Studiengalerie 1.357: Ausstellung “This makes me want to predict the past” ab 23. Oktober

Filmstill aus dem Film der Ausstellung “This makes me want to predict the past”. (Copyright Cana Bilir-Meier)

“This makes me want to predict the past” wurde 2019 produziert. Der Film bezieht sich auf den rassistischen Anschlag im Münchner Olympia-Einkaufszentrum am 22.07.2016, bei dem neun Jugendliche mit Migrationshintergrund ermordet und weitere schwer verletzt wurden. Die Ausstellung ist der zweite und letzte Teil der Ausstellungsreihe “Setzt dem Schweigen ein Ende” in der Studiengalerie 1.357, die künstlerische Auseinandersetzungen mit Rechtsextremismus präsentiert.

Ausstellung: “This makes me want to predict the past”
Studiengalerie 1.357, Goethe-Universität
IG-Farben-Haus, 1. OG, rechts

23.10.2024 bis 20.11.2024; Mo-Do, 12.00-17.00 Uhr
Eröffnung: Mittwoch, 23.10.2024, 20.00 Uhr

Im Vorraum der Ausstellung ist ein Auszug aus dem Online-Projekt „wir sind hier“ von Talya Feldman zu sehen, das Tatorte rassistischer Gewalt im Stadtraum mit den Erinnerungen von Angehörigen der Opfer verbindet. Eines der Opfer ist die Hamburger Schriftstellerin Semra Ertan, aus deren Gedicht auch der Reihentitel stammt. Ertan verbrannte sich im Jahr 1982 aus Protest gegen den Rassismus in der Bundesrepublik Deutschland öffentlich und starb. Sie war die Tante der nun ausgestellten Filmemacherin und Künstlerin Cana Bilir-Meier.

In ihrer Arbeit „This Makes me Want to Predict the Past“ folgt die Filmkamera drei jungen Frauen, die sich im Münchner Olympia-Einkaufszentrum ihre Zeit vertreiben, Rolltreppe fahrend, Kleidung anprobierend, posierend. Zwischen den unbeschwerten Szenen halten sie immer wieder stumm und selbstbewusst den Blick in die Kamera. Der Super 8-Film in schwarz-weiß mit seinem groben Korn, geringer Auflösung und starken Helligkeitskontrasten verweist sowohl auf experimentell-politische Filme der 1970er und 1980er-Jahre wie auch auf die ersten Homevideos, die damals in demselben Medium entstehen.

Beide Kontexte sind auch für den Inhalt von Bedeutung: Zu Beginn stellen die Frauen Posen und Szenen von Fotografien nach, die später in die Kamera gehalten werden. So lehnen sie etwa den Kopf nach hinten und schauen sich gegenseitig prüfend und lachend in den Mund. Diese demütigende Geste stammt aus Untersuchungen von Gastarbeiter*innen, die nach der Ankunft in Deutschland auf ihre Arbeitsfähigkeit geprüft wurden. Sie spielte auch in dem Theaterstück „Düşler Ülkesi“ (Land der Träume) eine Rolle, das 1982 an den Münchner Kammerspielen aufgeführt werden sollte. In diesem Stück spielten Jugendliche, unter ihnen die Mutter der Künstlerin, Zühal Bilir-Meier, Alltagsszenen aus dem Leben von Gastarbeiter*innen nach. Die Premiere konnte aufgrund einer Bombendrohung nicht wie geplant stattfinden.

Die Filmszenen werden begleitet von einem Voice-Over aus paradoxen Sätzen wie dem im Titel formulierten Wunsch, die Vergangenheit vorauszusagen. Es handelt sich um modifizierte Zitate aus YouTube-Kommentaren zu dem Lied „Redbone“ (2016) des US-amerikanischen Musikers Childish Gambino, dessen Refrain ein Rache-Szenario imaginiert: „N[…] schleichen sich an, sie werden dich finden“. Die Voice-Over-Aussagen schreiben dieses Szenario fort und gleichen sprachlichen Akte imaginierter Selbstermächtigung.  „This makes me want to predict the past“ reflektiert durch die Verbindung von Bild, Text und Ton die Kontinuität rassistischer Gewalt in Deutschland. Die Arbeit zeigt den Alltag von migrantischen Jugendlichen in der Gegenwart und geht auf die Diskriminierungserfahrungen ihrer Eltern und Großeltern, den ersten so genannten Gastarbeiter:innen ein. Sie stellt eine Verbindung zwischen diesen Erfahrungen, dem postmigrantischen Alltag von Jugendlichen im gegenwärtigen Deutschland und dem rassistischen Anschlag im Olympia-Einkaufszentrum in München (2016) her. Mit dieser Verbindung macht „This makes me want to predict the past“ auf eine Leerstelle in den Narrativen der deutschen Erinnerungskultur aufmerksam: die Stimmlosigkeit von Migrant*innen der ersten, zweiten und dritten Generation und das Verschweigen ihrer Erfahrung von rassistischer Gewalt.

Cana Bilir-Meier (*1986, München) arbeitet als Filmemacherin und Künstlerin. Sie hat digitale Medien/Kunst und Film und Kunstpädagogik an der Akademie der bildenden Künste in Wien und an der Sabancı University in Istanbul. Sie publiziert im Bereich Film, Feminismus und Migration, arbeitet als Kuratorin und Gastlehrende und -vortragende an diversen Hochschulen. Die Künstlerin setzt sich in ihren Film- und Soundarbeiten mit der deutschen postmigrantischen Geschichte auseinander und verbindet dies mit ihrer eigenen Familiengeschichte als Enkelin türkischer Einwanderer. Den Fokus legt sie in ihren Werken auf Materialsichtung von archivierten Bild- und Tonaufnahmen, Briefen, Zeitungsartikeln und Dokumenten.

Die Studiengalerie 1.357 ist ein Lehr- und Studienprojekt am Forschungszentrum für Historische Geisteswissenschaften der Goethe-Universität Frankfurt in ständiger Zusammenarbeit mit Frankfurter Museen. Sie organisiert jährlich vier Ausstellungen mit internationalen künstlerischen Positionen, die von Lehrenden und Studierenden aus verschiedenen Fachdisziplinen konzipiert und realisiert werden. https://studiengalerie-1357.de/

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