Alumni im Portrait: Im Gespräch mit Mike Josef, Oberbürgermeister Frankfurt Am Main

Mike Josef.

Herr Josef, Sie sind nun ein gutes halbes Jahr Oberbürgermeister der fünftgrößten Stadt Deutschlands. Wie verstehen Sie Ihre Rolle?

Meine Rolle ist es, unsere Stadt gut zu repräsentieren und allen Bürgerinnen und Bürgern auf Augenhöhe zu begegnen. Mich hat die Bedeutung des Amtes dann doch überrascht: Ich hatte über 1.300 Terminanfragen in den ersten Wochen. Politisch will ich mehr Investitionen: Bezahlbaren Wohnraum, Zugang zu guter kostenloser Bildung, Investition in Digitalisierung, in die Zukunft der Mobilität. Ich möchte, dass unsere Stadt für alle bezahlbar wird, beispielsweise auch durch Entlastung bei Energiekosten. Das alles immer vor dem Hintergrund, bis 2035 Klimaneutralität für die Stadt zu erreichen. Ich möchte auch daran arbeiten, Alltagsrassismus und strukturelle Diskriminierungen abzubauen. Für mich ist die Internationalität unserer Stadt eine Chance, die ich für eine starke Wirtschaft nutzen werde. Dazu gehört auch die stärkere Verzahnung unserer Wissenschafts- und Forschungseinrichtungen. Ich bin überzeugt, dass man Wachstum sozial gestalten kann.

Als OB in Frankfurt sind Sie Diener vieler Interessengruppen – Vier-Parteien-Koalition im Römer, Stadtplanung, Verkehrswende, Banken- und Finanzwelt, Wissenschaftsstandort. Wie kommen Sie zu Entscheidungen?

Ich bin Oberbürgermeister aller Frankfurterinnen und Frankfurter, ich will das Gemeinsame suchen und finden, nicht das Trennende. Ich lade die Bürgerinnen und Bürger dazu ein, unsere Stadt gemeinsam mit mir zu gestalten und mit Zuversicht nach vorne zu schauen. Mir ist wichtig: Nicht immer nur reden, sondern entscheiden! Nicht zu entscheiden, kann und darf nicht der Weg für Frankfurt sein.

Im nächsten Jahr ist Frankfurt Gastgeber der Fußball-Europameisterschaft, es kommen Tausende Besucher am Hauptbahnhof an. Das Bahnhofsviertel wirkt wie die Vorhölle der Drogenszene, viele Ecken der Stadt sind ungepflegt und schmuddelig. Wie wollen Sie das ändern?

Ich habe eine Waffenverbotszone durchgesetzt, das ist aktiver Opferschutz. Wir haben 5 Millionen Euro für Projekte, die Hilfesuchenden zugutekommen, zusätzlich in den Haushalt eingestellt. Und ich stehe dazu, dass wir an bestimmten Stellen mehr Sicherheit durch Videoüberwachung brauchen. Der Frankfurter Weg ist immer beides: Hilfe für Drogenkranke und Repression gegen die Kriminellen. Als Stadt haben wir eine Hilfs- und Schutzfunktion. Klar ist auch: Wir können nicht die Sammelstelle für alle Drogenkranken in Süddeutschland bleiben – andere Städte und Gemeinden haben auch eine Verantwortung.

Frankfurt wird international als Banken- und Finanzplatz wahrgenommen, weniger als Wissenschaftsstadt. Welche Rolle hat die Goethe-Universität in der Stadtgesellschaft?

Also für mich war und ist Frankfurt die Stadt der Frankfurter Schule des Instituts für Sozialforschung mit ihrer `Kritischen Theorie´ und die Stadt des Goethepreises. Frankfurt ist mit der Paulskirche eine Wiege der Demokratie und die Stadt mit den meisten Bürgerstiftungen. Ohne das engagierte Bürgertum gäbe es zum Beispiel gar keine Goethe-Universität. Und Frankfurt ist als Ort der Buchmesse international bekannt. Ich finde, unser Image ist besser, als es Ihre Frage vermuten lässt.

Sie selbst studierten Politikwissenschaften an der Goethe-Universität. Welche Bedeutung hatte Ihre Studienzeit für Sie aus heutiger Sicht?

Aufstieg durch Bildung ist in meinem Leben keine Phrase, sondern Realität, das Studium hat meinen Horizont erweitert, mich mit Theorien und Denkschulen konfrontiert, von denen ich vorher nichts wusste. Es hat mir Türen geöffnet und auch Selbstbewusstsein gegeben.

Als Bundesvorstand der Juso-Hochschulgruppe und des AStA haben Sie gelernt, Mehrheiten für sich zu gewinnen. Welches Ereignis Ihrer Studienzeit ist Ihnen in besonderer Erinnerung geblieben?

Ich habe mal als AStA-Vorsitzender vor Tausenden von Demonstrierenden für die Abschaffung von Bildungsgebühren gesprochen. Durch den AStA habe ich gelernt, dass man, wenn man gemeinsam Ziele verfolgt, gemeinsam auch viel erreichen kann. Wenn Sie so wollen: Ich weiß, wie es möglich ist, Menschen in Bewegung zu setzen.

Gibt es Erfahrungen aus der Studienzeit, die Sie als Grundsteine Ihrer Professionalität bezeichnen würden?

Ja, klar: Sich eigenständig Ziele setzen, Ergebnisse gemeinsam erzielen, über den eigenen Tellerrand hinausschauen. Für mich war schon klar, dass ich trotz meines Engagements für den AStA nicht ewig studieren kann, auch wegen des finanziellen Hintergrunds. Ziele zu verfolgen und auf eigenen Beinen zu stehen, das hat mich geprägt.

Wie hilfreich sind diese Erkenntnisse für Ihre heutige Arbeit als Oberbürgermeister und wie integrieren Sie sie in den Job?

Ich bin von Ulm nach Frankfurt gekommen und habe mich durch das Studium neu gefunden. Ich habe viel gelernt: Die Klassiker politischer Theorie, internationale Beziehungen, auch Rechtswissenschaften. Manches wird einem erst selbstverständlich, wenn man drüber nachdenkt. Dann merkt man, das habe ich aus der Vorlesung eines Professors oder einer Professorin mitgenommen. Ich kann mich an viele sehr gut zurückerinnern.

Sie sind tief eingetaucht in die bunte Welt der Goethe-Universität, auch privat. Wie haben Sie hier Ihre Frau kennengelernt?

Das war mein allerwichtigstes Erlebnis: Ich habe in einem Hörsaal der Goethe-Uni meine Frau kennenglernt. Es hatte geregnet, meine Brille war beschlagen. Bei unserem ersten Zusammentreffen waren ihre Füße nass und ich konnte nichts lesen, sie hat mir geholfen.

Sie haben syrische, Ihre Frau griechische Wurzeln. Was kommt bei Ihnen in der Familie zum Essen auf den Tisch?

Wenn wir auswärts essen, dann am liebsten Quittenrahmschnitzel beim Henscheid in Bornheim – können wir nur empfehlen. Wir mögen auch Pizza und Pasta, ich liebe Spätzle.

Gibt es einen roten Faden oder ein Motto, das sich durch Ihr Leben zieht?

Mein Vater hat mir mal gesagt: Begegne großen Leuten mit Größe und kleinen Leuten mit Demut.

Das Interview führte Heike Jüngst.

Zur Person

Mike Josef habe sich schnell in das Amt des Oberbürgermeisters eingearbeitet, schreibt die Frankfurter Allgemeine Zeitung. Erst seit Mai 2023 bekleidet er das höchste Amt der Stadt. Josef überzeuge durch Leistung und »als Mensch«. Sein Anspruch ist es, Oberbürgermeister aller Frankfurterinnen und Frankfurter zu sein. Dafür nimmt der Sozialdemokrat viele öffentliche Termine wahr. Josef ist präsent, vermeidet Fehler auf dem diplomatischen Parkett. In Frankfurt am Main genießt der 40-jährige Mike Josef einen tadellosen Ruf.

Seine ungewöhnliche Karriere wurde Mike Josef nicht in die Wiege gelegt. Im Alter von vier Jahren kam er 1987 mit seiner Familie als Flüchtlingskind nach Deutschland – auch wenn diese Geschichte für den Politiker in der Öffentlichkeit kaum ein Thema ist. Geboren wurde Mike Josef in Kameshly, einer Stadt in Syrien. Die Familie gehört zur aramäischen Minderheit und sah in ihrer Heimat keine Zukunft mehr. In der Nähe von Ulm lebte die Familie einige Monate in einem Flüchtlingsheim. Josef besuchte zunächst die Hauptschule und schloss den ersten Bildungsweg mit der Mittleren Reife (Realschulabschluss) ab. 2002 machte er in Neu-Ulm die Fachhochschulreife. Dort leistete er von 2002 bis 2003 seinen Zivildienst beim Deutschen Roten Kreuz.

Nach dem Vordiplom im Studiengang Soziale Arbeit an der Fachhochschule Frankfurt studierte Mike Josef Politikwissenschaft, Geschichte und Rechtswissenschaft an der Goethe-Universität Frankfurt am Main. Parallel engagierte er sich im Bundesvorstand der Juso- Hochschulgruppe und im AStA. Während dieser Zeit war er auch mehrfach als studentischer Mitarbeiter im Bundesumweltministerium tätig. Auf seine Initiative geht auch die Klage vor dem Verfassungsgericht gegen die Einführung von Studiengebühren in Hessen zurück. Dies war der Beginn seiner steilen politischen Karriere in der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands.

Von 2011 bis 2016 arbeitete er als Organisationssekretär des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB) in Südosthessen. Gleichzeitig vertrat er die SPD als Stadtverordneter im Römer. Mit nur 30 Jahren wird er Vorsitzender der Frankfurter SPD. Es gelingt ihm, die zerstrittene Partei zu einen. Von 2016 bis Mai dieses Jahres arbeitete er als Planungs- und Sportdezernent der Stadt. Mike Josef ist evangelischer Christ und hat mit seiner Frau Chrisovalandou, deren Eltern aus Griechenland stammen, zwei Söhne.

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