Es braucht die ganze Goethe-Community

Tiny Forests schlagen an der Universität Wurzeln und stärken Gemeinsinn

Klirrende Kälte, minus sechs Grad, strahlender Sonnenschein über dem Campus Riedberg. An diesem Samstagmorgen stehen mehr als 30 Menschen dicht gedrängt um eine 125 Quadratmeter große Fläche. Spaten stecken im gefrorenen Boden, Atemwolken steigen in die Luft, Hände reiben sich warm. Dann fällt der Startschuss: Die Goethe-Universität pflanzt ihren ersten Tiny Forest.

„Es soll ganz eng gepflanzt sein“, instruiert Robert Anton, Landschaftsarchitekt und Technischer Leiter des Wissenschaftsgartens, die Freiwilligen. „Diese Enge sorgt für einen extrem schnellen Höhenwuchs. In zehn Jahren können hier bis zu 14 Meter hohe Bäume stehen.“ Das Miniaturwäldchen am Riedberg ist Auftakt einer Reihe von Tiny Forests, die in den kommenden Jahren auf weiteren Campi der Goethe-Universität entstehen sollen – ein sichtbares Zeichen für Nachhaltigkeit, Klima- und Artenschutz und zugleich ein Gemeinschaftsprojekt der Bürgeruniversität.

Kleine Flächen, große Wirkung

Die Wurzeln der Tiny-Forest-Bewegung reichen zurück zum japanischen Pionierförster Akira Miyawaki. Sein Prinzip: Auf kleinstem Raum werden sehr viele standortgerechte Bäume und Sträucher gepflanzt – so dicht, dass sie miteinander konkurrieren. Dieser „Wettstreit“ führt zu einem rasanten Wachstum und zu einem selbsttragenden Ökosystem, das sich bereits nach vier Jahren stabilisiert.

Auch der Hessische Rundfunk interessiert sich für das Konzept „Tiny Forest“.

Anton beschreibt es so: „Man überlässt die Flächen mehr oder minder sich selbst und lässt sie sich zu einer kleinen Wildnis entwickeln, zu einem natürlichen Refugium für Insekten und Vögel.“ Die Flächen müssen dabei nicht eckig sein, ergänzt er schmunzelnd: „Eckige Formen gibt es in der Natur selten. Unsere Tiny Forests werden organisch und kreisförmig.“ Was in Japan begann, gewinnt nun auch in Frankfurt an Bedeutung. Denn Hessens Innenstädte heizen sich im Sommer immer stärker auf, Platz für große Parks gibt es kaum. Mini-Wälder können Abhilfe schaffen: Sie binden CO₂, fördern Biodiversität, spenden Schatten – und bringen Menschen zusammen.

Ein frostiger Morgen, ein dichter Wald und viele helfende Hände

Der Riedberger Tiny Forest entsteht nicht im stillen Kämmerlein, sondern Schulter an Schulter. Mitarbeitende der Universität sind dabei, Studierende, Menschen aus der Stadtgesellschaft. Auch kleine Kinder, die mit klammen Fingern Erde über die Wurzeln streuen.

Engagierte Anwohner: Igor Vyshyvaniuk und seine kleine Tochter Marta.

Zwischendurch wärmen sich alle an einer Feuerschale, trinken heißen Tee, sprechen über Pflanzenarten, Klimaschutz und das Gemeinschaftsgefühl, das sie hierhergeführt hat. Für Pia Vierling, Studentin der Politikwissenschaft und Gender Studies, ist das Mitmachen bewusst politisch: „Ich bin hier, weil die Aktion Spaß macht – und weil es schön ist, mal direkt ein Ergebnis zu sehen. Politische Arbeit ist oft abstrakt. Hier pflanzen wir, und dann stehen da die Bäume. Und ja: In Zeiten, in denen ein US-Präsident die Klimakrise leugnet, ist so eine Aktion auch ein politischer Akt.“

Auch Igor Vyshyvaniuk, Anwohner am Riedberg, ist mit seiner kleinen Tochter Marta gekommen. Der Informatiker engagiert sich seit Jahren in einer lokalen Klimainitiative. Sein Motiv bringt er schlicht auf den Punkt: „Ich will für meine Kinder eine bessere Zukunft hinterlassen.“

Forschung im Kleinformat: Ein Labor unter freiem Himmel

Neben dem Gemeinschaftsaspekt ist der Tiny Forest auch ein Forschungsfeld. Dominik Mohr, Bodenwissenschaftler an der Goethe-Universität, freut sich auf die wissenschaftliche Begleitung: „Neben der Biodiversität, die hier gefördert wird, können wir mit einem Tiny Forest auch das Herunterkühlen von Städten erreichen. Solche kleinen Wälder halten Hitze ab und senken die Temperatur der Stadt. Wir wollen untersuchen, wie nachhaltig diese Schutzräume für Tiere und Insekten sind.“

Künftig sollen Schulklassen, Studierendengruppen und Interessierte den Tiny Forest besuchen, Führungen erhalten oder selbst Daten sammeln. Auch ins Frühlingsfest 2026 wird das Wäldchen eingebunden.

Fundraising als Gemeinschaftsarbeit: Der Tiny Forest ist ein Bürgeruniversitätsprojekt

Dass dieses Projekt möglich wurde, liegt auch an privater Unterstützung. Gleich drei Tiny Forests wurden von Claudia und Hendrik Leber gestiftet. Insgesamt sechs sollen es werden. Hinzu kommen Baumpatenschaften – von Privatpersonen, Unternehmen, Alumni.

Baumpaten, die gerne anpacken: Wolfgang Melzer und Dr. Renate Finke

Eingeladen hat zu dieser Pflanzaktion Susanne Honnef, Referentin für Fundraising in der Abteilung Private Hochschulförderung. Für sie ist Fundraising weit mehr als das Einsammeln von Spenden: „Fundraising ist Vernetzung, Identität, Gemeinschaft. Wir bringen Menschen zusammen, die etwas bewegen wollen.“ Wie stark diese Form des Miteinanders wirkt, zeigt Baumpatin Dr. Renate Finke, pensionierte Volkswirtin: „Ich werde hier nicht nur als Geldgeberin gesehen. Ich treffe Gleichgesinnte, bekomme Einblicke in Forschung und Lehre – und ich kann selbst mit anpacken. Dass Susanne Honnef uns immer wieder kontaktiert, schätze ich sehr.“

Auch Wolfgang Melzer, Jurist in einer internationalen Kanzlei und Baumpate, sieht seine Rolle bewusst aktiv: „Ich wollte nicht nur spenden. Ich wollte mit den eigenen Händen etwas für die Biodiversität tun.“ Seine Kanzlei hat ebenfalls Patenschaften übernommen. Für Melzer ist die Pflanzaktion ein Ausdruck von Gemeinsinn – und eine Chance, sich als Bürger Teil des Campus zu fühlen.

Nachhaltigkeit an der Goethe-Universität: Strategie mit Haltung

„Die Natur versteht gar keinen Spaß, sie ist immer wahr, immer ernst, immer streng, sie hat immer recht, und die Fehler und Irrtümer sind immer des Menschen.“ Johann Wolfgang Goethe

Die Goethe-Universität hat sich vorgenommen, ihre Standorte sozial-ökologisch, klima- und chancengerecht zu gestalten und bis 2038 netto-treibhausgasneutral zu werden. Tiny Forests sind ein Baustein dieser Strategie – neben Energieeffizienz, grünen Mobilitätskonzepten, Biodiversitätsprojekten und vielen Umweltbildungsformaten. Sie stehen für eine Haltung: nachhaltige Campi entstehen nicht allein durch Verordnungen, sondern durch gemeinschaftliches Handeln.

Viele kleine Schritte – und viele kleine Projekte

Der Tiny Forest am Riedberg ist erst der Anfang. Weitere Miniwälder sind geplant, dazu Umweltbildungsaktionen, Forschungsinitiativen und kleine Maßnahmen, die in Summe viel bewirken können. Damit solche Projekte wachsen können wie die jungen Bäume im frostigen Boden, braucht es weiterhin Unterstützung: Engagement, Beteiligung – und Spenden. Denn an der Goethe-Universität gilt: Es braucht die ganze Goethe-Community, um Nachhaltigkeit und Klimaschutz gemeinsam lebendig werden zu lassen.

Autorin: Heike Jüngst, Fotos: Heike Jüngst

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