Wenn Wissenschaftler*innen sich zu Wort melden

Wissenschaftler*innen sind in der Öffentlichkeit so präsent wie kaum zuvor. Sie werden aufgefordert, Auskunft zu geben über sich rasch ändernde wissenschaftliche Erkenntnisse – etwa in der Pandemie, über die Folgen des Klimawandels, den Umgang mit politischem Extremismus. Von ihnen wird aber auch, nicht zuletzt von der Politik, Orientierung erwartet in einer Gesellschaft, die stark polarisiert ist.

Die nicht immer reibungsfreie Auseinandersetzung zwischen Öffentlichkeit und Wissenschaft hat zu intensiven Diskussionen geführt: Was sind die eigenen Ansprüche, Aufgaben und Defizite von Wissenschaft? Sollen Wissenschaftler*innen eher informieren, beraten oder empfehlen? Sollen sie immer auch Methoden, Prozesse und die Grenzen des eigenen Wissens kommunizieren? Mit welcher Haltung melden sie sich öffentlich zu Wort – einige Ansichten von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern der Goethe-Universität.

Sandra Ciesek

Klar haben, wie sie kommunizieren möchte

Welches Wort trifft am besten, wie die Virologin Sandra Ciesek in der Pandemie Wissenschaftskommunikation erlebt haben muss? Schnellkurs? Crashkurs? Krisenmanagement? Vermutlich von allem etwas. Anfang 2020 untersucht Sandra Ciesek als erste Virologin SARS-CoV-2-Infizierte aus Wuhan kommend bei ihrer Ankunft in Deutschland. Kurz darauf ist sie eine der gefragtesten Covid-Expertinnen, moderiert etwa mit ihrem Kollegen Christian Drosten den vielfach ausgezeichneten NDR-Podcast »Das Coronavirus-Update«. Der Bedarf an virologischem Wissen wächst damals täglich. Als Ärztin profitiert Sandra Ciesek in der Kommunikation von ihren langjährigen Erfahrungen mit Patientengesprächen »auf Augenhöhe«.

Auch wenn sie damals »80 bis 90 Prozent« der Medienanfragen ablehnt – bald drängt es sie, sich (gemeinsam mit dem Pressesprecher des Universitätsklinikums, dessen professionelle Begleitung sie dankbar erwähnt) darüber klar zu werden: Mit welcher Haltung und welchem Ziel kommuniziere ich eigentlich? Wie und mit welchen Inhalten möchte ich in der Öffentlichkeit erscheinen? Mache ich weiter? Denn inzwischen erlebt auch sie, der Selbstvermarktung und Geltungsbedürfnis fremd ist, Shitstorms in der aufgeheizten gesellschaftlichen Debatte um Impfung und Lockdowns.

Sandra Ciesek entscheidet sich, sachbezogen und wissenschaftlich fundiert, aber gleichzeitig pointiert zu informieren, abwägend und zurückhaltend mit Empfehlungen für politische Maßnahmen, nicht dramatisierend, niemals spekulativ. In der Wissenschaftskommunikation zu gesellschaftspolitisch relevanten Fragen gilt für sie: doppelt umsichtig formulieren. Auf journalistische Formate bezogen heißt dies: keine Talkshows. Sie meldet sich jedoch zu Wort, wenn sie den Eindruck hat, dass Einzelmeinungen Standpunkte verzerren, die von der medizinischen Mehrheit geteilt werden.

Was bedeutet ihr Engagement für das Standing im eigenen Forschungsbereich? Cieseks Antwort kommt schnell: »Nichts«. Im Gegenteil, wer für Wissenschaftskommunikation offen ist, verliert Zeit, setzt sich der Gefahr aus, seine Forschung zu vernachlässigen – das Einzige, was in der wissenschaftlichen Community zählt. Die Virologin legt deshalb Wert darauf, kontinuierlich und häufig publiziert zu haben. Erst kurz vor Ausbruch der Pandemie hat Ciesek zudem ihre Professur für Virologie an der Goethe-Universität angetreten, befindet sich ihr Forschungsteam im Aufbau, sind zahlreiche neue Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter einzuarbeiten und zu betreuen – eine Aufgabe, der sie selbstverständlich nachgehen will.

Warum ist sie dennoch den Schritt in die Öffentlichkeit gegangen? Weil sie helfen und Orientierung geben möchte. Würde sie ihn noch einmal gehen? Sandra Ciesek zögert. »Um das zu entscheiden, ist es noch zu früh.« Dankbar ist sie aber schon jetzt für all die Begegnungen und Situationen, die sie wegen ihres Engagements erfahren hat – und sei es, einer Person Zweifel an einer Impfung genommen zu haben. »Da werde ich«, das sagt Sandra Ciesek im Gespräch gleich mehrmals, »da werde ich meinen Enkeln viel zu erzählen haben.«

Sandra Ciesek, Jahrgang 1978, ist Direktorin des Instituts für Medizinische Virologie am Universitätsklinikum Frankfurt sowie Professorin für Medizinische Virologie an der Goethe-Universität. Sie wurde 2021 unter anderem zusammen mit dem Virologen Prof. Dr. Christian Drosten von der Charité als »Hochschullehrerin des Jahres« ausgezeichnet und erhielt »für ihre Verdienste in der Corona-Pandemie« den Hessischen Kulturpreis.

Volker Wieland

Mitmachen, wenn sich Meinung bildet

Eines möchte Volker Wieland klarstellen: Nicht jeder Wissenschaftler brauche sich aufgefordert zu fühlen, öffentlich Stellung zu nehmen. Die Aufgabe eines Wissenschaftlers sei Grundlagenforschung. Punktum. Wissenschaftskommunikation, ernsthaft betrieben – »das ist eher etwas für wenige Leute«. Einerseits. Andererseits brauche Öffentlichkeit Public intellectuals – Menschen, die mit ihrer Expertise zur öffentlichen Meinungsbildung beitragen. Die Entscheidung dafür zieht aber einiges mit sich: Zeit investieren, kurzfristig für Medienanfragen zur Verfügung stehen, Wissen griffig und zitierfähig formulieren, es erklärend einordnen, ja, und auch Stellung beziehen. Zugleich müsse man sich selbst davor schützen, zu plakativ zu formulieren. Etwas, das ihm an den Debatten in der Corona-Pandemie nicht gefallen habe: die Erwartung an Wissenschaft, Lösungen für gesellschaftliche Probleme zu bieten. Politik, sagt er, hat andere Entscheidungskriterien.

Er selbst sei eher zufällig auf dem Radar von Journalisten aufgetaucht – nachdem er 2007/8 während der Finanzkrise zeitweise als wissenschaftlicher Berater an der Europäischen Zentralbank tätig gewesen sei. Er könne nicht ausschließen, dass ihn seine mediale Bekanntheit für den »Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung«, der die Bundesregierung berät, ins Spiel gebracht habe. Neun Jahre lang war Volker Wieland dort Mitglied, einer von »fünf Weisen«, wie Wissenschaftler*innen dieses Rates genannt werden. Wieland hat die Unabhängigkeit des Gremiums genossen, das anders als von Ministerien beauftragte Kommissionen seine Ergebnisse selbstständig veröffentlichen darf. Wenn es nach ihm gegangen wäre, hätte der Rat diese Kompetenz noch weitaus häufiger genutzt – etwa um Einzelaspekten des jährlichen Berichts wie den ökonomischen Folgen von Klimamaßnahmen mehr Öffentlichkeit zu geben. Seine Erfahrung als Berater hat ihn auf die Idee einer besonderen Form von Wissenschaftskommunikation gebracht: Wissenschaftler könnten nicht nur kurzzeitig, sondern für einige Jahre an Ministerien »ausgeliehen« werden, um dort ihre Fachexpertise in politische Prozesse einzubringen.

Bei seinem Rückzug vom Sachverständigenrat hat Volker Wieland kundgetan, sich weiterhin zu Wort melden zu wollen. Das hat nicht nur damit zu tun, dass er als Geld- und Finanzwissenschaftler politikrelevante Forschung betreibt. Oder damit, dass als Direktor des wissenschaftlichen Zentrums Institute for Monetary and Financial Stability (IMFS) Öffentlichkeitsarbeit ohnehin zu seiner Jobbeschreibung gehört. In einer Demokratie, sagt er, sind Entscheidungsprozesse auch öffentlichkeitsgetrieben. »Und ich möchte zu diesem öffentlichen Meinungsbildungsprozess beitragen.«

Volker Wieland ist Professor für Monetäre Ökonomie am Fachbereich Wirtschaftswissenschaften und Geschäftsführender Direktor des Institute for Monetary and Financial Stability (IMFS).

Andreas Hackenthal

„Das Thema ist dankbar“

Sein Thema ist ein medialer Dauerbrenner. Wie gehen wir mit Geld um? Wo und warum weicht unser Verhalten von den Grundregeln aus der Finanzmarktforschung ab? Was ist die Rolle der Finanzbranche und der Regulierung?

Wird Andreas Hackethal auch noch zu zeitaktuellen Themen wie Inflation oder Kryptowährung befragt, summieren sich die Medientermine. Über 70 Mal hat der Ökonom mit den Schwerpunkten Personal Finance und Empirical Banking im vergangenen Jahr Auskunft gegeben. „Das Thema Private Finanzen ist dankbar“, gibt Hackethal zu, der Phänomene und Entwicklungen auf Finanzmärkten auf Basis seiner auf empirischen Daten beruhenden Forschungsergebnisse kommentiert. Zumal sich die Medienpräsenz „synergetisch“ auf andere Aktivitäten auswirke: Seine Forschung ist auf (anonymisierte) Kundendaten von Finanzdienstleistern angewiesen, also ist es von Vorteil bei den Kooperationspartnern in den Banken, auch durch die mediale Expertise als kompetenter und glaubwürdiger Forschungspartner zu gelten.

Dennoch – auch Hackethal spricht von einer Gradwanderung in Bezug auf die Kommunikation mit Pressevertreter*innen: Die Übergänge von einer wissenschaftlichen Bewertung von Produkten und dem Anlegerverhalten zu einer anwendungsorientierten Finanzberatung seien mitunter fließend. Was er außerdem ablehnt: öffentlich Finanzkennzahlen oder Strategien einzelner Anbieter zu bewerten; dieses Feld überlässt er Analysten. Wichtig sei außerdem, Interessenskonflikte auszuschließen und der Bankenbranche auch den Spiegel vorzuhalten, wenn Forschungsergebnisse seines Teams Fehlverhalten in der Beratung der Kleinanleger*innen aufdeckten. Einige Bankberater bieten Frauen teurere Finanzprodukte an als Männern? Diese Resultate gehören in die breite Öffentlichkeit und in die Fachwelt. Denn letztlich gehe es um nachprüfbare wissenschaftliche Standards: seiner Forschung und Lehre, des Leibniz-Instituts für Finanzmarktforschung (SAFE) und der Goethe-Universität.

Andreas Hackethal ist Professor für Finanzen.

Susanne Schröter

Man sollte eine Meinung haben

»Jedes Statement, das länger als 90 Sekunden dauert, ist irrelevant«, »jeder Beitrag unter 13 Stunden ist unwissenschaftlich«: Die Islamwissenschaftlerin Susanne Schröter erinnert sich an eine Debatte zwischen Medienvertretern und Fachkollegen, bei der »desaströs« über die Form, wie Wissenschaftler sich öffentlich zu Wort melden sollten, gestritten wurde. Ins Extreme verzerrt, beschreibe die Debatte aber sehr gut die Pole, zwischen denen sich Wissenschaftskommunikation bewege, meint die Ethnologin. »Mit der Verkürzung eigener Aussagen in den Medien kommt nicht jeder klar. Man muss aushalten, dass auch mal das halbe Interview aus dem Zusammenhang gerissen wird.«

Als Professorin für Ethnologie kolonialer und postkolonialer Ordnungen bewegt Schröter sich in Themenfeldern – Islamische Welt, Fundamentalismus, islamisches Kopftuch, liberaler Islam –, zu denen ihre Expertise oft gefragt ist, aber auch kontrovers diskutiert wird. Vor allem seit sie 2014 das »Frankfurter Forschungszentrum Globaler Islam« gegründet hat, kann sie die Anfragen aus der Öffentlichkeit kaum noch bewältigen, berichtet Schröter – nicht allein von Medienvertretern, sondern auch von Sozialarbeitern, Lehrern, Politikern und zivilgesellschaftlichen Organisationen.

2014 war die Zeit, in der auch deutsche Jugendliche in den Dschihad nach Syrien und in den Irak zogen. Schröter hat drei Jahre in Moscheen-Gemeinden geforscht, ihre Expertise über eine vielen unbekannte und verschlossene Welt ist gefragt. Sie engagierte sich aber auch in der Prävention, junge Menschen vom Islamischen Staat abzuhalten. »Spätestens in dieser Zeit hat sich dann irgendwann herausgebildet, dass ich es als Verpflichtung empfinde, Auskunft zu geben.« Und auch Position zu beziehen – überhaupt ist Schröter, die als Jugendliche in der Umweltbewegung aktiv war, der Meinung, »dass man zu verschiedenen Themen auch eine Meinung haben sollte«. Auch wenn sie, gibt Susanne Schröter zu, dafür einen Preis zahle. Mitunter wird sie im Internet angegriffen und steht unter Polizeischutz. Bundesweit Aufsehen erregte etwa 2019 ihre Konferenz zum islamischen Kopftuch. Mit einer Kampagne im Internet wurde versucht, die Konferenz zu verhindern, zu der Vertreter unterschiedlicher Auffassungen eingeladen waren. Sie habe versucht, sich nicht beeindrucken zu lassen – und zu hoffen, »dass die Polizei gut aufpasst«.

Hat ihr öffentliches Auftreten Folgen für ihre wissenschaftliche Arbeit gehabt? Ja, sagt sie erfreut. »Meine Art zu publizieren, hat sich geändert.« Als verbeamtete Professorin könne sie es sich leisten, auch Sachbücher zu schreiben, die von öffentlichem Interesse seien. Ihre Fachcommunity sei nun einmal sehr klein, »da ist es doch schön, von vielen Menschen gelesen zu werden«. Ob ihre Bilanz also positiv ausfällt, lohnt sich das Engagement? »Man hofft immer, etwas Positives bewirken zu können«, sagt sie, doch ohne öffentliches Auftreten sei das Leben sicher entspannter.

Die Ethnologin Prof. Dr. Susanne Schröter ist Direktorin des Frankfurter Forschungszentrums Globaler Islam an der Universität Frankfurt.

Sabine Andresen

Bei der Erkenntnis bleiben, die sie stark machen will

Die Situation von Kindern und Jugendlichen, Kinderarmut, sexueller Missbrauch – öffentliche Debatten über diese gesellschaftlich brisanten Themen sind vielstimmig. Wenn die Erziehungswissenschaftlerin Sabine Andresen von Medien dazu angefragt wird, achtet sie deshalb besonders darauf, „was ich mit guten Gründen als Wissenschaftlerin zu einem Thema sagen kann“.

Plausibel begründen, bei der „Erkenntnis bleiben, die ich stark machen will“, ihre besondere wissenschaftliche Expertise vermitteln – darum ging ihr bereits bei ihrem ersten Interview, 2007 vom „Spiegel“ angefragt aus Anlass des Buchs „Lob der Disziplin“ von Internat-Salem-Leiter Bernard Bueb. Die öffentliche Resonanz auf das Interview hat die Kindheits- und Familienforscherin auf das vorbereitet, was sie auch später mitunter erlebt: die Behauptung, nur mit Praxiserfahrung und nicht als Wissenschaftlerin könne über Erziehung, Kinderrechte, Beteiligung von Kindern und Jugendlichen oder Familienleben gesprochen werden. Sich gegen eine „unhinterfragte Anerkennung von Autorität“, wie sie Bueb forderte, in der Erziehung auszusprechen, hat aufgebrachte Reaktionen bei Lesern und Hörern ausgelöst. Als Vorsitzende der „Unabhängigen Kommission zur Aufarbeitung sexuellen Kindesmissbrauchs“, deren Vorsitzende sie seit der Gründung 2016 bis 2021 war, stimmte sich Sabine Andresen deshalb bei allen öffentlichen Stellungnahmen sehr eng mit der Pressesprecherin der Kommission ab. Dies nicht nur, weil sie der sensiblen Thematik mit sorgfältigen Formulierungen, einer klaren Sprache gerecht werden will. Als Leserin bzw. Hörerin ihrer Statements stellt sich Andresen vor allem betroffene Menschen vor, über die sie forscht. „Meine Sorge ist, wie sie meine Worte aufnehmen.“

Dass es inzwischen eine Öffnung für Themen wie Missbrauch und Kinderarmut gebe, sei wichtig. An aufgeregten Kontroversen und schneller Polarisierung von Debatten, an tagesaktuellen Formaten wie Twitter und Instagram, will sich Sabine Andresen aber nicht beteiligen. Gern erklärt sie sich deshalb im Rahmen längerer Rundfunkformate, die Zeit bieten, ein Thema zu entfalten. In der Pandemie ist es ihr ein Anliegen, öffentlich über die Ergebnisse ihrer Studien zur prekären Situation von Kindern und Jugendlichen zu informieren. Informieren, sagt sie, nicht beraten. Sie ist auch in Politikberatung involviert, z.B. seit Juli 2022 als stellvertretende Vorsitzende der Sachverständigenkommission für den neuen Kinder- und Jugendbericht der Bundesregierung. Doch dafür brauche man einen langen Atem, weil selbst unübersehbare Missstände etwa Kinder- und Jugendarmut „sehr zögerlich“ angegangen werden.

Wenn Sabine Andresen das Gefühl hat, dass sie sich zu oft wiederhole, dass ihre Expertise nichts Neues mehr beitrage, erklärt sie, dann ziehe sie sich auch schon einmal aus der medialen Wissenschaftskommunikation heraus. „Forschung und Lehre, über etwas vertieft nachzudenken, das braucht Einsamkeit.“ Was bedeutet: Wer ernsthaft etwas mitteilen möchte, muss zeitweise von der öffentlichen Bühne verschwinden können. Selbst auf die Gefahr hin, in Vergessenheit zu geraten.

Sabine Andresen ist Professorin für Erziehungswissenschaft mit dem Schwerpunkt Kindheits- und Jugendforschung. 2020 erhielt sie den Public Service Fellowship-Preis der Alfons und Gertrud Kassel – Stiftung.

Uwe Volkmann

Vom positiven Impuls des Ärgerns

Es gibt zwei Anlässe dafür, dass Uwe Volkmann sich seit mehr als zwanzig Jahren öffentlich zu Wort meldet. Den einen beschreibt er im Gespräch so, dass er sich selbst länger mit einem Thema auseinandergesetzt habe und überzeugt sei, dass seine Überlegungen von öffentlichem Interesse seien – etwa zum Begriff der Rasse im Grundgesetz oder zur Garantie der Menschenwürde. Dann formuliert der Staatsrechtler Volkmann, der auch Rechtsphilosoph ist, seine Gedanken in einem umfangreichen Essay und bietet ihn einer der anerkannten, seriösen Zeitungen an. Dies kommt etwa einmal im Jahr vor.

Den zweiten Grund beschreibt Volkmann als den »positiven Impuls des Ärgerns«. Der Ärger katapultiere ihn dann in eine laufende Debatte, weil ihm etwa in einer öffentlichen Diskussion die juristische Perspektive zu kurz komme, weil Debatten einseitig verliefen, weil Argumente fehlten – wie etwa in der Flüchtlingskrise, zu der Volkmann einmal drei Argumente für eine unbegrenzte Aufnahme von Geflüchteten und drei Argumente gegen sie durchspielte. Die Reaktionen ließen nicht auf sich warten.

Volkmanns jüngster Impuls des Ärgerns war in der Corona-Pandemie ausgelöst worden, in der er sich als einer der wenigen Rechtswissenschaftler im Land kritisch mit Einschränkungen der Freiheitsrechte auseinandersetzte – das erste Mal drei Tage nach dem Lockdown. Zu sehr wurde ihm damals die Diskussion von virologischen Perspektiven dominiert, während gleichzeitig in schneller Folge politische Maßnahmen gefasst wurden. Was Volkmann dann antreibt: Er will die Debatte differenzieren.

Dass er in der Pandemie mit seinen Beiträgen tatsächlich gegen Fronten anschreibt und sich bewusst zwischen Stühle setzt, wird dadurch offenkundig, dass er je nach Beitrag (Freiheitsrechte oder Impfpflicht) von derselben Klientel emphatischste Zustimmung und übelste Ablehnung erfährt. In der aufgeheizten Stimmung hat Volkmann erstmals bewusst vorsichtig formuliert, jeden Beitrag vor der Veröffentlichung gegenlesen lassen und Medienanfragen nur sehr ausgewählt beantwortet. Dennoch ist er überzeugt: Wissenschaft ist verpflichtet, ihr Wissen mitzuteilen. Wenn Wissenschaft mit Luhmann aber auch heiße, »auf unsicheres Gelände zu kommen«, dann müssten Wissenschaftler eben auch klarmachen: Unser Wissen ist vorläufig. Aus diesem Grund ist Volkmann eher unwohl bei kollektiven Aktionen wie Unterschriftenlisten und offenen Briefen. »Da wird dann im Namen der Wissenschaft kollektiver Druck auf die Öffentlichkeit ausgeübt.« Volkmann plädiert stattdessen für die Freiheit des Arguments im »pluralen Stimmengewirr« – in das er seine Stimme immer wieder gern einbringt.

Uwe Volkmann ist Professor für Öffentliches Recht und Rechtsphilosophie.

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