundene Ausgabe,
zahlreiche Farbabbildungen und Abbildungen und Fotos,
39,95 Euro im Buchhandel, 25 Euro in der Ausstellung
Zusatzband: Karl-Heinz Kohl, Richard Kuba, Hélène Ivanoff und Benedikt Burkard (Hrsg.), Kunst der Vorzeit. Texte zu den Felsbildern der Sammlung Frobenius, Eigenverlag des Frobenius-Instituts, Frankfurt 2016, 120 S. mit 80 meist farbigen Abb. und einer Karte, Broschur, ISBN 978-3-9806506-8-7, 19,95 Euro (zu beziehen über das Frobenius-Institut, frobenius@em.uni-frankfurt.de), in der Ausstellung 15,00 Euro
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