Goethe, Deine Forscher: Christine Wenona Hoffmann, Theologin

Als Grenzgängerin hat sich Christine Wenona Hoffmann schon immer gesehen. Nicht erst, seit sie am Fachbereich „Evangelische Theologie“ die Professur für „Praktische Theologie“ innehat, seit sie also an der Goethe-Universität erforscht, wie sich kirchliches sowie religiöses Handeln im täglichen Leben äußerst und sichtbar wird – und wie sich das mit wissenschaftlichen Methoden untersuchen und nachvollziehen lässt.

Schon in ihrer Kindheit und Jugend hat Hoffmann eine Grenze erlebt: Zwar waren sie und ihre Geschwister getauft worden, als Kinder zweier Mediziner wuchsen sie aber in einem rational-naturwissenschaftlich geprägten Haushalt ohne kirchlichen Bezug auf. „Es war immer klar, dass auch wir Kinder Medizin studieren würden“, sagt Hoffmann, die diese Grenze einzig in den Gesprächen und Diskussionen mit ihrem damaligen Religionslehrer überschritt.

Von der Medizin zur Theologie

Zweifel kamen ihr erst, als sie schon ihren Medizin-­Studienplatz zugeteilt bekommen hatte und noch das obligatorische dreimonatige Pflegepraktikum absolvierte: „Fall gelöst, der Nächste bitte… auf mich wirkte es, als ob da Menschen wie am Fließband durch dieses Medizin-System durchgeschleust würden – das konnte es doch nicht gewesen sein“, berichtet Hoffmann. Zugleich sei ihr Aktionsbereich als Praktikantin so begrenzt gewesen, dass sie quasi automatisch Aufgaben einer Seelsorgerin wahrnahm und sich schließlich – wiederum begleitet vom Gedankenaustausch mit ihrem ehemaligen Religionslehrer – für ein Theologie­-Studium entschied.

Dieses führte sie an konfessionelle Grenzen: Zunächst an die zwischen katholischer und evangelischer Theologie, als sie ihr Auslandsjahr in Rom verbrachte – sowohl wenn sie an der kleinen Fakultät der reformierten Waldenser-Kirche studierte, als auch wenn sie an den päpstlichen Universitäten „Gregoriana“ und „Hl. Thomas von Aquin“ zwischen 200 Priesteramtskandidaten und einigen wenigen Nonnen als einzige keinen Habit trug. Dann während ihres Aufenthalts in Cambridge auch an die Grenze zur anglikanischen und methodistischen Kirche.

Ihrer Neigung, Dinge zu erforschen und wissenschaftlich anzugehen, gab Hoffmann nach, als sie sich für eine Promotion nach ihrem Diplom und dem ersten Theologischen Examen entschied: „Mich hat das Phänomen ‚Predigt seit meinem ersten Semester fasziniert; ich fragte mich, in was die Inhalte von Predigten mit den Inhalten der Texte zu tun haben, um die es jeweils geht und wie ich diese biblischen Inhalte der Gemeinde rüberbringen kann, ohne sie mit vorlesungsähnlichen Vorträgen zu langweilen.“ Darin bewegte sie sich abermals an einer Grenze: zwischen den theologischen Disziplinen Exegese (wissenschaftliche Bibelauslegung) und Homiletik (Predigtlehre). Und eines steht seither fest: In der Praktischen Theologie hat sie das geeignete Feld gefunden, ihrem Forscherinnen-Drang nachzugeben.

Um ihr Studium mit dem zweiten Theologischen Examen abzuschließen und eine Pfarrstelle übernehmen zu können, absolvierte Hoffmann danach ihr Vikariat: in einer Mannheimer Gemeinde, in der viele sozial schwache Menschen leben und in der Diakonie (Wohltätigkeit, tätige Nächstenliebe) dementsprechend eine wichtige Rolle spielt. Auch dort, „im wirklichen Leben“ erhielt sie für ihre Forschung über die Promotion hinaus entscheidende Impulse. Als Vikarin leistete sie vielfach seelsorgerliche Unterstützung: Auf deren Wunsch hin begleitete sie ihre Gemeindemitglieder geistlich und stand ihnen – ebenfalls: wenn sie das wünschten – insbesondere in allen erdenklichen Lebenskrisen und -lagen zur Seite.

Seelsorgerin und Wissenschaftlerin

„Als Vikarin war ich also oftmals Seelsorgerin für Menschen, die der Diakonie bedurften, und zugleich war ich Wissenschaftlerin, die sich sorgfältig in ihre Tätigkeiten einarbeitet“, berichtet Hoffmann. Daher sei ihr eine weitere Grenze aufgefallen: In der Forschung zur Seelsorge habe Diakonie bis dato keine Rolle gespielt, und in der Diakonik (Forschung zur Diakonie) habe sich noch kaum jemand um seelsorgerliche Aspekte gekümmert, sodass diese beiden Aufgabenfelder auch in der Praxis evangelischer Kirchengemeinden unverbunden nebeneinander stünden.

Nachdem Hoffmann einige Jahre an der Grenze zwischen Gemeindealltag, evangelischer Amtskirche und theologischer Wissenschaft verbracht hat, ist sie inzwischen ganz im akademischen Umfeld angekommen, seit sie Anfang 2023 die W1-Professur an der Goethe-Universität übernommen hat und insbesondere die Beziehung von Seelsorge und Diakonie erforscht: Sie untersucht anhand von Protokollen seelsorgerlicher Gespräche, welche Themen Ratsuchende beschäftigen und wie Seelsorge wirkt, insbesondere wenn die Ratsuchenden gesellschaftlichen Randgruppen angehören. „Zudem frage ich: ,Wie lassen sich Seelsorge und Diakonie sinnvoll miteinander verknüpfen?‘ Realität in Deutschland ist nämlich, dass Diakonie und Kirche zusammengehören, aber doch weitgehend unabhängig agieren“, erläutert Hoffmann.

Besonders genießt sie es, dass sie sich hier an der Universität nicht zwischen Forschung und Lehre entscheiden muss: „Theologisch zu forschen ist wundervoll“, schwärmt Hoffmann, „aber dass ich Studierende unterrichten darf, das ist für mich das größte Glück. Hier in der Lehre kann ich Menschen dabei begleiten, wenn sie ihr eigenes theologisches Denken und Reflektieren schulen. Ich kann sie also darauf vorbereiten, dass sie später ihre Aufgabe gut erfüllen – das ist wunderbar!“ Außerdem freut sie sich, wenn ihre Lehrveranstaltungen die Grenzen zwischen Religionen und Fächern überschreiten. So etwa in ihrem jüngsten Seelsorge-Seminar, das auch von sechs Musliminnen besucht wurde.

Stefanie Hense

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