Antikörper-Amulette

Biotech-Schmuck von Anna Dumitriu

Ein herzförmiger, mit Saphiren besetzter goldglänzender Anhänger an einer breiten Schleife aus cremefarbener Seide, die um den Hals getragen wird; Perlen in Rot, Orange, Goldgelb und Milchweiß, zu langen Strängen aufgereiht und auf von taubenblauer Spitze hinterlegtes Tuch gestickt: In ihrer Gestaltung schließen die beiden ebenso prächtigen wie geheimnisvollen Geschmeide an frühere Jahrhunderte an – während sie einen unsichtbaren Mehrwert enthalten, der weniger mit dem magischen Denken als der modernen Medizin verbunden ist: Antikörper.

Das Collier mit dem sprechenden Titel »Engineered Antibody« von 2016. Foto: Foto: Anna Dumitriu

Halsketten und Amulette als Agenzien einer Heilkunst, die gleichwohl nicht zurück ins Mittelalter will? Das klingt in der Tat eher nach einer Quadratur des Kreises, wie sie dereinst die Alchemisten anstrebten, um das Gold ihrer Zeit zu finden. In diesem Fall allerdings kommen die Schmuckstücke aus dem Labor, entworfen und gestaltet von einer zeitgenössischen Künstlerin, die für ihre Kreationen mit Wissen­schaftlerinnen und Wissenschaftlern unterschiedlicher Disziplinen im Feld der Biotechnologie zusammenarbeitet: Anna Dumitriu. Im Fokus ihrer Forschung stehen dabei immer wieder Bakterien und andere Mikroorganismen sowie die Bausteine des Lebens selbst; stets geht es ihr darum, die Kultur- und Wissenschafts­geschichte mit der jüngsten Gegenwart und der Entwicklung neuer Verfahren und Technologien zu ­verknüpfen – und Ästhetik als Erkenntnis­instrument zu nutzen.

Während sie dieser Weg von der DIY-­Biohacking-Kunstszene in High-End-Labora­torien geführt hat, ist sie ihrem schon früh entwickelten Stil eines »Bacterial Sublime«, in dem sich Schönheit und Schrecken auf schillernde Weise verbinden, bis heute treu geblieben. Waren die Bakterien anfangs noch primär bildlich präsent, wob Dumitriu sie schon bald wortwörtlich in die Stoffe der Kleider ein, die sie in ihren Ausstellungen zeigte. Titel wie »Infective Textiles« können schon dekorativ mit Einzellern bestickte, strahlendweiße Laborkittel verdächtig erscheinen lassen – erst recht gilt das für mit Flicken und Flecken überzogene historische Kostüme, die als »Syphilis Dress« oder »Cholera Dress« firmieren. Hier handelt es sich um Kleidungsstücke, die Dumitriu sowohl mit ehedem bekannten Haus- und Heilmitteln gegen die jeweiligen Krankheiten präpariert als auch mit in biomedizinischen Verfahren extrahierten Antikörpern oder stillgestellten Erregern imprägniert.

Jedes einzelne Element einer solchen Arbeit lässt auf sinnliche Weise Wissen erschließen: Der 2018 entstandene »Plague Dress« beispielsweise ist aus mit Walnuss-Fruchtschalen gefärbter Seide genäht; während Erstere Ende des 17. Jahrhunderts zur Behandlung der Pest empfohlen wurden, galten die englischen Seiden­nähereien, da die infektiösen Flöhe in den Stoffballen ­reisten, als prominente Ausbruchsorte. Die prächtige florale Stickerei auf dem Mieder wiederum wurde von der Künstlerin mit DNA des Bakteriums Yesinia pestis versetzt. Auch wenn man gern glaubt, dass es zuvor im Labor außer Gefecht gesetzt wurde: Die in den Ausschnitt gesteckten und rings um das Kleid gebreiteten Lavendelgarben wirken wie dereinst in Pestzeiten als duftende Abstandshalter.

Aber nicht immer geht es Anna Dumitriu um gefährliche Krankheitserreger: Im Werkkomplex »Fermenting Futures«, der in Zusammenarbeit mit einem Forschungs­institut der Universität Wien entstanden ist, etwa stehen Hefebakterien im Mittelpunkt, die nicht nur zur Herstellung von Brot, Bier und Wein sowie zur Lebensmittelkonservierung, sondern auch zur Entwicklung von Impfstoffen eingesetzt werden können sowie inzwischen auch bei der Suche nach neuen Materialien eine Rolle spielen. Wo allerdings kostbare Stoffe und köstliche Geschmeide die Sinne betören, kann man sich fast sicher sein, in jenes sublime Spannungsfeld zu ge­raten, das die Künstlerin zwischen der Geschichte der Medizin und ihrer Zukunft aufmacht.

So trägt das anmutig drapierte Collier den sprechenden Titel »Engineered Antibody« (2016); in den 452 händisch aus PVC-Modelliermasse geformten Perlen ist aus dem Blut eines HIV-Patienten gewonnene Antikörper-Substanz enthalten, während die Perlenkette selbst in ihrer Struktur und den auf dem Stoff fixierten Schlingen die Aminosäurenfaltungen des Antikörper-­Proteins modelliert: Es ist mithin sowohl physisch als auch bildlich im Collier enthalten. Das Garn und der Stoff der textilen Grundlage wurden mit eben jenem blauen Farbstoff gefärbt, der im Labor die Proteine sichtbar macht.

Der herzförmige Anhänger trägt den Namen »Zenexton« und erinnert an die Zeit, da im Kampf gegen die Pest noch Magie und Medizin Hand in Hand gingen. Foto Foto: Anna Dumitriu

Der herzförmige Anhänger aus dem Jahr 2022 wiederum empfiehlt sich als Schutz­amulett gegen den Schwarzen Tod. Sowohl sein Name – »Zenexton« – als auch sein Design scheinen dabei direkt in jene Zeiten zurück­zuführen, da Medizin und Magie noch Hand in Hand gingen. Zunächst von Paracelsus als Heilmittel gegen die »Pestilenz« erwähnt, wurde das »Zenexton« später von Oswald Croll in ­dessen »Basilica Chymica« (1609) ausführlich beschrieben – und fand fürderhin noch bis über das 17. Jahrhundert hinaus seine Verfechter. Die in den historischen Texten beschriebene Form einer herzförmigen, goldenen Kapsel, in die getrocknete, zermahlene Kröten, das bei Vollmond zu besorgende Menstruationsblut von Jungfrauen, pulverisierte Saphire, Arsenik und allerlei Kräuter zu füllen waren, ­findet in Anna Dumitrius Amulett ein visuelles Echo im 3D-gedruckten, vergoldeten und mit Saphiren geschmückten Metall; zwischen warzigen Blasen, die an die Haut der armen Kröten erinnert – die ihrerseits der Ähnlichkeit mit Pestbeulen wegen für die homöopathische Magie geopfert wurden –, ist ein Vollmondrund zu erkennen, ebenso wie tropfendes Blut. Wesentlich hilfreicher gegen die Pest, die bis heute nicht ausgerottet ist, verspricht indessen der Inhalt des Amuletts zu sein: Es enthält einen von der britischen Immunologin ­Christine Rollier entwickelten Impfstoff.

Die jüngste Pandemie im Blick, scheint Dumitrius »Zenexton« in vielfacher Hinsicht aktuell: So verführerisch ein magisches Amulett auch ausschauen mag – im Zweifelsfall, Pest und Cholera vor Augen, würden wir nicht doch eher dem Impfstoff vertrauen als mit Menstruationsblut versetzter gemahlener Krötenhaut?

Foto: Alex Max

Zur Person / Anna Dumitriu (geboren 1969 in Shoreham-by-Sea, GB) lebt und arbeitet in Brighton. Im Anschluss an ihr Studium an der Universität Brighton hat sie sich konsequent der künstlerischen Forschung verschrieben. Mit ihren plastischen Arbeiten, Installationen und Performances, die häufig auf Bakterien und Viren fokussieren und traditionelle Handwerks­techniken mit neuesten Verfahren der Biotechnologie verknüpfen, bewegt sie sich im Feld der BioArt. Dabei arbeitet sie oftmals als »artist in lab« mit Forschungsinstituten zusammen. Ihre Projekte, für die sie zahlreiche Preise und Stipendien erhalten hat, sind international bei Festivals und in Ausstellungen zu sehen.

Die Autorin / Verena Kuni ist Professorin für Visuelle Kultur am Institut für Kunstpädagogik.
kuni@kunst.uni-frankfurt.de

Zur gesamten Ausgabe von Forschung Frankfurt 1/2024: Vom Molekül zum Menschen

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