Nachbericht zur Tagung “Museen ohne Wände”

© Succession Marcel Duchamp / VG Bild-Kunst, Bonn 2016, Foto/photo: Axel Schneider
© Succession Marcel Duchamp / VG Bild-Kunst, Bonn 2016, Foto/photo: Axel Schneider

“Museen ohne Wände” war der Titel einer Tagung am MMK Museum für Moderne Kunst. Sie fand im Rahmen der noch bis zum 11. September laufenden Ausstellung “Das imaginäre Museum” statt.

Die Etablierung der ersten Museen geht auf das Ende des 18. Jahrhunderts zurück. Dass sie seitdem einem kontinuierlichen Wandel unterworfen sind, der insbesondere in den 1960er und 70er Jahren aus Impulsen von künstlerischer Seite hervorgeht, machte am 2. Juli die Tagung “Museen ohne Wände” am MMK Museum für Moderne Kunst in Frankfurt deutlich. Sie fand im Rahmen der dort bis zum 11. September laufenden Ausstellung “Das imaginäre Museum” statt und wurde durch das Kunstgeschichtliche Institut der Goethe Universität, den Studiengang Curatorial Studies und das MMK Museum für Moderne Kunst Frankfurt organisiert.

Der Ausstellungs- und Tagungstitel geht auf den 1947 erschienenen Essay “Musée imaginaire” von André Malraux zurück, der in der englischen Übersetzung “A Museum without Walls” (1949) lautet. Die neuen Möglichkeiten der Fotografie beflügelten Malraux darin zum Vorschlag eines imaginären Museums in Papierform, das jeder durch eine individuelle Foto-Sammlung erstellen kann. Die historischen, politisch-geographischen, baulichen oder materiellen Grenzen, die den Kustos in seiner Arbeit in einem realen Museum beschränken, sind in Malraux’ Entwurf nicht mehr gegeben. Das „Musée imaginaire“ regt dazu an, visuelle Verwandtschaften und universelle Zusammenhänge einer alle Zeiten und Kulturen umschließenden Kunst darzulegen.

Etwa zur gleichen Zeit konzipierte Marcel Duchamp sein monographisches Miniaturmuseum im Vertreterkoffer, die “Boîte-en-Valise”. Es versammelt Reproduktionen seiner Hauptwerke, darunter auch Versionen seiner gefundenen Alltagsobjekte, sogenannte “Ready-Mades”.

Diese privaten und mobilen Museen können als Gegenmodell zur etablierten Institution gelesen werden und bereiten auf die institutionskritischen Ansätze zahlreicher Künstlerinnen und Künstler ab den 1960er Jahren vor, die durch Happenings und raumbezogene Arbeiten das Betriebssystem Kunst zu durchleuchten begannen.

Mit dem Vortrag “The imaginary readymade” bezog sich Dieter Daniels (Hochschule für Graphik und Buchkunst Leipzig) auf die bereits genannte Arbeit von Duchamp und nahm insbesondere die Objekte in der “Boîte-en-Valise” in den Fokus. Daniels legte dar, dass Duchamp das Ready-Made von Anfang an weder als Kunstwerk präsentierte, noch eine Rezeption als ein solches beabsichtigt hatte. Was in Duchamps Atelier 1914 als „privates Experiment“ und Gedankenspiel begann, fand erst über Umwege und mit einem zeitlichen Abstand von etwa 50 Jahren eine feste Rezeption im Kunstkontext. Bis auf den Kamm (1916) sind die originalen Ready-Mades nicht mehr vorhanden.

Kanonisierung der Ready-Mades

Für die Eingliederung in den Kanon der Kunstgeschichte sorgte der Künstler letztendlich selbst, indem er in den 1960er u.a. Fotografien von den originalen Ready-Mades und die Variationen en miniature im Koffermuseum als Vorlage für die Produktion neuer Ready-Mades nahm. Sie sind heute als Multiples, Kopien und Remakes in Museen zu besichtigen und erwecken den Anschein, es handle sich um ursprünglich gefundene Alltagsobjekte der 1920er Jahre, was unter Kunstphilosophen und -kritikern für Verwirrung sorgte. Daniels plädierte daher dafür, die zeitlichen und materiellen Differenzen der Ready-Mades in den Ausstellungen für den Besucher sichtbar zu machen.

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Sebastian Egenhofer (Universität Wien), sprach mit Marcel Broodthaers’ “Musée d’Art Moderne, Département des Aigles” eine künstlerische Position an, die mittlerweile zu den Klassikern der Künstlermuseen zählt. Von 1968 bis ’72 hat Broodthaers Museumsfiktionen geschaffen, um auf die Rolle und die Bedeutung von öffentlichen Museen für das kulturelle Gedächtnis hinzuweisen. Indem er traditionelle Museumspraktiken mittels Appropriation und Variation in seinem selbst gegründeten, fiktiven Museum übernahm, reflektierte er die Institution in seiner multifunktionalen Rolle als Künstler, Kurator, Kustos und Museumsgründer. So adaptierte er beispielsweise den schützenden Archivcharakter der Museen, um hervorzuheben, dass er die darin versammelten Kunstwerke nicht als Handelsware verstand.

Das Museum sei keine „Flaschenpost“ – darunter verstehe Broodthaers, laut Egenhofer, das nicht-musealisierte Kunstwerk, das ungeschützt der fragilen Zirkulation des Kunstmarktes ausgesetzt sei. Auf diese Weise veranschaulichte Egenhofer, dass Broodthaers als glühender Museumsverfechter angesehen werden muss. Diese Deutung bricht mit der geläufigen Zuschreibung Broodthaers’ als „Institutionskritiker“.

Parallel löst sich ab den 1960er-Jahren die Kunst von ihrer tradierten Form und findet neue Formate, u.a. in sozialer Plastik, Performance oder Happening. In diesem Kontext betrachtete Dirk Hildebrandt (Goethe Universität Frankfurt) das Museum im Zeichen der Entgrenzung und Immaterialisierung der Künste in seinem Vortrag “Das Museum als Funktion. Allan Kaprow und die Genese des Happening”. Hildebrand macht deutlich, dass Kaprow den Kunstmarkt unterwanderte, indem er sich den Ort des Museums aneignete: Im Happening löst der Ausstellungsraum das Atelier ab, Produktion und Präsentation finden gleichzeitig statt und sind somit immateriell und ephemer. Das Happening kann nur dort für die Zeit der Aktion erlebt werden, was das Museum in seiner Grundidee transformierte.

Was aber passiert, wenn diese einmaligen, ort- und zeitgebundenen Ereignisse reinszeniert werden? Können sie lediglich durch die fotografische Dokumentation visuell erinnert und für die Nachwelt aufbereitet werden? Ab den 1990er-Jahren führen Kunstmuseen Kaprows Aktionen erneut auf. Sie entfremden die Aktionen zwar von ihrem Entstehungskontext, machen sie aber nochmals erfahrbar. Hildebrandts Analyse veranschaulicht somit den Prozess, der zwischen Künstler, Publikum und Museum abläuft, bis es zu einer kanonisierten Rezeption des Kunstwerken kommt.

Die Vortragsreihe schloss Anne-Marie Bonnet (Universität Bonn) mit einem Statement über „Das Museum meiner Träume“ ab. Was als kritische und durchaus polemisch vorgetragene Bestandsaufnahme begann, wandelte sich zu einem träumerischen Wunsch nach einem Wandel der Museen hin zu einem öffentlichen Ort des Austauschs, der Transparenz und der Selbstreflexivität.

Umgesetzt fand man diese Forderung in der Ausstellung “Das imaginäre Museum”, durch die Peter Gorschlüter (MMK Museum für Moderne Kunst Frankfurt) führte. Dort war Duchamps “Boîte-en-Valise” und andere Künstlermuseen vorzufinden. Wie divers und vielgestaltig ein Museum sein kann, machten diese künstlerischen Konzeptionen deutlich und so das Tagungsthema konkret erfahrbar.

Autoren: Benedikt Seerieder und Katrina Weissenborn

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