Der Fachbereich Erziehungswissenschaften (FB 04) nimmt alle Lebensaltersstufen in den Blick. Wir stellen ihn mit einem Kurzprofil vor.
Wie können Lern- und Bildungsprozesse von Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen gelingen? Wie wollen Menschen im hohen Alter leben, lernen, und welche Unterstützung benötigen sie? Welche pädagogischen Ansätze bewähren sich bei der Integration von zugewanderten Kindern und Jugendlichen? Aktuelle Forschungsfragen in den Erziehungswissenschaften und gesellschaftliche Entwicklungen stehen in enger Verbindung. Hinzu kommt die Erforschung genereller Fragen zu Pädagogik und Didaktik. Diese hat für viele Studierende des Fachbereichs 04 später auch ganz praktische Relevanz: Die Ausbildung von Lehrkräften und von pädagogischen Fachkräften im außerschulischen Bereich ist neben der erziehungswissenschaftlichen Forschung der zweite große Bereichs des Fachbereichs.
„Es gibt nicht viele Standorte der Erziehungswissenschaften, die so breit aufgestellt sind wie wir in Frankfurt. Das hat den großen Vorteil, dass wir die verschiedenen Forschungsfelder sehr differenziert betrachten können“, erklärt Dekanin Prof. Diemut Kucharz. Außenstehende denken bei den Erziehungswissenschaften häufig zuerst an die Lehramtsausbildung. Und tatsächlich deckt der Fachbereich fast das gesamte Spektrum an Lehrämtern ab, mit Ausnahme des Berufsschullehramts. Die Lehramtsstudierenden setzen sich im FB 04 – ergänzend zu ihren Sachfächern – mit den für ihren späteren Beruf so wichtigen pädagogischen und didaktischen Inhalten auseinander. Dabei wurden die früheren „Grundwissenschaften“ vor drei Jahren durch die „Bildungswissenschaften“ ersetzt. Diese ermöglichen eine stärkere Verbindung von Pädagogik und Nachbarwissenschaften wie pädagogischer Psychologie und Soziologie und orientieren sich dabei an den Empfehlungen der Kultusministerkonferenz (KMK) zur Lehramtsausbildung.
Ungefähr die Hälfte der Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler des Fachbereichs erforscht den außerschulischen Bereich. Dabei nehmen die Erziehungswissenschaften mittlerweile alle Lebensaltersstufen in den Blick, von der frühen Kindheit, über die Jugend und das Erwachsenenalter bis ins höchste Alter. Während die Beschäftigung mit Kleinkindern nicht zuletzt durch die Diskussion zum Für und Wider von früher Betreuung schon länger im Fokus steht, ist die Alternsforschung ein noch relativ neues Feld. Das öffentliche Interesse daran ist bereits groß – kein Wunder angesichts des demographischen Wandels. Im interdisziplinären Forum Alternswissenschaften bringen sich unter anderem auch Mediziner, Psychologen, Soziologen und Rechtswissenschaftler ein.
Ein weiteres Schwerpunktthema sind „Übergänge im Lebenslauf“ und die Anforderungen, die sich hierbei stellen. Welches Wissen und welche Kompetenzen, aber auch welche Orientierungshilfe brauchen Jugendliche, um den Übergang in eine Ausbildung oder ein Studium zu bewältigen oder Erwachsene im Zuge eines Berufswechsels? Den Übergängen soll sich auch ein Graduiertenkolleg „Doing Transitions“ widmen, das bei der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) beantragt ist. Ein kommendes wichtiges Forschungsfeld ist die Inklusion – also so zum Beispiel das gemeinsame Unterrichten von behinderten und nicht-behinderten Menschen. Eine Task Force ist dabei, Forschungsschwerpunkte zu identifizieren. Perspektivisch soll mit der Medienpädagogik ein weiterer Forschungs- und Arbeitsschwerpunkt aufgebaut werden – ebenfalls ein Thema mit vielen Querverbindungen in andere Bereiche.
Hohe Alltagsrelevanz
„Wenn wir die Gesellschaft in ihrer Entwicklung betrachten, sehen wir, dass die Themen Bildung und Erziehung immer präsenter werden und immer mehr Lebensbereiche erfassen“, erklärt Dekanin Kucharz. Die Grenzen zwischen schulischem und außerschulischem Bereich verschwänden dabei zunehmend. Kucharz nennt das Beispiel Ganztagsschule: „Es ist klar, dass es da nicht nur um Unterricht geht, sondern zum Beispiel die Jugendhilfe eine wichtige Rolle spielt. Die Qualität der Arbeit hängt davon ab, wie gut diese Bereiche miteinander kooperieren.“ Entsprechend eng arbeiten die ErziehungswissenschaftlerInnen mit Partnern auf allen gesellschaftlichen Ebenen zusammen. „Jeder Lehrende hat eigentlich Kontakte zu Bildungseinrichtungen, mit denen Projekte durchgeführt werden“, erzählt Kucharz. „Diese vielfältigen Feldkontakte kommen auch den Studierenden direkt zugute, beispielsweise in Form von Praktika in diesen Einrichtungen.“
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FB 04 auf einen Blick: Zahlen, Daten, Fakten
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Aus Politik und Gesellschaft werden Anfragen teils direkt an den Fachbereich herangetragen, auch die Ausschreibung von großen Drittmittelprojekten etwa zu sexuellem Missbrauch in der Kindheit belegt die Relevanz der wissenschaftlichen Arbeit für den Alltag vieler Menschen. Dieser Anwendungsbezug darf nicht mit Auftragsforschung verwechselt werden: Bei der wissenschaftlichen Herangehensweise gehe es in erster Linie immer zuerst darum zu schauen, was in der Interaktion bei der Klientel – beispielsweise in Kursen der Erwachsenenbildung oder in Beratungssettings – passiere und diese Situationen zu untersuchen , erklärt Dr. Birte Egloff, die das Dekanat gemeinsam mit Dr. Gunnar Hansen leitet.
Die Überlegung, was sich mit diesen Erkenntnissen machen lasse, könne immer nur der nächste oder übernächste Schritt sein, so Egloff und Hansen. Gleichzeitig ließen sich im pädagogischen Bereich nur selten eindeutige Handlungsempfehlungen formulieren; dafür spielen bei Prozessen zwischen Menschen einfach zu viele Faktoren eine Rolle. Egloff: „Was aus den Forschungsergebnissen am Ende umgesetzt wird, ist sehr unterschiedlich und hängt auch davon ab, was politisch gewollt ist.“
Stolz ist der Fachbereich auf seine Forschungsstärke, die sich an zahlreichen Drittmittelprojekten und wissenschaftlichen Publikationen ablesen lässt. Auch in der internationalen Forschungsvernetzung kann sich der FB sehen lassen. „Sicherlich gehört Frankfurt mit Bielefeld und Tübingen zu den größeren und forschungsstarken Standorten der Erziehungswissenschaft in Deutschland“, sagt Dr. Gunnar Hansen. Und während die Gleichstellung von Wissenschaftlerinnen im Vergleich zu ihren männlichen Kollegen in Deutschland im Allgemeinen weiterhin viel Luft nach oben lässt, erweist sich der FB 04 in diesem Bereich als vorbildlich: 48 Prozent der Professuren sind mit Frauen besetzt.
Alle Statusgruppen diskutieren mit
Diskussionen und kritisches Hinterfragen sind typisch für die Erziehungswissenschaften. „Nach wie vor bestehen Anknüpfungspunkte zur Kritischen Theorie“, erklärt Kucharz. Auch wenn es zu einigen Fragen wie Bologna, der Neuausrichtung der Bildungspolitik seit PISA oder zur Bedeutung der NS-Pädagogik für zukünftige Pädagogen auch Auseinandersetzungen gibt, sei tatsächlich die Gesprächskultur mit dem Umzug des Fachbereichs ins PEG-Gebäude auf dem Campus Westend besser geworden: Alle befinden sich nun im gleichen Stockwerk, Türen sind oft geöffnet, Gespräche entwickeln sich spontaner.
„Wir haben bei unseren Fachbereichsstrukturen daran gearbeitet, alle Statusgruppen an möglichst vielen Entscheidungen und Entwicklungen des FB zu beteiligen“, so Kucharz. „Deshalb sind alle Mitglieder in der Regel gut über die wichtigen Themen informiert und tragen die Entscheidungen mit – etwa auch beim Thema Sparmaßnahmen, die für uns schon eine große Herausforderung darstellen.“ Gelebt wird der Austausch auch mit Extra-Veranstaltungen wie dem „Tag der Lehre“, dem „Tag der Forschung“ oder den gemeinsamen Aktionstagen letztes Jahr. Im kommenden Jahr am Holocaust-Gedenktag ist eine Diskussionsveranstaltung zu „Erziehung nach Auschwitz“ geplant.
Übrigens, im Januar gibt es einen weiteren Anlass für einen Besuch im Fachbereich 04: Im PEG wird dann die von Lehrern und Schülern einer Frankfurter Schule erarbeitete Ausstellung „Mein Weg nach Deutschland“ zu sehen sein. Sie porträtiert verschiedene Menschen, die aus ganz unterschiedlichen Gründen und zu verschiedenen Zeiten nach Deutschland gekommen sind, und bereichert so die Diskussion zum Thema Flüchtlinge.