ELEMENTS / Ein Neutronenstern auf Reisen

Für die anstehende Runde der Exzellenzstrategie des Bundes und der Länder bewirbt sich die Goethe-Universität Frankfurt mit vier neuen Clustern zu den Forschungsthemen Vertrauen im Konflikt (CONTRUST), Infektion und Entzündung (EMTHERA), Ursprung der Schweren Elemente (ELEMENTS) und zelluläre Architekturen (SCALE). Die Anträge vereinen die Kompetenzen und zukunftsweisenden Ideen der Goethe-Universität mit denen der Kolleg:innen des Verbunds der Rhein-Main-Universitäten (RMU) und weiterer Partner der vier großen Organisationen der außeruniversitären Forschung. Der seit 2019 bestehende Exzellenzcluster Cardiopulmonary Institute (CPI) wird im kommenden Jahr direkt einen Vollantrag einreichen.

Die Bundesforschungsministerin Bettina Stark-Watzinger (l.) besuchte in Hofheim das Neutronensternmodell, das dort von Phyllis Mania begleitet wurde. Foto: BMBF/Hans-Joachim Rickel

Wie Wissenschaftskommunikation über ein Mitmachobjekt funktionieren kann

Wer bei einer gemeinsamen Aufzugfahrt eine Wissenschaftlerin oder einen Wissenschaftler des Clusterprojekts ELEMENTS fragt, woran die 100 ELEMENTS-Forschenden denn so arbeiten, bekommt wahrscheinlich als Antwort: „Wir wollen wissen, wo Gold herkommt.“ Das ist womöglich beim ersten Hören etwas missverständlich, denn es geht – anders als bei einem der historischen Goldrausche – nicht darum, Gold zu finden, sondern vielmehr zu verstehen, wie es entsteht. Das passiert wahrscheinlich bei großen Sternen-Crashs, sogenannten Kilonovae. Solche Crashs im Weltraum kann man von der Erde aus berechnen, beobachten und vermessen, und bestimmte Aspekte lassen sich – im Miniaturformat – auf der Erde in Teilchenbeschleunigern nachstellen. Die Physik dahinter ist sehr komplex, es geht um das Innenleben von Atomkernen und um extrem verdichtete Sterne, die Neutronensterne. Und es geht nicht nur um Gold, sondern um alle schweren Elemente, also auch um Blei, Silber, Platin und Uran zum Beispiel.

Herausforderndes Spezialthema

Auf Laien mag dies gleichermaßen faszinierend wie auch abschreckend wirken, kennen doch viele Physik nur aus der Schule und vielleicht aus Fernsehdokumentationen im Spätprogramm, in die man zufällig hineingezappt hat. „Die meisten Menschen haben schon einmal etwas von Atomen und Elementen gehört, und der ein oder andere mag sich an den Merkspruch zu den Planeten in unserem Sonnensystem ‚Mein Vater erklärt mir jeden Samstag unseren Nachthimmel‘ erinnern“, sagt Phyllis Mania, die seit Anfang 2022 für die Wissenschaftskommunikation des Clusterprojekts verantwortlich ist. „Aber mit Neutronensternen oder Zerfallsketten können nur wenige etwas anfangen.“ Darin liege die Herausforderung in der Wissenschaftskommunikation von ELEMENTS, meint Mania, denn selbst studierte Physikerinnen und Physiker würden bei einigen Spezialthemen nicht mehr mitkommen. „Für die Kommunikation ist das eine Herausforderung, aber auch eine große Chance, denn der Spieß lässt sich auch umdrehen: Da die Leute nicht das Gefühl haben, schon etwas wissen zu müssen, gehen sie oft sehr offen und neugierig an unsere Themen heran.“

Um einen Weg zu finden, mit den Menschen ins Gespräch zu kommen, haben Mania und der ELEMENTS-Sprecher Luciano Rezzolla ein Ausstellungsstück zum Anfassen entwickelt, das Modell eines Neutronensterns. Der Stern hat einen halben Meter Durchmesser und ist angeschnitten, damit man die inneren Schichten erkennen kann, und die Schichten lassen sich auch einzeln abnehmen. Im Weltall ist ein solcher Neutronenstern ein ungeheuer dichtes Objekt, in dem die Massen einer bis zwei Sonnen in einer Kugel mit dem Durchmesser etwa von Frankfurt am Main zusammengepresst sind. Ein Würfelzucker dieser Materie wöge auf der Erde so viel wie der ganze Mount Everest, und wenn zwei dieser Neutronensterne zusammenprallen, wird so viel Energie frei, dass sich schwere Elemente wie eben Gold bilden können.

Begreifbare Physik

Erstmals wurde das Neutronenstern-Modell auf der Frankfurter „Night of Science“ 2023 einer breiten Öffentlichkeit gezeigt, und mit der Frage „Haben Sie schon einmal einen Neutronenstern berührt?“ ließen sich Passanten – zum Beispiel ein Vater mit seinem kleinen Sohn, zwei Oberstufenschüler, eine Gruppe Studentinnen oder ein Rentnerehepaar – anlocken und ermuntern, Fragen zu stellen. „Als Hands-on-Objekt schafft es unser Neutronenstern, die sehr abstrakte Physik, die dahintersteckt, im Wortsinne begreifbar zu machen“, weiß Rezzolla. „Unser Neutronenstern ist ‚Hingucker‘ und Gesprächsanlass, und immer wieder entwickeln sich sehr spannende Gespräche – in denen wir, besonders von Kindern, manchmal Fragen gestellt bekommen, die uns Fachfrau oder Fachmann richtig fordern.“

Inzwischen hat der Neutronenstern weitere „Auftritte“ absolviert und war beim Tag der offenen Tür am GSI Helmholtzzentrum für Schwerionenforschung in Darmstadt zu sehen, wurde in Hofheim in die Roadshow „Universe on Tour“ des Bundesforschungsministeriums integriert und bereicherte die Mitmachausstellung des Wissenschaftsfestivals „Highlights der Physik“ in Kiel. Begleitet wurde der Stern von Mania und – nach ­Möglichkeit – von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern des Clusters.

Mit dem Neutronenstern hat ELEMENTS noch viel vor: Eine erste Online-Version, bislang nur auf Deutsch und Englisch, ist schon auf der Cluster-Website zu sehen. „Live“ soll der Neutronenstern künftig auch in Schulen zu Besuch sein, vornehmlich an Orten, die keine Universität in der Nähe haben. „Wir haben dabei besonders die Nachwuchsförderung im Blick“, erklärt Rezzolla. „Unser Ziel: Wir möchten junge Menschen – besonders Mädchen – mit unserer Begeisterung für Physik anstecken und vielleicht den einen oder anderen später zu einem Studium der Physik oder der Naturwissenschaften motivieren.“

ELEMENTS

Wer verstehen will, warum es im Universum schwere Elemente gibt, muss Neutronensterne, Kilonovae und Gravitationswellen erkunden. Im Clusterprojekt ELEMENTS haben sich rund hundert Teilchen- und Astrophysiker*innen mit diesem Ziel zusammengeschlossen.

Website zum Neutronenstern (Scroll-Story)
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