Campus Westend / Poelzigs Architektur ein Stück weitergedacht

Architekt Lutz-Matthias Keßling

Dritter Bauabschnitt: Der Entwurf aus Sicht des Architekten

Der Campus Westend wächst weiter: Am 17. Oktober fand der erste Spatenstich für den dritten Bauabschnitt statt. In den Neubau werden 2021 die sprach- und kulturwissenschaftlichen Fächer einziehen, die ihren Standort aktuell noch auf dem Campus Bockenheim haben, sowie weitere Nutzer. Der Entwurf stammt vom Architekturbüro BLK2 aus Hamburg; zu den Besonderheiten gehört eine zweischichtige Außenfassade aus Naturstein in zwei Farbtönen. GoetheSpektrum hat mit Architekt Lutz-Matthias Keßling über die Ideen hinter dem Entwurf gesprochen.

GoetheSpektrum: Herr Keßling, Rahmenvorgabe für alle Neubauten auf dem Campus Westend ist ein harmonisches Gesamtbild, das eine gewisse Fortschreibung der IG-Farben-Haus-Linie darstellt. Wie viel Raum zur kreativen Entfaltung bleibt einem Architekten da überhaupt noch?

Lutz-Matthias Keßling: Wir sind ja ein Wettbewerbsbüro, das heißt, wir definieren uns gewissermaßen bei jeder Ausschreibung neu und starten nicht mit einer typischen Handschrift. Was wir oft feststellen, ist, dass uns Aufgabenstellungen, die mit einer gewissen Reglementierung einhergehen, häufig zu Lösungsideen führen, auf die wir ohne diese Vorgaben gar nicht gekommen wären. Wir hatten auch schon am Wettbewerb zum ersten Bauabschnitt teilgenommen, von daher war es spannend, sich jetzt noch einmal neu mit der Campusentwicklung zu beschäftigten und dabei sehen zu können, wie der Campus mittlerweile im Zusammenspiel zwischen neuen Baukörpern und altem Baumbestand gewachsen ist.

Das Institutsgebäude bekommt eine zweischichtige Außenfassade. Was hat es damit auf sich?

Bei dieser Lösung machen wir es anders als die Kollegen, deren Bauten in den letzten Jahren auf dem Campus entstanden sind. Unsere Bauaufgaben aus den vergangenen Jahren hatten alle ihren eigenen ästhetischen Duktus; wir versuchen immer, für jeden Ort das angemessene Ergebnis zu erzielen. Mit dem IG-Farben-Gebäude haben wir aber ein Präsenzbeispiel auf dem Campus, das uns auch von seiner Konstruktionsweise her inspiriert hat.

Wer als Laie davorsteht, sieht ein Haus aus Travertin und ahnt nicht, dass es damals, Ende der 1920er Jahre, einer der größten vorgefertigten Stahlbauten war, die existierten. Das heißt, dieses neue, serielle Bauen ist versteckt unter der Verkleidung des Hauses. Man kann das ein Stück weit erkennen, weil diese Solidität durch die Bandfenster verändert wird. Von daher hatte dieser Entwurf von Hans Poelzig eine Referenzfunktion für uns.

Das von uns entworfene Gebäude wird ja sehr vielfältig genutzt werden, aber die Verschiedenheit der Nutzer können wir mit einem gemeinsamen Gebäude nur bedingt abbilden. Wir haben daher versucht, diese Vielschichtigkeit insofern darzustellen, dass wir mit der Fassade und den Ebenen und der Materialität etwas spielen. Dazu gehört auch, nicht die Tiefe des Materials zu zeigen, zumal heute sowieso nur noch mit Verkleidungen, mit vorgehängten Fassadenelementen, gearbeitet wird. Mit der Fassadenkonstruktion unseres Entwurfs wollten wir Poelzig weiterdenken:

Wir haben als erste Schicht den hellen Naturstein, als zweite Schicht dann einen etwas dunkleren Naturstein. Dieser wird nur teilweise sichtbar, weil wir mit Aluminiumblechen arbeiten, die später zusammen mit dem Sonnenschutz eine Metallverkleidung in hellem Silberton sichtbar machen. Dabei geht es dann gar nicht mehr darum, die scheinbare Tragfähigkeit einer Fassade darzustellen, wie im Fall des IG-Farben-Hauses, sondern das Ganze wie eine Membran wirken zu lassen. Das ist unser Versuch, innerhalb der Vorgaben ein Thema herauszukitzeln, das in anderer Form schon auf dem Campus existiert.

Gebäude-Steckbrief

Nutzung:
• Institute des Fachbereichs Sprach- und Kulturwissenschaften (u.a. Kunstgeschichte, Kunstpädagogik, Musikwissenschaften, außereuropäische Sprachen, Empirische Sprachwissenschaften) und Dekanat
• Bereichsbibliothek/Studienzentrum
• Teilbarer Hörsaal für 700 Personen
• Zentrale Einrichtungen (Akademie für Bildungsforschung und Lehrerbildung, Philosophische Promotionskommission, Teile des Hochschulrechenzentrums etc.)
• Abteilung Betrieb & Service
• Studentenwerk
• Cafeteria
• Tiefgarage Nutzfläche: 20.216 Quadratmeter

Finanzierung:
HEUREKA-Hochschul-Investitionsprogramm und »Hochschulpakt-2020-Investitionsprogramm« von Bund und Ländern. Entwurfsbilder des Architekturbüros finden Sie hier.

Ihr Institutsbau wird den Schlussstein für den Campus Westend bilden. Wie wird man dieser Aufgabe gerecht?

Wir haben versucht, mit kleinen städtebaulichen und verfahrenstechnischen Mitteln eine eigene Handschrift oder eigene Interpretation einzubringen. Uns interessieren bei den Aufgabenstellungen immer die vorhandenen Räume, und insofern haben wir überlegt, wie wir innerhalb des vorhandenen Korsetts arbeiten können. Die American Barracks, also die Einfamilienhäuser am Rand des Campus, waren dabei eine gewisse Herausforderung, weil sie in gewissem Sinne ein kleines gallisches Dorf darstellen und nach Norden hin die Erweiterung des Campus blockieren.

Gleichzeitig wird der Campus in Zukunft unter anderem durch die Planungen für die künftige Universitätsbibliothek viel präsenter im Norden des Geländes sein, also in Richtung Miquelallee. Darum haben wir unseren Entwurf so angelegt, dass der Baukörper ein Stück von den Einfamilienhäusern zurückweicht und leicht diagonal zum Campusplatz verläuft. Für eine harmonische Verbindung zu den bereits vorhandenen Bauten spielen wir mit den Größen beim Institutsbau. Wir haben es ja mit einem relativ großen und vielfältigen Bauprogramm zu tun.

Damit das Gebäude nicht zu massiv wirkt, haben wir unterschiedlich hohe Baukörper entworfen, die über einen Sockelbau miteinander verbunden werden. Die Höhe der Baukörper korrespondiert dabei zum Beispiel in den Bereichen, wo die Kunstpädagogik oder die Akademie für Lehrerbildung einziehen werden, mit der Maßstäblichkeit des Seminarhauses oder des »Normative Ordnungen«- Gebäudes. Nach Norden hin – dort, wo die Kleinen Fächer einziehen werden – wird ein größerer Baukörper entstehen, der dann etwas von der Fußgängerachse entfernt sein wird, um eine Durchlässigkeit nach Norden hin zu ermöglichen.

Das Konzept der künftigen Bereichsbibliothek reflektiert die gewandelte Rolle von Bibliotheken, da diese auch ein Studienzentrum werden soll. Was hieß das für Sie als Architekten?

Herkömmliche Bibliotheken werden in unserer demokratisch-pluralistischen Welt, wo eigentlich alles Wissen digital jedem zur Verfügung steht, als tatsächliche Wissensspeicher zunehmend abgelöst von der digitalen Bibliothek. Dennoch blieben sie natürlich gemäß ihrer eigentlichen Bedeutung »Bücherbehälter«:

Ein großer Bereich der Bereichsbibliothek im Institutsgebäude wird für den Magazin- und Freihandbestand zur Verfügung stehen, zumal die jetzigen Institutsbibliotheken räumlich zusammenrücken, was noch einmal den universitären Charakter stärkt. Gleichzeitig verändert sich aber der Fokus der Bibliothek hin zu einem Raum, der singuläres und gemeinsames ruhiges Studieren ermöglicht.

Was ich sehr schön finde, ist, dass es neben den Einzelarbeitsplätzen künftig auch Gruppenarbeitsplätze geben wird, die sogar im 24-Stunden- Betrieb funktionieren, weil sie über einen eigenen Eingang betreten werden können, der über die normalen Öffnungszeiten hinaus zur Verfügung steht – das bietet den Studierenden dann die Möglichkeit, dort durchgängig studieren und arbeiten zu können.

Interview: Imke Folkerts

Dieser Artikel ist in der Ausgabe 4.18 der Mitarbeiterzeitung GoetheSpektrum erschienen.

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