Das wissenschaftliche Scheitern als Chance, die Gefahren staatlicher Einflussnahme und die Vorbildfunktion wissenschaftlicher Biographien: Faszinierende Themen stehen im Fokus der Verleihung des diesjährigen Goethe-Medienpreises für wissenschafts-und hochschulpolitischen Journalismus an drei herausragende Autorenteams bzw. Einzelautoren renommierter Medien. Prämiert werden drei Arbeiten, die 2021 und 2022 in Print- und Hörfunkmedien erschienen sind.
Jeanette Schindler befasst sich in ihrem Radiofeature mit einem oftmals tabuisierten Thema in der Wissenschaft: mit dem Scheitern. Jede*r Wissenschaftler*in möchte ein Forschungsprojekt erfolgreich zu Ende führen, Misserfolge sind nicht intendiert. Aber birgt nicht auch ein Irrweg, so die Ausgangshypothese in Schindlers Feature, ein Erkenntnispotenzial? Sogenannte „Nullbefunde“ werden bislang im Wissenschaftsbetrieb nicht publiziert oder dokumentiert, obwohl die Forschungsdaten nützlich sein könnten. Jeanette Schindler zeigt in ihrem Beitrag ebenfalls auf, dass gerade Nachwuchswissenschaftler*innen unter großem Druck stehen, sich zu bewähren. In der Corona-Pandemie reagierten viele Menschen, auch Politiker*innen, verärgert und misstrauisch, wenn Wissenschaftler*innen falsche Annahmen in Bezug auf das Corona-Virus korrigieren mussten. Die Jury erkannte dieser mit interessanten und vielfältigen Stimmen angereicherten Arbeit („Scheitern in den Wissenschaften“, Radiofeature SWR 2, gesendet am 3. März 2022) den ersten Preis zu, der mit 4000 € dotiert ist.
Fördert die deutsche Wissenschaft indirekt das chinesische Militär? Sind die deutschen Wissenschaftler*innen und Universitäten sich der Gefahr eines Know-How-Transfers bewusst und wie gehen sie damit um? Diesen Fragen ist ein Autoren- und Rechercheteam von Süddeutsche Zeitung, Correctiv, Deutsche Welle und Deutschlandfunk in einer Recherche zusammen mit weiteren europäischen Partnern nachgegangen. Die Beiträge im Rahmen der “China Science Investigation” erschienen am 19. und 20.Mai 2022, dafür erhält das Team von der Jury den mit 1800 € dotierten zweiten Preis. Die Journalist*innen werteten tausende wissenschaftliche Paper aus und recherchierte im chinesischen Netz zu den persönlichen Verstrickungen zahlreicher chinesischer Wissenschaftler mit dem chinesischen Militärapparat. Mit der Recherche konnte aufgezeigt werden, dass in vielen Fällen die Universitäten, an denen chinesische Kolleg*innen arbeiten, dem chinesischen Militär nahe oder sind ihm sogar ganz unterstellt sind. Mit der Recherchearbeit konnten der deutschen Wissenschaftspolitik wichtige Impulse gegeben werden, um das Verhältnis gegenüber China nachhaltig auf den Prüfstand zu stellen.
Die mit 1000 € dotierte dritte Preisträgerarbeit von Friederike Haupt („Vorbilder“, erschienen in der Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung vom 5.12.2021) befasst sich mit zwei Physikerinnen, die die Welt verändert haben, wenn auch in ganz unterschiedlichen Epochen und gesellschaftlichen Sphären: Es geht um eine biographische Parallelität, auch um die Bedeutung von Vorbildern, um sich in bewegten Zeiten orientieren zu können. Friederike Haupt zeichnet in ihrem Beitrag einfühlsam und anschaulich nach, wie stark die Wissenschaftlerin Marie Curie die Politikerin Angela Merkel auf ihrem Weg geprägt hat. Merkel war 18 Jahre Bundesvorsitzende der CDU, 16 Jahre lang Bundeskanzlerin; auch wenn sie zum Ende ihrer Amtszeit betont hat, dass Politiker*innen keine Vorbilder sein müssten, hat sie in Reden immer wieder Bezug auf Marie Curie genommen, um gerade junge Mädchen und Frauen zu motivieren, ihren Weg zu gehen, auch und gerade in die Wissenschaft.
Der Präsident der Goethe-Universität, Prof. Enrico Schleiff, sagt:
„Wichtige und relevante wissenschaftliche oder gesellschaftliche Themen, oft mit komplizierten Hintergründen und Zusammenhängen, so aufzuarbeiten, dass sowohl die Frage als auch die Antwort verständlich und greifbar für die Breite der Gesellschaft wird, ist eine hohe Kunst und von unschätzbarem Wert. Das deutsche Wissenschaftssystem hat viel für die Zukunftsfähigkeit unserer Gesellschaft zu bieten, und dies durch Wissenschaftskommunikation auf höchstem Niveau zu vermitteln ist wichtiger denn je. Mit dem Goethe-Medienpreis wird zum wiederholten Mal außerordentliche Qualität im wissenschafts- und hochschulpolitischen Journalismus ausgezeichnet. Die prämierten Beiträge diskutierten die Funktionsweise der Wissenschaft, den Wert der wissenschaftlichen Bildung für die Selbstbestimmung des Individuums und ihre Verantwortung in der internationalen Zusammenarbeit – drei Fragen mit Relevanz für die Akzeptanz der wissenschaftlichen Erkenntnisse. Wir danken unseren Partnern, der FAZIT-Stiftung und dem Deutschen Hochschulverband, für die Möglichkeit, seit langem herausragende Leistungen im Wissenschaftsjournalismus auch als Role Model für zukünftige Arbeiten auszeichnen zu können.“
Für die Jury erklärte Carsten Knop, Herausgeber der Frankfurter Allgemeine Zeitung (FAZ):
„Die ausgezeichneten Arbeiten sind Musterbeispiele für sorgfältige Recherche, kenntnisreiche Darstellung und für eine Sprache, die ihrem Thema gerecht wird. Der nachforschende, nachfragende, nachdenkliche Journalismus ist nicht von gestern, sondern sehr lebendig. Und das gilt natürlich nicht nur für geschriebene Texte, sondern auch für die Audio- und Videoformate im Wettbewerb. Die Jury findet: Die Beiträge von Jeanette Schindler, Lea Weinmann (et al.) und Friederike Haupt sind ausgezeichneter Journalismus, und sie stehen für das, was den Beruf immer ausgezeichnet hat und ausmachen wird.“
Der Präsident des Deutschen Hochschulverbandes (DHV), Prof. Dr. Bernhard Kempen:
„Journalistinnen und Journalisten erklären der Öffentlichkeit nicht nur die Hochschulwelt oder die Forschung. Zu ihren Kernaufgaben gehört vielmehr auch, zu hinterfragen und einzuordnen, mithin kritisch und unbequem zu sein, weil sie Distanz haben und wahren müssen. Mein herzlicher Glückwunsch geht an die diesjährigen Preisträgerinnen und Preisträger, die diesen Anspruch in herausragender Weise erfüllen. Ihre Arbeiten stehen für qualitätsbewussten wissenschafts- und hochschulpolitischen Journalismus, für den der Goethe-Medienpreis als bundesweit erste Auszeichnung dankenswerter Weise seit nunmehr 15 Jahren eine Bresche schlägt.“
Der 2008 von der Goethe-Universität ins Leben gerufene und von der FAZIT-Stiftung unterstützte, unabhängige Medienpreis prämiert 2022/23 zum achten Mal stilistisch und inhaltlich herausragende Beispiele für hochschul- und wissenschaftspolitischen Journalismus. Mit dem Preis wollen die Jury und die Initiatoren des Preises einen Impuls geben, um dieser Gattung von Journalismus mehr Beachtung zu verschaffen. Der Goethe-Medienpreis wurde am 3. April 2023 im Rahmen der „Gala der Deutschen Wissenschaft“ des DHV im Berliner Schauspielhaus verliehen.