Schriftsteller & Goethe-Alumnus Martin Piekar
Der Mann ist groß. Trägt schwarze Kleidung, schwarzen Nagellack – Martin Piekar fällt auf. Wir sind in der Frankfurter Event-Location Massif Central zum Gespräch verabredet. Es ist irre laut. Hubschrauber am Himmel, skandierende Demonstranten auf der Straße – der Konflikt zwischen Israel und Palästina führt auch in Deutschland zu Konflikten. Piekar sagt, er wolle sich nicht zur Tagespolitik äußern, obwohl er es liebe, zu diskutieren. Politik finde Eingang in seinen Texten. Später, durchdacht, verarbeitet. Lyrik mit Rhythmus und Klang.
Piekar konzentriert sich auf das Interview, arbeitet mit seiner Stimme gegen den Lärm. Er wird gleich lesen. Verse aus seinem neuen Gedichtband »livestream & leichen«, der wie seine ersten beiden Lyrikbände im Verlagshaus Berlin erschienen ist, ein kleiner Independent-Verlag, spezialisiert auf Lyrik. Und er wird aus seinem Wettbewerbstext vortragen, mit dem er im Juli in Klagenfurt gewonnen hat: »Mit Wänden sprechen/Pole sind schwierige Volk« – Piekars erster Roman, er arbeitet gerade daran.
Debutroman über Polnisch-deutsche Familiengeschichte
Es sei kein leichter Stoff, den man einfach so herunterschreiben könne, erzählt Piekar. »Ich suche noch die richtige Struktur für den Roman.« Das Buch handelt von seiner eigenen Familiengeschichte, die er im Wesentlichen nur aus den Erzählungen seiner Mutter kennt. In den Achtzigerjahren floh sie vor dem sozialistischen Regime aus der damaligen Volksrepublik Polen nach Deutschland. Martin kommt hier zur Welt. Mutter und Sohn leben in prekären Verhältnissen. Eine enge Wohnung, getrennt nur durch den Flur. Sie, die studierte Mathematikerin, arbeitet als Pflegerin, guckt Gerichtsshows; er hat als Teenager Nu-Metal-Musik auf den Ohren. Im April dieses Jahres ist sie gestorben. Martin Piekar pflegte sie bis zu ihrem Tod. »Wir hatten ein ebenso enges wie schwieriges Verhältnis.«
Texte für Papier und Bühne
Als die Lesung beginnt, überrascht die Wucht seines Vortrages. Pointiert, laut, geradezu heftig trägt Piekar seine Zeilen vor. Er liest, singt, schreit. »Ich möchte, dass meine Texte so verstanden werden, wie ich sie interpretiere«, sagt er. Dafür trainiert Martin Piekar seine Stimme. Und macht Lesungen damit zu einem Ereignis. Man kann sich sehr gut vorstellen, wie er das Publikum beim Ingeborg-Bachmann-Preis in Klagenfurt für sich einnahm. Er gewann mit dem Kapitel über seine deutsch-polnische Familiengeschichte sowohl den Publikumspreis als auch den Kelag-Preis. Beide Preise sind ein wichtiger Bestandteil bei einem der bedeutendsten Literaturwettbewerbe im deutschsprachigen Raum. Zusammen genommen sind sie mit 17.000 Euro dotiert. Piekar kann sich jetzt eine Agentin leisten. Der Preis verändert viel.
Unterrichten und Dichten
Martin Piekar, geboren 1990 in Bad Soden am Taunus, ist der Sohn eines polnischen Emigrantenpaars. Sein Vater ging nach der Wende nach Polen zurück, Piekar wuchs bei seiner Mutter auf. Seit seinem 12. Lebensjahr schreibt er Gedichte. An der Goethe-Universität studierte er Philosophie und Geschichte auf Lehramt für das Gymnasium. Heute arbeitet er in Teilzeit an der Frankfurter Karl-Popper-Schule. »Ich habe eine 50-Prozent-Stelle«, mehr ginge nicht. Piekar braucht Zeit, um schreiben zu können. »Ich schreibe, um zu überleben.« Starke Worte. Wie er das so sagt, wirkt er beinahe dünnhäutig. Durchlässig auf jeden Fall. Nahbar. Bodenständig. Hin und wieder bietet er Kurse für Jugendliche und Erwachsene an, Schreibwerkstätten. Das mache er gerne, sagt Piekar. Zu vermitteln, dass man Gefühlen, Ereignissen, Zuständen eine Sprache geben kann. Nach drei Gedichtbänden jetzt also der erste Roman.
Heike Jüngst