Democratic Vistas Lecture Series: Was heißt „Demokratische Lebensform“?
27. Januar 2025, 18:15 bis 20:15
Montag, 27.01.2025, 18:15 Uhr
Goethe-Universität, Campus Westend, Casino CAS 1.811
Nina-Rubinstein-Weg 1, 60323 Frankfurt am Main
Forschungsschwerpunkt »Democratic Vistas«
Democratic Vistas Lecture Series: Was heißt »Demokratische Lebensform«?
Heike Schäfer (Goethe-Universität)
»Im Zeichen der Zensur: Über Bücherverbote und ästhetische Verfahren des Auslöschens in der amerikanischen Gegenwartsliteratur«
Über den Vortrag
Ausgehend von der Überlegung des amerikanischen Philosophen John Dewey, dass die Demokratie als Form des Zusammenlebens am besten als eine kommunikativ miteinander geteilte gemeinsame Erfahrung zu verstehen sei, untersucht der Vortrag, wie die Grenzen dieses demokratischen Austauschs- und Erfahrungsraums zurzeit in den USA durch Zensur und literarische Gegenrede ausgehandelt werden.
Der erste Teil des Vortrags befasst sich mit den in den vergangenen drei Jahren sprunghaft angestiegenen Bücherverboten an öffentlichen Schulen und Bibliotheken. Laut PEN America gab es im Schuljahr 2023/24 über 10.000 Bücherverbote an amerikanischen Schulen, die überwiegend von konservativen Elterninitiativen und politischen Gruppierungen angestrengt wurden. Die Zensur betrifft vor allem Jugendliteratur von oder über People of Color und LGBTQ+ Personen sowie Texte, die sich mit Themen wie Gewalt, Sexualität und psychischer Gesundheit befassen. Um die Zirkulation der verbotenen Bücher weiterhin zu gewährleisten haben Büchereien, Buchhandlungen und Schriftstellerverbände eine Reihe von Gegeninitiativen entwickelt.
Die amerikanische Gegenwartsliteratur fungiert aber natürlich nicht nur als Streitgegenstand eines seit Jahren eskalierenden Kulturkampfs, an dem sich die Polarisierung der USA ablesen lässt, sondern sie gestaltet gesellschaftliche Diskussionen um demokratische Teilhabe auch aktiv mit. Daher wendet sich der Vortrag in seinem zweiten Teil einer populären Literaturform zu, die das politische Instrument der Zensur in ein ästhetisches Verfahren überführt, den sogenannten Erasures. Erasures sind Texte, die durch das partielle Auslöschen (Schwärzen, Übermalen, Ausschneiden) eines anderen Textes entstehen. Wie ein zensiertes Dokument bestehen sie aus Textfragmenten und Leerstellen. Sie besitzen somit eine Struktur, die mit symbolischer Bedeutung aufgeladen und als formale Analogie für diskursive und soziokulturelle Auslöschungsprozesse sowie für die Auseinandersetzung mit hegemonialen Diskursen und deren Neuschreibung verwendet werden kann. Der Vortrag erörtert, wie das Auslöschen in der amerikanischen Gegenwartsliteratur als ästhetisches Verfahren eingesetzt wird, um Fragen kultureller Repräsentation und gesellschaftlicher Teilhabe, um die es in der Auseinandersetzung um die Bücherverbote ebenfalls zentral geht, zu verhandeln und literarische Praktiken in den Dienst demokratischer Verständigung zu stellen.
Die Rednerin
Heike Schäfer ist Professorin für Amerikanistik an der Goethe-Universität Frankfurt. Ihre Forschung befasst sich u.a. mit den Schnittstellen zwischen Poetik, Medienkulturgeschichte und Wissens- und Differenzdiskursen. Letzte Buchveröffentlichung: American Literature and Immediacy: Literary Innovation and the Emergence of Photography, Film, and Television (Cambridge University Press, 2020).
Anmeldung
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