Differenziert über den Islam reden

Alle Illustrationen in diesem Interview gehören zu dem Projekt der Bundeszentrale für politische Bildung »Begriffswelten Islam«, www.bpb.de/begriffswelten-islam
Die Illustration gehört zu dem Projekt der Bundeszentrale für politische Bildung »Begriffswelten Islam«

Erfolgreiches YouTube-Projekt der Bundeszentrale für politische Bildung mit Frankfurter Professorin Armina Omerika als Fachberaterin.

Gott allein entscheidet, wer gläubig ist und wer ungläubig“: Der junge Frankfurter Islamwissenschaftler Tim Sievers antwortet der YouTuberin Hatice Schmidt auf eine Frage in eigener Sache. Unter dem Stichwort „TravellingIslam“ befragt Schmidt Wissenschaftler an verschiedenen Universitäten zu wichtigen Begriffen im Islam.

Ohne Kopftuch, mit angeheiratetem deutschen Namen – das hat ihr im Netz erboste Kommentare eingebracht. Sie wurde als „Ungläubige“ beschimpft. Bin ich wirklich ungläubig, und was ist das eigentlich? Das wollte sie von Sievers wissen. Jemanden als ungläubig zu bewerten, fällt oft auf den zurück, der dies tut: Das wird aus Sievers’ Antwort deutlich.

Jugendarbeit im Netz

Scharia. Dschihad. Salafismus. In den Medien wird oft nur aus einer einseitigen Perspektive über diese Begriffe gesprochen und viele Menschen, darunter auch Muslime, verbinden häufig nur vage Vorstellungen mit ihnen. Werden diese Begriffe und die Konzepte, die ihnen zugrunde liegen, aber zu stark vereinfacht, kann das Muslim- und Islamfeindlichkeit, aber auch sich religiös begründende extremistische Meinungen befördern.

Um dem etwas entgegenzusetzen, hat die Bundeszentrale für politische Bildung im vorigen Jahr ein YouTube-Projekt ins Leben gerufen, wissenschaftliche Beraterin war Prof. Dr. Armina Omerika, Juniorprofessorin an der Goethe-Universität. Seit dem Erstarken der sozialen Netzwerke ist vermehrt zu beobachten, dass sich bestimmte Formen der abwertenden, menschenfeindlichen Rede verbreiten bis hin zu Hasskommentaren, die geprägt sind von Vorurteilen und Intoleranz.

Es braucht keine lange Recherche, um festzustellen, dass gerade hinsichtlich des Islam einseitige Informationen vorherrschen – zum einen von Seiten islamfeindlicher Rechtspopulisten und Rechtsextremisten, zum anderen von religiösen Fundamentalisten. Hatice Schmidt hat es an der eigenen Person erfahren müssen. „Insbesondere Jugendliche sind oft Ziel von Desinformation und gruppenbezogenen menschenfeindlichen Kommentaren“, sagt Clemens Stolzenberg von der Bundeszentrale für politische Bildung.

Auftrag seiner Institution sei es, Verständnis für politische Sachverhalte zu fördern und Werte wie Demokratie, Pluralismus und Toleranz in der Bevölkerung zu festigen. Abwertung und Diskriminierung, die von einem einseitigen Islamverständnis herrühren, nahm die Bundeszentrale zum Anlass, ein Informationsangebot auf YouTube zu konzipieren – quasi als „aufsuchende Jugendarbeit“ in der virtuellen Welt.

Am Projektteam für „Begriffswelten Islam“ war die Frankfurter Islamwissenschaftlerin Armina Omerika beteiligt, sie hat das Team fachwissenschaftlich beraten. „Es ging uns vor allem darum, die Vorstellungen von begrifflicher Eindeutigkeit aufzubrechen“, sagt Omerika. Das geht nicht ohne begriffsgeschichtliche Kenntnisse und das Wissen darum, welche Auslegungen es gibt.

Außer den acht Interviews mit Wissenschaftlern aus dem deutschsprachigen Raum gibt es auch acht Informationsfilme, in denen YouTuber wie LeFloid sich mit Hilfe ansprechender Graphiken mit Begriffen auseinandersetzen, die in den medialen Diskursen über den Islam eine Rolle spielen. Denn nur wer weiß, wovon er spricht, kann an einer konstruktiven Diskussion teilnehmen. Armina Omerika hat das Skript für die animierten Begriffserklärungen mit erstellt.

Es sei ein sensibles Austarieren gewesen, um etwaige Fallstricke zu vermeiden. Aber es sei ihr wichtig, auf diese Weise in die Gesellschaft zu wirken. „Es gibt ein großes Informationsdefizit, und diesen Bedarf sollten kundige Leute decken“, ist Omerika überzeugt. Dabei hilft die Zusammenarbeit mit bekannten YouTubern Jugendlichen, Zugänge zu dem Thema zu finden. 600.000 Seitenaufrufe seit Herbst 2015, damit könne man zufrieden sein, sagt Clemens Stolzenberg.

Besonders erfreulich sei die überwiegend konstruktive Diskussion der Nutzer untereinander in rund 7600 Kommentaren. 200 Fragen zu den Themen der Videos wurden von Fachwissenschaftlern beantwortet. Schulen, Museen und auch die Polizei greifen zur Weiterbildung auf die Videos zurück, die seit kurzem auch ins Englische und Arabische übersetzt werden. „Wir wollen auch Schulmaterialien entwickeln, die auf den Videos basieren“, sagt Stolzenberg.

Insgesamt positive Resonanz

Wie zu erwarten, gab es auch negative Kommentare und Angriffe, nicht nur auf die Person von YouTuberin Hatice Schmidt. „Das ist aber ja die Chance eines solchen Projekts“, sagt Armina Omerika: Indem man User mit verschiedenen Haltungen erreicht und die Filterblasen des Internets durchbrochen habe, habe überhaupt eine Diskussion stattfinden können. Das könne einen präventiven Effekt haben – sofern diese jungen Leute noch nicht radikalisiert seien.

Gemessen an der Anzahl vergebener „Likes“ sei die Resonanz jedoch zu rund 95 Prozent positiv gewesen, sagt Clemens Stolzenberg. Es habe viel Lob und Anerkennung dafür gegeben, dass sich Wissenschaftler in die Lebenswelten der Jugendlichen begeben hätten, um mit ihnen auf Augenhöhe über die Themen der Videos zu sprechen.

Ein User schrieb:

„Ich weiß nicht, ob du schon erwähnt hast wie lang diese Reihe gehen wird, aber ich hoffe es kommen noch ein paar Folgen 🙂 Mir gefallen die Videos sehr gut und vor allem finde ich es toll, dass die Videos so viel Inhalt haben.“

Die Reihe „Begriffswelten Islam“ selbst ist mit insgesamt 16 Videos inzwischen abgeschlossen. Schließlich handelte es sich um ein Modellprojekt. Aber über die Fortführung durch einen zivilgesellschaftlichen Träger würde man sich von Seiten des Projektteams auf alle Fälle freuen.

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Weitere Informationen: www.bpb.de/mediathek/221931/begriffswelten-islam

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Dieser Artikel ist in der Ausgabe 5.16 (PDF-Download) des UniReport erschienen.

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