Ein Großteil der rund 6 Millionen Patienten in Deutschland, die an Diabetes Typ 2 leiden, sind übergewichtig. Die Wirkung von Insulin ist bei ihnen eingeschränkt. Die Ursache für diese Insulinresistenz wurde lange Zeit primär in stoffwechselaktiven Organen gesucht. Wissenschaftler vom Max-Planck-Institut für Herz- und Lungenforschung in Bad Nauheim und der Goethe-Universität Frankfurt konnten nun zeigen, dass Effekte von Insulin auf die innere Zellschicht von Blutgefäßen, das Endothel, für die Insulinresistenz im Fettgewebe und der Muskulatur von großer Bedeutung sind. Schlüsselmolekül hierbei ist das Hormon Adrenomedullin. Mit der Studie hoffen die Forscher die Grundlage für ein neues Therapieprinzip des Typ 2 Diabetes gefunden zu haben. Ziel ist es nun, Substanzen zu entwickeln, die gezielt an den Blutgefäßen ansetzen.

Mehr als 400 Millionen Menschen leiden weltweit an Diabetes Typ 2, davon etwa 6 Millionen in Deutschland. Bei neun von zehn Patienten führt starkes Übergewicht, Adipositas genannt, zum Diabetes. Typ 2 Diabetes zeichnet sich dadurch aus, dass Körperzellen nicht mehr ausreichend Glukose aufnehmen. Dadurch steigt der Glukosespiegel im Blut an. Dabei verliert Insulin seine Wirkung zumindest in Teilen, man spricht dann von Insulinresistenz.
Um die Ursache für die Insulinresistenz bei adipösen Patienten zu klären, fokussierte sich die Forschung bislang vor allem auf Stoffwechselorgane wie Leber, Fettgewebe und Skelettmuskulatur. In den Zellen dieser Organe finden sich Rezeptoren für Insulin. Bislang konnten jedoch noch keine Therapieansätze entwickelt werden, mit denen die Insulinresistenz zu beheben wäre.
Stefan Offermanns, Direktor der Abteilung „Pharmakologie“ am Max-Planck-Institut für Herz- und Lungenforschung in Bad Nauheim und Professor an der Goethe-Universität in Frankfurt untersuchte nun mit seinem Team in einer Studie die Rolle der innersten Zellschicht in Blutgefäßen, des sogenannten Endothels, bei der Entstehung von Typ 2 Diabetes im Zusammenhang mit Übergewicht.
Zwar ist schon lange bekannt, dass auf Endothelzellen ebenfalls Rezeptoren für Insulin vorhanden sind, deren Bedeutung im Zusammenhang mit der Entstehung von Diabetes wurde bislang jedoch unterschätzt. „Dockt Insulin an seinen Rezeptor auf dem Endothel an und aktiviert ihn, führt dies zu einer Erweiterung der Blutgefäße sowie zu einer verbesserten Durchlässigkeit der Gefäßwand für Insulin. In der Folge können Glukose und Insulin besser aus dem Blut in die stoffwechselaktiven Organe wie Leber und Muskulatur gelangen“, erklärt Haaglim Cho, Erstautor der Studie. Dies sei schon länger bekannt.

Die nun an Mäusen durchgeführte Studie der Bad Nauheimer Forscher hat erstmals gezeigt, dass dieser Mechanismus bei starkem Übergewicht gestört sein kann. „Bei Mäusen, die durch eine besonders kalorienreiche Diät fettleibig wurden, stellte sich nach einiger Zeit eine Insulinresistenz ein“, so Cho. „Als Ursache hierfür konnten wir eine verminderte Aktivität der Insulinrezeptoren des Endothels ausmachen.“ Die Ergebnisse sprechen dafür, dass die Insulinresistenz am Gefäßendothel zu einer verminderten Insulinwirkung im gesamten Organismus führt, da die beiden oben genannten Mechanismen, über die Insulin aus dem Blut in die stoffwechselaktiven Organe gelangt, dann behindert sind.
Doch was ist die Ursache für das Entstehen der Insulinresistenz auf dem Endothel? Weitere Experimente führten die Wissenschaftler zu dem Hormon Adrenomedullin. Es wird bei übergewichtigen Personen insbesondere aus Fettzellen ins Blut freigesetzt. „Wir stellten in übergewichtigen Mäusen einen zum menschlichen Patienten vergleichbaren Effekt fest, nämlich dass der Adrenomedullin-Spiegel im Blut deutlich erhöht ist. Auch ein weiteres Protein, Complement Faktor H, ist sowohl bei Mäusen als auch bei Menschen mit Übergewicht im Blut erhöht. Unsere Studie ergab, dass beide Faktoren sich in ihrer Wirkung auf den Insulinrezeptor verstärken“, erklärt Cho.
Den Effekt erhöhter Konzentrationen von Adrenomedullin und Complement Faktor H im Blut auf die Insulinwirkung zeigten weitere Untersuchungen an Mäusen: Beide Faktoren aktivieren synergistisch den Rezeptor für Adrenomedullin auf dem Endothel, verstärken sich also in ihrer Wirkung. Der aktivierte Adrenomedullin-Rezeptor wiederum hemmt den Insulin-Rezeptor besonders stark. Dadurch wird die Insulinwirkung reduziert. „Bestätigen konnten wir diesen Befund an gesunden, normalgewichtigen Mäusen, denen wir Adrenomedullin verabreichten. Hier kam es ebenfalls zu einer Insulinresistenz“, so Cho. Umgekehrt zeigten Mäuse, bei denen die Produktion von Adrenomedullin oder die Aktivierung des endothelialen Adrenomedullin-Rezeptors durch einen gentechnischen Eingriff temporär unterbunden wurde, einen normalen Insulinstoffwechsel, auch dann noch, wenn sie übergewichtig waren.
Stefan Offermanns ordnet die Studienergebnisse ein: „Unsere Daten zeigen, welche Insulineffekte es in Blutgefäßen gibt und wie bedeutend die Wirkung von Insulin an Blutgefäßen für die systemischen Insulinwirkungen ist.“ Vor allem lasse die Studie einen Mechanismus erkennen, nach dem die systemische Insulinresistenz eines durch Übergewicht ausgelösten Typ 2 Diabetes ganz wesentlich auf einer Insulinresistenz im Gefäßsystem beruht. „Wir hoffen, dass mit dem nun verbesserten Verständnis des durch Adipositas verursachten Typ 2 Diabetes ein erster Schritt hin zur Entwicklung neuer Substanzen gelungen ist, mit denen sich der Typ 2 Diabetes behandeln lässt“, erklärt Offermanns.
Publikation
Haaglim Cho, Chien-Cheng Lai, Rémy Bonnavion, Mohamad Wessam Alnouri, ShengPeng Wang, Kenneth Anthony Roquid, Haruya Kawase, Diana Campos, Min Chen, Lee S. Weinstein, Alfredo Martínez, Mario Looso, Miloslav Sanda, Stefan Offermanns: Endothelial insulin resistance induced by adrenomedullin mediates obesity-associated diabetes. Science (2025) http://science.org/doi/10.1126/science.adr4731