Menschen und Quantenteilchen haben etwas gemeinsam: In einer Gruppe verhalten sie sich oft anders, als wenn sie alleine sind. Bekanntestes physikalisches Beispiel für solche Vielteilchen-Effekte ist sicherlich die Supraleitung – unter bestimmten Bedingungen schließen sich Elektronen zu sogenannten Cooperpaaren zusammen, die sich ohne jeden Reibungsverlust durch ein supraleitendes Material bewegen und somit einen widerstandsfreien Stromtransport er möglichen. Aber auch beim Auftreten magnetischer Wirbelstrukturen spielen Vielteilchen-Effekte eine entscheidende Rolle.
Um diese „Massenpsychologie“ von Quantenteilchen zu studieren, arbeiten Festkörperphysiker, Quantenoptiker, Materialwissenschaftler aus Frankfurt, Mainz und Kaiserslautern zusammen: Unter Federführung der Goethe-Universität gründeten sie den Transregio-Sonderforschungsbereich (Transregio-SFB) „Systeme kondensierter Materie mit variablen Vielteilchen Wechselwirkungen“, und kürzlich hat die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) nach sehr positiver Evaluation der bisherigen Forschungsarbeiten beschlossen, diesen Forschungsverbund für weitere vier Jahre mit rund acht Millionen Euro zu fördern.
Verständnis für die Grundprinzipien
Dabei gilt das Interesse der Wissenschaftler zunächst einmal ausgewählten Modellsystemen: ultrakalte Atomgase im Feld sich kreuzender Laserstrahlen sowie dünnemagnetische Filme, in denen durch Licht magnetische Anregungen erzeugt werden. „Hieran wollten wir die Grundprinzipien verstehen“, erläutert Michael Lang, Professor am Physikalischen Institut der Goethe-Universität und Sprecher des Transregio-SFB. „Die Konzepte, die wir hier entwickelt haben, möchten wir jetzt auch auf komplexere Systeme anwenden.“
In den ersten beiden Förderperioden des Projekts (2007 bis 2011, 2011 bis 2015) wollten Lang und seine Forscherkollegen daher Fragen beantworten wie: Wie lassen sich Vielteilchensysteme im Experiment erzeugen und in der Theorie simulieren? Was sind dann die relevanten Prozesse, die zur Bildung von Cooperpaaren aus Elektronen führen, und wie entsteht aus magnetischen Elementaranregungen ein magnetischer Wirbel?
Auf diese grundlegenden Erkenntnisse bauen die Wissenschaftler jetzt auf, wenn sie sich zum Beispiel fragen, wie sich Verunreinigungen des Materials auswirken, in dem sie die Vielteilchensysteme beobachten wollen. „Oder nehmen Sie die regelmäßige Struktur, in der die Atome dieses Materials angeordnet sind: Am absoluten Temperaturnullpunkt wäre so eine Gitterstruktur völlig starr.
Nun finden unsere Versuche zwar bei ziemlich tiefen Temperaturen statt, aber eben nicht am absoluten Nullpunkt, und je weiter entfernt wir davon sind, das heißt, je höher die Versuchstemperatur ist, desto stärker wackeln die Atome auf ihren Gitterplätzen hin und her. Wir möchten jetzt klären, wie sich das Wackeln auf die VielteilchenSysteme auswirkt“, beschreibt Lang die Fragen, die in der kürzlich bewilligten dritten Förderperiode des TransregioSFB beantwortet werden sollen.
Kühlschränke und Datenspeicherung
Daran arbeiten natürlich nicht nur Lang und die anderen 20 leitenden Forscherinnen und Forscher mit, sondern auch die rund 25 Promovierenden und neun Postdoktoranden, die von ihnen an den Universitäten Frankfurt, Mainz und Kaiserslautern sowie am Mainzer Max-Planck-Institut für Polymerforschung betreut werden. Dabei bekommt die Doktorandenausbildung in dem Transregio-SFB durch das integrierte Graduiertenkolleg einen besonderen Stellenwert; zu gleich unterscheidet sie sich in einem wichtigen Punkt von den üblichen Graduiertenkollegs der DFG.
Die Kollegiatinnen und Kollegiaten organisieren selbstständig Seminare und Workshops, legen deren Inhalte fest, laden Vortragende ein – gestalten das Graduiertenkolleg des Transregio-SFB also aktiv mit: „Sie legen ihre Konsumenten rolle ein Stück weit ab und über nehmen Verantwortung. Außer dem lernen sie so aus eigener Erfahrung, wie der Wissenschaftsbetrieb organisiert ist, und sie vernetzen sich darin“, berichtet Lang.
In erster Linie geht es in dem Transregio-SFB um Grundlagenforschung: Lang möchte zusammen mit den anderen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern grundlegende Konzepte entwickeln und ausbauen, die zu einem besseren Verständnis von Vielteilchen-Systemen führen. Das schließt allerdings Beiträge zu anwendungsbezogenen Themen nicht aus.
So wurde das Konzept „magnetisches Kühlen“ weiterentwickelt, also die Tatsache, dass sich manche magnetischen Materialien abkühlen, wenn ein Magnetfeld verändert wird. Magnetisch gekühlte Röntgendetektoren sind für die Weltraumforschung besonders geeignet, und möglicher weise wird das magnetische Kühlen eines Tages sogar beim Betrieb eines Haushaltskühlschranks eine umweltfreundliche Alternative zur herkömmlichen Technik.
Ein anderes Beispiel ist das Phänomen, dass manche Materialien sowohl ferromagnetisch als auch ferroelektrisch sind. Das eröffnet die Möglichkeit, mit Magnetismus die elektrischen Eigenschaften des Materials zu beeinflussen und umgekehrt – hat man dieses Prinzip erst einmal verstanden, kann der Effekt gezielt in der Speichertechnik eingesetzt werden. Vielteilchen-Effekte eröffnen hier eine interessante Perspektive für die Datenspeicherung. [Autorin: Stefanie Hense]
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ZWEI SONDERFORSCHUNGSBEREICHE VERLÄNGERT
Neben dem Transregio-SFB „Systeme kondensierter Materie mit variablen Vielteilchen-Wechselwirkungen“ wurde ein weiterer Sonderforschungsbereich der Goethe-Universität verlängert: Im SFB „Molekulare Prinzipien der RNA-basierten Regulation“ untersuchen Forscher der Goethe-Uni gemeinsam mit Kollegen an der Technischen Universität Darmstadt und den Frankfurter Max-Planck-Instituten für Biophysik und für Hirnforschung die vielfältigen regulatorischen und enzymatischen Funktionen der RNA. Sprecher des SFB ist Prof. Harald Schwalbe.
Weitere Informationen SFB „Molekulare Prinzipien der RNA-basierten Regulation“: Prof. Harald Schwalbe, Institut für Organische Chemie und Chemische Biologie, Campus Riedberg, Tel. (069) 798-29737, schwalbe@nmr.uni-frankfurt.de
Transregio-SFB „Systeme kondensierter Materie mit variablen Vielteilchen-Wechselwirkungen“: Prof. Michael Lang, Physikalisches Institut, Campus Riedberg, Tel. (069) 798-47241, Michael.Lang@physik.uni-frankfurt.de
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