Im Gespräch mit … Enno-Ilka Uhde

Performance-Künstler

Herr Uhde, der DFB feierte kürzlich sein 125-jähriges Jubiläum in Leipzig, und Sie inszenierten die Feierlichkeiten. Wie kam es zur Zusammenarbeit mit dem Deutschen Fußball- Bund?

Alles begann mit Berti Vogts. Als Bundestrainer besuchte er eine meiner Inszenierungen im Europa-Park Rust und fragte, ob ich etwas für Länderspiele entwickeln könnte. Seit 1997 bin ich dabei. Die Zusammenarbeit mit dem DFB bietet mir eine großartige Bühne, um Kunst und Sport zu verbinden. Meine Arbeit bildet den Opener für die Nationalmannschaftsspiele, wie die Ouvertüre einer Oper, in der das Nachfolgende klar zu erkennen ist. Gleichzeitig ist es der Auftakt zu einem großen Spektakel, das ich visuell und emotional vorbereite.

Ihre Inszenierungen wirken durchdacht und voller Symbolik. Welche philosophische Idee steckt dahinter?

Jede meiner Inszenierungen hat eine Grundidee, die über den Anlass hinausweist. Es geht mir darum, Raum, Zeit und Klang zu einer Einheit zu verbinden – etwas, das Bedeutung schafft. In meinen Arbeiten versuche ich, den Raum so zu gestalten, dass er die Zeit fühlbar macht. Das ist die »Raumzeit«, die mich fasziniert – eine Verwandlung des Augenblicks in etwas Bleibendes. Und eines verbindet alle meine Werke: Sie stehen für Frieden und Freiheit.

Wie beschreiben Sie Ihre Arbeit bei den Fußballspielen der deutschen Nationalmannschaft?

Für mich ist das eine Form der Performance-Kunst, die den Sport feiert. Es beginnt mit Jugendlichen, die riesige Flaggen über das Spielfeld tragen, und setzt sich fort mit visuell beeindruckenden Installationen, die den Moment aufladen. Der magische Augenblick, bevor der Ball rollt, muss die Zuschauer berühren. Die Spieler sollen eintauchen in dieses Bild – wie in eine Art Cover für das Spiel – nicht mehr, aber auch nicht weniger.

Sie haben auch Shows für den Europa-Park Rust, Großinszenierungen für die UEFA Champions League und politische Veranstaltungen gestaltet. Was treibt Sie an?

Die Suche nach dem »magic moment«, in dem alles zusammenkommt: Menschen, Raum, Klang und Botschaft. Jede Inszenierung verdichtet Erkenntnis – ein Druck, der sich im Werk entlädt. Das treibt mich an, ob bei einer Champions-League-Eröffnung oder dem 300. Geburtstag einer Stadt wie Karlsruhe.

Ihre Inszenierungen sind oft pompös und voller großer Gesten. Manche kritisieren dies als zu kommerziell. Wie stehen Sie dazu?

Diese Kritik perlt an mir ab. Ich habe nie staatliche Förderung erhalten. Alles ist selbst finanziert und mit persönlichem Risiko verbunden. Für mich ist Kunst kein Selbstzweck, sondern ein Mittel, um Menschen zu berühren – ob sie lachen, staunen oder nachdenken. Die große Geste ist nur das Mittel, um diese Momente zu erzeugen.

Wie begann Ihre Leidenschaft für Inszenierungen?

Es begann im Staatstheater Wiesbaden, als ich ein fünfjähriger Junge war. Der Moment, in dem sich der Vorhang hob und eine Welt aus Klang und Bild sichtbar wurde, hat mich für immer geprägt. Bereits als Fünfjähriger schlich ich oft in die Oper – irgendwann kannte mich das Einlasspersonal. Die Oper war mein Zufluchtsort, mein Märchenreich. Ich erinnere mich an die riesigen Kronleuchter, die samtbezogenen Sitze in der Staatsloge und vor allem an den Moment, wenn sich der Vorhang öffnete. Dort, in der Oper, lernte ich, wie mächtig Klang und Bild sein können. Es war die Geburtsstunde meines Traums, selbst Geschichten auf diese Weise zu erzählen. Mit 12 kannte ich alle Wagner-Opern auswendig. Später studierte ich Musik und Operngesang am Konservatorium in Wiesbaden, aber auch Philosophie und Politikwissenschaft an der Goethe- Universität Frankfurt. Diese Mischung aus Kunst und Theorie ist bis heute das Fundament meiner Arbeit.

Was führte Sie als junger Mensch in die akademische Welt? Wie hat das Studium in Frankfurt Ihre Sicht auf die Kunst verändert?

Mein Studium in Frankfurt war ein Abenteuer des Denkens. Ich wollte nicht nur die Kunst verstehen, sondern auch die Welt dahinter. An der Goethe-Universität habe ich Germanistik, Politikwissenschaft, Philosophie und Musikwissenschaft studiert. Frankfurt war in den 1970er Jahren ein intellektueller Schmelztiegel. Die kritische Theorie der Frankfurter Schule, Begegnungen mit Denkern wie Marcuse, Adorno oder Gadamer, das alles hat mich geprägt. Es war die perfekte Ergänzung zu meiner künstlerischen Neigung. Kunst und Theorie wurden für mich untrennbar – die Bühne wurde zum Ort, an dem ich Ideen sichtbar machen konnte.

Zunächst sind Sie aber Lehrer geworden. Wann begannen Sie, selbst zu inszenieren oder künstlerisch zu arbeiten?

Während meines Studiums habe ich meine ersten Theaterprojekte umgesetzt. Ich leitete ein kritisches Schultheater, bei dem wir mit Schülern politisch und gesellschaftlich brisante Themen auf die Bühne brachten. Das Publikum war entweder begeistert oder entsetzt – genau das wollte ich. Außerdem war ich im Wiesbadener Knabenchor aktiv und habe meine Operngesangsausbildung am Konservatorium fortgeführt. Diese Mischung aus Praxis und Theorie war entscheidend. Es hat mir gezeigt, dass Kunst immer auch eine Form des Diskurses ist – sie muss irritieren, bewegen, herausfordern.

Wie beeinflussten Begegnungen mit Denkern wie Baudrillard und Derrida oder Künstlern wie Claude Lanzmann Ihr Schaffen?

Diese Begegnungen waren wie Funken, die ein Feuer in mir entzündet haben. Jean Baudrillard hat mir gezeigt, wie Bilder eine eigene Realität erschaffen. Jacques Derrida hat mich gelehrt, die Strukturen von Sprache und Text zu hinterfragen. Und Claude Lanzmann, der Regisseur von »Shoah«, hat mich tief berührt mit seiner Fähigkeit, Geschichte in Bildern zu erzählen. Diese Menschen haben mich in meinem Verständnis von Kunst bestärkt: Kunst muss Fragen stellen und Bedeutungen verdichten. Ihre Ideen fließen bis heute in meine Arbeiten ein, sei es durch die Verwendung von Symbolen oder die Art, wie ich Raum und Zeit inszeniere.

War die Entscheidung, sich der Inszenierung zu widmen, ein bewusster Schritt oder ein fließender Prozess?

Es war ein fließender Prozess. Meine Begeisterung für die Oper, mein Studium und meine frühen Regiearbeiten haben mich wie von selbst in diese Richtung geführt. Ich erinnere mich an meinen ersten großen Auftrag, die Inszenierung von Sir Peter Ustinovs 70. Geburtstag bei der UNESCO in Paris. Das war der Moment, in dem ich begriff, dass ich eine Gabe habe, Momente zu gestalten, die Menschen berühren. Ab da ging es Schlag auf Schlag – die Arbeit im Europa-Park, die Großinszenierungen für Sport und Industrie. Es fühlte sich an, als ob ich nur dem folge, was immer schon in mir war.

Wenn Sie auf Ihre Anfänge zurückblicken, was haben Sie aus Ihrer Zeit in Frankfurt und Wiesbaden mitgenommen?

Die unbändige Neugier, die mich seit meiner Kindheit begleitet. In Wiesbaden lernte ich, mich von der Magie der Kunst verführen zu lassen. In Frankfurt verstand ich, dass Kunst Teil eines größeren gesellschaftlichen Kontextes ist. Diese Elemente – Emotion und Reflexion – sind das Fundament meiner Arbeit. Bis heute vereine ich sie in jedem Projekt.

Das Interview führte Heike Jüngst.

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