Ob Chinesisch, Portugiesisch oder Schwedisch: Am Sprachenzentrum der Goethe-Universität können Studierende Sprachkurse in 13 verschiedenen Fremdsprachen belegen und so entweder ihre Vorkenntnisse verbessern und ausbauen oder aber eine komplett neue Sprache erlernen. Dabei stehen ihnen verschiedene Methoden und Lernkonzepte zur Verfügung, von klassischen Sprachkursen über Blended Learning bis hin zum multimedialen Sprachlabor.
Seit Kurzem gibt es darüber hinaus ein neues Lernangebot, das sich an eine ganz bestimme Zielgruppe richtet: Gemeinsam mit der Frankfurt University of Applied Sciences wurde im vergangenen Sommersemester das Projekt Herkunftssprachen ins Leben gerufen. Herkunftssprachen, das sind – vereinfacht gesagt – Sprachen, die zu Hause gesprochen werden. In der Forschung ist oft auch die Rede von Familiensprachen, Muttersprachen oder Heritage Languages, eindeutig definiert ist der Begriff allerdings nicht. An den beiden Frankfurter Hochschulen hat man sich für die Bezeichnung Herkunftssprachen entschieden.
Mit dem neuen Angebot sollen diejenigen angesprochen werden, die zu Hause eine weitere bzw. eine andere Sprache als Deutsch sprechen. „In Deutschland betrifft dies rund ein Fünftel der Bevölkerung“ sagt Dr. Elena Tchernega Meinert. Sie ist seit September vergangenen Jahres Koordinatorin des Projektes Herkunftssprachen der Frankfurt University of Applied Sciences und der Goethe-Universität. Mit der Entwicklung des Herkunftssprachenangebots möchte sie Studierenden, die sogenannte HerkunftssprecherInnen sind, helfen, ihr Sprachpotenzial und ihre Mehrsprachigkeit zu erkennen, zu fördern und zu nutzen. Denn selbst noch so vermeintlich rudimentäre Sprachkenntnisse können für die Studierenden einen großen Vorteil hinsichtlich Studium und Beruf bringen.
Darüber hinaus haben Studien gezeigt, dass eine Stärkung der Herkunftssprachen auch die Sprachkompetenz im Deutschen erheblich steigert. Momentan werden Kurse in den Herkunftssprachen Russisch und Türkisch angeboten. Das sind die am weitesten verbreiteten Herkunftssprachen unter den Studierenden, wie eine Umfrage der Frankfurt University of Applied Sciences ergeben hat. Im Sommersemester 2020 soll außerdem ein Persisch-Angebot hinzukommen. Und auf lange Sicht sind Kurse in weiteren Sprachen, die ebenfalls unter der Studierendenschaft weit verbreitetet sind, geplant. Dazu zählen z. B. Arabisch, Polnisch oder Chinesisch.
Noch sind die derzeit angebotenen Kurse relativ klein, doch Dr. Maria Kopp-Kavermann vom Sprachenzentrum ist sich sicher, dass hinter dem Thema Herkunftssprachen generell eine große Zielgruppe steckt und dass somit auch die Zahl der Interessenten in naher Zukunft wachsen wird. Deshalb setzt sie gemeinsam mit Dr. Elena Tchernega Meinert alles daran, das Angebot weiter auszubauen und die Studierenden gezielt anzusprechen. Dass noch nicht so viele Studierende das Angebot nutzen wie erhofft, liegt auch daran, dass sich viele Herkunftssprecherinnen und Herkunftssprecher nicht als solche verstehen und sich deshalb auch nicht angesprochen fühlen.
„Viele trauen sich schlichtweg nicht, in den Herkunftssprachen-Unterricht zu gehen, weil sie ihre Sprachkenntnisse viel zu schlecht einschätzen“ sagt Dr. Elena Tchernega Meinert. Deshalb säßen in den Anfängerkursen oft genug Teilnehmerinnen und Teilnehmer, die ihre Kenntnisse als unzureichend einschätzen, „echten“ Anfängern aber bereits einen großen Schritt voraus seien. Andere wiederum seien der Meinung, sie könnten die Sprache gut genug und bräuchten deshalb keinen Sprachkurs mehr. Dabei hapere es oft an der korrekten Aussprache oder am Schreiben. Umso wichtiger sei es, die potenziellen Teilnehmerinnen und Teilnehmer richtig anzusprechen, sie über das Angebot zu informieren und ihnen ein gewisses sprachliches Selbstvertrauen zu vermitteln.
In den meisten Fällen ist es so, dass bei den Herkunftssprechern das Hörverstehen und Sprechen viel besser ausgeprägt sind als die Lese- und Schreibfähigkeiten. Aus diesem Grund sind die Herkunftssprachen- Kurse des Sprachzentrums auch nicht aufgebaut wie herkömmliche Fremdsprachenkurse. So habe es etwa wenig Sinn, mit einem Lehrwerk zu arbeiten, indem die Lektionen sukzessive aufeinander aufbauen – darüber sind sich Dr. Tchernega Meinert und Dr. Kopp-Kavermann einig.
Stattdessen sei es wichtig, den Sprachunterricht individuell an die Gruppe und ihre Fähigkeiten anzupassen, damit die Studierenden die bereits vorhandenen Kompetenzen nutzen und so den Sprachgebrauch in Wort und Schrift professionalisieren können. Da die vorhandenen Sprachkenntnisse der Herkunftssprecher meist im Dialog mit der Familie und im Freundeskreis erworben wurden, ist es wichtig, den Wortschatz der Teilnehmerinnen und Teilnehmer soweit zu fördern, dass sie auch im akademischen und beruflichen Umfeld zurechtkommen. Denn daraus ergeben sich viele Möglichkeit wie z.B. ein Studium oder eine Berufstätigkeit im Ausland.
Um die Studierenden auf solche Kontexte vorzubereiten, werden in Kursen wie „Wirtschaftstürkisch“ oder „Schreiben auf Russisch“ Präsentationen geübt, tagesaktuelle Themen besprochen oder Motivationsschreiben verfasst. Auch die interkulturelle Kompetenz spielt im Herkunftssprachen- Angebot eine wichtige Rolle. So steht nicht nur die Sprache an sich im Vordergrund, sondern auch die Kultur des jeweiligen Landes, in dem die Sprache gesprochen wird.
Dieses interkulturelle Wissen wird im Sprachunterricht, in kleinen Workshops oder in Blended-Learning-Konzepten wie z. B. dem Russischkurs „Land und Leute“ vermittelt. Die Studierenden erfahren dort u.a. mehr über unterschiedliche Verabschiedungsformen, wie Small Talk richtig gehalten wird oder welche Stars gerade angesagt sind. Damit sie sich dann vor Ort nicht nur gut verständigen, sondern auch bei aktuellen Themen mitreden können.
Dieser Artikel ist in der Ausgabe 1.20 des UniReport erschienen.
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