„Ein fundamentales Missverhältnis“

Ladislaus Ludescher über schrumpfende Mittel für Hungerbekämpfung und Entwicklungsarbeit einerseits und wachsende Militärbudgets andererseits

UniReport: Herr Ludescher, dass die Ausgaben für Rüstung weltweit und auch aktuell in den NATO-Staaten ansteigen werden, ist eigentlich keine Überraschung angesichts der Bedrohungslage in Europa und auch an zahlreichen anderen Krisengebieten, oder?

Ladislaus Ludescher: Ich glaube nicht, dass eine Aufrüstungsspirale die Antwort auf die globalen Probleme sein kann. Bei der aktuellen militärischen Aufrüstung geht es vor allem darum, ein Zeichen der Stärke des „Westens“ gegenüber den anderen Mächten zu setzen. Dieses sehr teuer erkaufte Zeichen wird allerdings sehr wahrscheinlich die anderen Mächte (wie China und Russland) herausfordern, ebenfalls Zeichen ihrer Stärke zu setzen und dementsprechend zu einer weiteren Aufrüstung in den dortigen Staaten führen, was dann wohl den „Westen“ wieder herausfordern wird.

Die NATO-Staaten machen bereits jetzt über die Hälfte aller Ausgaben für Rüstung auf der Welt aus. Dem schwedischen Friedensforschungsinstitut SIPRI zufolge haben die globalen Militärausgaben im Jahr 2024 mit 2718 Milliarden US-Dollar einen beispiellosen Rekordwert erreicht. Dies bedeutet einen Zuwachs um fast 10 Prozent gegenüber dem Vorjahr. Gleichzeitig hungern auf der Welt etwa 730 Millionen Menschen. Zum Vergleich: Die Mittel des Welternährungsprogramms der Vereinten Nationen (World Food Programme, WFP) betrugen im Jahr 2024 knapp 10 Milliarden US-Dollar, was gerade einmal 0,3 Prozent der globalen Militärausgaben entspricht. Die gesamten Mittel für Öffentliche Entwicklungszusammenarbeit (Official Development Assistance, ODA) der OECD-Länder betrugen 212 Milliarden US-Dollar, also nicht einmal 8 Prozent der globalen Militärausgaben. Ich denke, dass es sehr offensichtlich ist, dass hier die Relationen nicht stimmen. Und die Tendenz ist sogar stark dahin gehend, dass die Schere noch weiter auseinandergeht.

Die Mittel für Hungerbekämpfung und Entwicklungsarbeit stagnieren oder schrumpfen hingegen, so Ihre Kritik – in relativen oder auch in absoluten Zahlen?

Es handelt sich um einen Rückgang auch in absoluten Zahlen. Im Jahr 2024 verringerten sich die Mittel für Öffentliche Entwicklungszusammenarbeit gegenüber dem Vorjahr um über 11 Milliarden US-Dollar. Auch das Nothilfebüro der Vereinten Nationen wies auf die größten Finanzierungskürzungen aller Zeiten hin, von denen Millionen von Menschen auf der Welt existenziell betroffen sind.

Welche Rolle spielt Deutschland in diesem Zusammenhang? Macht die Bundesrepublik diese Tendenzen mit oder stellt sie sich gegen die aktuellen Entwicklungen?

Deutschland gehört zu den Vorreitern der massiven Steigerung der Militärausgaben bei gleichzeitigem Zurückfahren der Mittel für Entwicklungszusammenarbeit. Im Jahr 2024 sanken die ODA-Mittel der OECD-Länder um etwa 7 Prozent, in Deutschland aber sogar um 15 Prozent. Gleichzeitig wurde das Militärbudget massiv ausgeweitet. Aktuell folgt die Bundesrepublik der von US-Präsident Donald Trump geforderten Erhöhung der Militärausgaben der NATO-Staaten auf 5 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP). Wir reden damit von einer Erhöhung des Militärbudgets in Deutschland auf einen Wert, der heute etwa 260 Milliarden US-Dollar entsprechen würde. Im Jahr 2024 hatte Deutschland einen Militäretat von 88,5 Milliarden US-Dollar. Zum Vergleich: Die Mittel für Entwicklungszusammenarbeit betrugen mit 32,5 Milliarden US-Dollar etwa ein Drittel davon. Bereits jetzt liegt Deutschland vor den Atommächten Indien, Frankreich und dem Vereinigten Königreich an der vierten Stelle der globalen Militärausgaben. Mit dem 5-Prozent-BIP-Ziel würde Deutschland sogar Russland überholen. Wir müssen uns bei diesen gewaltigen Summen vor Augen rufen: Alle 13 Sekunden stirbt ein Kind auf der Welt infolge von Hunger, im Jahr also etwa 2,5 Millionen Kinder. Der Beitrag Deutschlands zum UN-Welternährungsprogramm beträgt gerade einmal knapp 1 Milliarde US-Dollar. Ich kann nur noch mal wiederholen: Es ist ausgesprochen evident, dass die Relationen hier in einem fundamentalen Missverhältnis stehen.

Sie untersuchen bereits seit einigen Jahren die »mediale Vernachlässigung des Globalen Südens«. Fühlt man sich nicht angesichts anderer dominanter Themen – die, wie im Falle des Klimawandels zu sehen, selber auf der Agenda drohen nach hinten zu rutschen – wie ein Rufer in der Wüste? Oder sehen Sie eine Wirkung (auch) Ihrer Forschung in der Öffentlichkeit und in der Politik?

Ich glaube, dass es sehr viele Menschen gibt, die sehr erschrocken reagieren, wenn man ihnen die Zahlen zeigt. Ich habe sowohl aus der Öffentlichkeit als auch aus der Politik durchaus Rückmeldungen erhalten, die angesichts dieser Zahlen von einem Skandal sprechen, der eigentlich einen medialen Aufschrei hervorrufen sollte. Leider sind aktuell auf der Welt vor allem Kräfte Entscheidungsträger, bei denen humanitäre Fragen nicht sehr hoch im Kurs stehen. Man sollte sich aber nicht entmutigen lassen und Öffentlichkeit, Medien und Politik immer wieder die tatsächlichen Verhältnisse vor Augen führen, um sie für das Thema zu sensibilisieren und dadurch etwas zu bewirken. Wenn zukünftige Generationen auf unsere Zeit zurückblicken werden, werden sie sehen, dass es auch andere Stimmen gab.

Dr. Ladislaus Ludescher ist Wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Goethe-Universität Frankfurt sowie assoziierter Wissenschaftler an der Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg. Die von ihm mitkonzipierte Ausstellung »Vergessene Welten und blinde Flecken« ist als Wanderausstellung zur gleichnamigen Studie über die mediale Vernachlässigung des Globalen Südens im Journalistenzentrum Herne sowie an zahlreichen anderen Orten zu sehen. Auf der Internetseite finden sich auch zahlreiche Analysen, so auch zur Ausweitung der Militärausgaben und Kürzung der Entwicklungszusammenarbeit.

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