Zwei Studierende geben Einblicke in ihre ganz persönlichen Nischen
„Das wird so nichts. Ich würde lieber ein Interessenstudium beginnen.“ Das musste Lukas schon bald feststellen, nachdem er zunächst mit einem Informatikund Multimedia-Studium begonnen hatte, das kaum seinen Vorstellungen entsprach. Mittlerweile studiert er Südostasienwissenschaften und Ethnologie an der Goethe-Universität und zählt somit zu einer relativ kleinen Zahl von Studierenden, die sich den sogenannten Kleinen Fächern, die manchmal auch (fälschlicherweise) als Orchideenfächer bezeichnet werden (siehe Interview mit Prof. Axel Fleisch) widmen.
Studienalltag in Frankfurt
Tatsächlich ist der Begriff Orchideenfach etwas irreführend, denn einen dekorativen Charakter und die damit implizierte Nutzlosigkeit kann man den kleinen Fächern nicht vorwerfen. Sie leisten durchaus ziemlich Großes: Die Erforschung und Wissenserweiterung über ganze Kulturen oder Religionen ist zentrale Aufgabe, sie tragen zur Diskussion von gesellschaftlich relevanten Fragestellungen und schließlich zur Bewahrung des kulturellen Erbes bei.
Die Goethe-Universität ist eine beliebte Anlaufstelle für Interessenten der Kleinen Fächer. Neben Südostasienwissenschaften finden sich Afrikanistik, Kriminologie oder wie in Annes Fall die Skandinavistik. Sie kam über ein anderes Kleines Fach, die Allgemeine und Vergleichende Literaturwissenschaft, zu ihrem jetzigen Studium. „In der Skandinavistik haben sich meine Interessen wie von Zauberhand vereinen lassen.“ So scheint es vielen zu gehen, denn auch Lukas erklärt: „Ich habe mich rückbesonnen, was ich sonst so gerne mache oder gemacht habe in der Vergangenheit.“
Seinen individuellen Interessen und der eigenen Neugier nachzugehen, scheint auf die meisten Studierenden der Kleinen Fächer einen ganz besonderen Reiz auszuüben.
Egal, ob es um Kulturen in Südostasien, Goldmünzen im Römischen Reich oder Kinderbuchforschung geht, irgendwer ist immer mit Begeisterung dabei. Doch nicht nur die Möglichkeit, endlich seine spezifischen Interessen verfolgen zu können, reizt viele an einem Studium eines Kleinen Fachs. Denn überfüllte Seminare und Anonymität sind hier nicht an der Tagesordnung. „Es ist sehr familiär, manchmal etwas schulisch. Sprache lernt sich am besten gemeinsam“, stellt Lukas fest und auch Anne findet, dass „das Institut für Skandinavistik hier in Frankfurt fast schon familiär zusammengewachsen ist“. Man kennt sich, man unterstützt sich – nicht in allen Studiengängen der Normalfall. „Ein unterstützendes Umfeld zu haben, ist für mich mitunter immer das Schönste gewesen“, bekräftigt Anne. Dieses enge Verhältnis zieht sich bis zu den Dozierenden durch, was zur Folge hat, dass die Studierenden stärker miteinbezogen werden und auch Lukas bestätigt, die Hierarchien seien flach. Persönliches Engagement und das Einbringen eigener Ideen sind hier gerne gesehen und werden zum Teil auch gefordert. „Dadurch, dass wir so wenige sind, kann das Engagement des Einzelnen relativ gut gefördert werden und ich habe auch die Hiwi-Stelle, die ich wollte, direkt bekommen“, erzählt Lukas. Anne empfindet ihren Studienalltag ähnlich: „Unsere Dozent*innen bemühen sich immer sehr darum, den Studierenden ein relativ großes, extracurriculares Angebot zu erschaffen und sind Vorschlägen und Bitten meist sehr offen und unterstützend zugewandt.“
Wie in jedem anderen Studium auch, müssen sich die Studierenden natürlich Herausforderungen stellen und es kristallisiert sich vermeintlich eine heraus – die Berufswahl. Das Klischee vom Taxi fahrenden Studienabsolventen hält sich in vielen Köpfen hartnäckig. Lukas, der sich ein Arbeiten mit Literatur im Verlagswesen gut vorstellen kann, hat dazu eine klare Meinung: „Ich finde es schade, dass das die erste Frage ist, die man gestellt bekommt und sie so auf die Verwertbarkeit abzielt, weil das vielleicht gar nicht der Maßstab sein sollte.“ Tatsächlich scheint die Berufswahl sehr vielfältig und besonders: von Museen über Übersetzungsarbeiten bis hin zum akademischen Betrieb – vieles ist möglich und vieles muss einfach entdeckt werden.
Man ist flexibel, kann sich dem sich ständig ändernden Arbeitsmarkt anpassen und Lücken füllen, die sonst genau das geblieben wären – Lücken und blinde Flecken.
Anne ist überzeugt: „Man wächst mit seinen Aufgaben – daher findet man vielleicht in Fächern wie der Skandinavistik auch erst im Laufe des Studiums fruchtbare Antworten auf das ‚Wohin?‘, aber diese Antworten sind dann womöglich umso kreativer und überraschender!“
Tipps für Studieninteressierte
Aber bevor man über einen passenden Beruf nachdenkt, muss man sich erstmal auf einen Studiengang festlegen, was oft mit einem langwierigen Entscheidungsprozess und vielen Fragen verbunden ist. Was macht mir Spaß? Was will ich? Wohin soll mich mein Studium bringen? Anne und Lukas mussten sich diesen Fragen stellen und haben ihre ganz persönlichen Antworten gefunden. Dabei mussten sie sich auch mit den Anforderungen ihres ausgewählten Fachs beschäftigen. Ein Auslandaufenthalt sei insbesondere bei den Sprach- und Kulturwissenschaften ein Muss. Lukas selbst hat ein Auslandsemester auf den Philippinen verbracht. Außerdem hat Anne folgende Tipps, um einen authentischen Eindruck vom Studium zu bekommen: „Ich würde für die ersten Schritte in Richtung Entscheidungsfindung vielleicht empfehlen, schon mal Kontakt zur Institutsgruppe aufzunehmen und sich möglichst schon mal mit einem Studierenden des jeweiligen Faches treffen und dieser Person Löcher in den Bauch fragen.“
Falls dann noch Fragen ungeklärt bleiben, nimmt die Goethe-Universität im Wintersemester 2019/2020 an einem vom Bundesministerium für Bildung und Forschung und von der Hochschulrektorenkonferenz geförderten bundesweiten Projekt Kleine-FächerWochen an deutschen Hochschulen teil. Ein ganz besonderes Highlight stellt am 31. Januar ab 18 Uhr die Lange Nacht der Kleinen Fächer dar. Hier können Interessierte Antworten auf ihre Fragen erhalten und vielleicht ihre ganz persönliche Nische finden. Denn auch Anne ist sich mittlerweile sicher: „Ich glaube, dass die Skandinavistik für mich die Nische war und ist, die ich finden musste, um meinen Leidenschaften und meiner Wesensart entsprechen zu können.“
Natalia Zajić
Dieser Artikel ist erschienen im UniReport 6.19
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