English – no problem?

Spitzenreiter unter den deutschen Großstädten: Laut der Studie EF ENGLISH PROFICIENCY INDEX beherrschen Frankfurter besonders gut Englisch. www.ef.de/epi Foto: Dettmar
Spitzenreiter unter den deutschen Großstädten: Laut der Studie EF ENGLISH PROFICIENCY INDEX beherrschen Frankfurter besonders gut Englisch. www.ef.de/epi Foto: Dettmar

Wenn der Finanzwissenschaftler Alfons Weichenrieder sich anschaut, wie viele Lehrveranstaltungen er und seine Kollegen am Fachbereich Wirtschaftswissenschaften schon auf Englisch halten, ist der Prodekan für Internationale Angelegenheiten hochzufrieden: „Wir haben die volkswirtschaftlichen Masterund die Graduiertenprogramme komplett auf Englisch umgestellt und bieten auch in höheren Semestern der Bachelorprogramme immer mehr auf Englisch an.“

Dafür gibt es viele pragmatische Gründe: „Wenn wir nicht attraktiv sind für die Studierenden ausländischer Partnerunis, können auch wir unseren Studierenden keinen Austausch ermöglichen.“ Die Wissenschaftssprache für Wirtschaft sei längst Englisch, die Lehrenden dementsprechend geübt und international aufgestellt und der angelsächsischen Literatur kann Weichenrieder – auch aus Perspektive der Studierenden – viel abgewinnen: „Sie ist sehr direkt, weniger gedrechselt und einfach zu verstehen.“

Wer die Wahl hat, entscheidet sich für Deutsch?

Dass ihm, der schon in Oxford und Princeton lehrte, seine Vorlesung „Fundamentals of public policy“ leicht von der Hand geht, glaubt man gern. Was aber ist mit den Studierenden?

„Ich glaube, dass sie heute weniger Probleme mit Englisch haben als noch vor 20 Jahren, weil einige schon während der Schulzeit ins Ausland gehen und begreifen, dass heute vieles auf Englisch stattfindet“, sagt Weichenrieder. Er gibt aber zu, dass – wenn eine Veranstaltung parallel in Englisch und Deutsch angeboten wird – die deutsche besser besucht ist.

Daher setzt sich die Fachschaft Wiwi für die Erhaltung der Wahlfreiheit zwischen Deutsch und Englisch ein: „Wer Wirtschaftswissenschaften studiert, ist darauf vorbereitet, dass er Englischkenntnisse haben muss und wir finden es auch gut, wenn Professoren aus dem Ausland zu uns kommen und ihre Vorlesung auf Englisch halten. Aber nach Möglichkeit sollte es immer Alternativ-Veranstaltungen, Übungen und Tutorien auf Deutsch geben“, erklärt Bachelorstudent Yannic Ambach-Opitz. „Jeder sollte die Chance auf ein deutsches Angebot haben. Dabei denken wir auch an die Studierenden aus dem Ausland, die Deutsch als Zweitsprache hatten.“

Aus seiner Praxis als Studienberater am Fachbereich 1-5 kann Marco Blasczyk nicht zurückmelden, dass Vorlesungen oder Texte in Englisch Studierende abschrecken oder vor große Probleme stellen. „Auch Studierende höherer Semester sind bei uns deswegen noch nicht vorstellig geworden“, sagt Blasczyk.

Nur eine Gruppe, das ist bekannt, habe unter der Anglisierung zu leiden: Bildungsausländer wie Osteuropäer, die nicht Englisch, sondern beispielsweise Deutsch als Zweitsprache erlernt haben. „Da 80 bis 90 Prozent unserer Literatur auf Englisch verfasst ist, kann ich es ihnen aber leider nicht ersparen, sich mit der Sprache vertraut zu machen. Egal, in welcher Sprache ich lehre“, erklärt Rolf van Dick, Professor für Sozialpychologie.

Als Pionier an seinem Fachbereich begann er schon 2006 damit, in Englisch zu lehren, erhob per Fragebogen die Akzeptanz und blieb dabei. „Die Studierenden der Arbeits- und Organisationspsychologie wollen später in internationalen Konzernen oder Beratungen arbeiten und finden es toll, in Veranstaltungen schon einmal ihr Englisch einzusetzen.“

Englisch – in den Naturwissenschaften schon Routine?

[dt_quote type=“pullquote“ font_size=“h4″ background=“fancy“ layout=“left“ size=“3″]„Einige Studieninteressierte lassen sich dadurch ganz vom Studium abhalten.“[/dt_quote]

Blick zum Campus Riedberg: Dass in den Naturwissenschaften schon lange nichts mehr ohne Englisch geht, ist bekannt. „Die Fachliteratur ist zu 99 Prozent in Englisch verfasst und bei internationalen Forschungsvorhaben ist die Geschäftssprache Englisch“, erklärt Prodekan Clemens Glaubitz vom Fachbereich Chemie, Biochemie, Pharmazie.

Dennoch dominieren in den Grundstudiengängen deutsche Veranstaltungen. „Würden wir primär auf internationale Bewerber setzen, würden wir natürlich alles auf Englisch anbieten. Da die Grundstudiengänge aber mit inländischen Studierenden überlaufen sind, kommt dieser Aspekt erst bei Masterstudiengängen und Promotionen zum Tragen“, sagt Glaubitz. Nach seiner Beobachtung bringen die meisten Studierenden gute Vorkenntnisse mit und wachsen in die Anforderungen hinein.

Doch manchen Abiturienten mit Berufswunsch Chemielehrer, Apotheker oder Physiker kann die Vorstellung, im Studium zweisprachig agieren zu müssen, ganz schön schocken, weiß Ulrike Helbig. Sie ist mit ihrer Kollegin Susanne Mompers am Campus Riedberg für Schülermarketing und Studienberatung in den naturwissenschaftlichen Fächern zuständig: „Einige Studieninteressierte lassen sich dadurch ganz vom Studium abhalten, andere sagen, dass sie dann erst für ein Jahr ins englischsprachige Ausland gehen wollen und die meisten hoffen, dass sie irgendwie durchkommen.“ Die Fachbereiche hätten erfreulicherweise mit fachspezifischen Englischkursen reagiert im Rahmen des Programms „Starker Start“.

Das böse Erwachen in höheren Semestern findet laut Ulrike Helbig denn auch weniger bei den Studierenden, sondern bei der Uni statt: „Englischsprachige Lehrveranstaltungen werden von den Studierenden nach Möglichkeit umgangen oder gemieden und die englischsprachigen Masterstudiengänge werden so selten gewählt, dass sie ums Überleben kämpfen oder eingestellt werden.“ Zu Recht, findet sie: „Das Erlernen komplexer naturwissenschaftlicher Sachverhalte funktioniert am besten in der Muttersprache.“

So würde die Stoffwechselphysiologie, die an sich schon eine Herausforderung als Lernprozess sei, in Englisch gelehrt, eine Überforderung darstellen. „Daher haben unsere Studierenden einen respektablen Grund, fremdsprachige Lehrveranstaltungen zu meiden.“

Nur ein Modetrend?

Argumente fürs Lehren, Lesen, Verstehen und Sprechen in der Muttersprache gibt es viele – von pragmatischen wie Arbeitserleichterung, Zeitersparnis, besserer Verständlichkeit bis hin zu Identitäts-, Kultur- und vor allem Qualitätserhalt im Ausdruck. Manch einer wundert sich, wie leichtfertig diese Vorteile aufgegeben werden für den übersetzungsfreien Transfer von Forschung in Lehre, die Minderheit ausländischer Studierender und eine vermeintlich bessere „Employability“.

Ungeklärt bleibt auch, wie gut es um die Zweisprachigkeit der Beteiligten (auch Lehrenden!) wirklich bestellt ist. Rund um das Thema gibt es in Deutschland längst öffentlich ausgetragene Debatten und Arbeitskreise, in denen die scheinbar rückständigen Deutsch-Bewahrer mit den scheinbar fortschrittlichen „Globalesisch“-Radebrechern wetteifern.

„Solange man an Deutsch als Muttersprache festhält, kann doch eine Lehrveranstaltung auf Englisch nie so gut sein wie eine in meiner Muttersprache. Denn wer spricht schon zwei Sprachen gleich gut?“, fragt sich Werner Plumpe, Professor für Wirtschafts- und Sozialgeschichte an der Goethe-Universität. „Ich bin doch kein Englischlehrer, sondern ein Wissenschaftler, der sich in höchster Präzision ausdrücken möchte“, so Plumpe. Er betrachtet die Umstellung auf Englisch im Hochschullehrbetrieb als schädlichen Modetrend und gehört zu den wenigen, die sich damit offen gegen den Zeitgeist stellen: „Sie ist ein Angriff auf die Qualität der Wissenschaft.“

Sein Beispiel: „Wenn ich einen Vortrag halte über den Zusammenhang zwischen kultureller Mentalität und ökonomischen Alltagspraktiken im 17. Jahrhundert, dann möchte ich nicht einen Teil meines Gehirns mit Wortsuche und Übersetzung belegen.“ Sonst sinke der wissenschaftliche Gehalt auf ein deutlich niedrigeres Niveau. Davon komme bei den Zuhörern durch die Sprachbarriere vielleicht wiederum nur ein Teil an. „Aber vielleicht ist ein gewisse Verflachung und Standardisierung des Wissens ja das Ziel.“

Nur eine Lingua Franca?

Was sagt ein Sprachprofi zu den verstärkten Ambitionen von Medizinern, Chemikern und Ökonomen, zweisprachig zu forschen und zu lehren? Die Amerikanistikprofessorin Susanne Opfermann antwortet pragmatisch: „Wenn man Internationalität will, muss man auch entsprechende Angebote machen“. Englisch als Lingua Franca sei nicht das Englisch, mit dem ihre Studierenden umgehen müssen. „Es ist Englisch auf simplem Niveau. Aber die Sprache bietet sich an, weil sie sich gut lernen lässt und damit den Informationsaustausch weltweit möglich macht“, erklärt Opfermann. Dafür müsse man „möglicherweise manchmal einen gewissen Komplexitätsverlust am oberen Ende in Kauf nehmen.“

Der Wandel kam schnell: In Alter Geschichte publizierten Wissenschaftler bis vor hundert Jahren noch in Latein. Altgriechisch ist wichtig für das Quellenstudium. Spanisch, Italienisch, Französisch und Englisch, um die Veröffentlichungen anderer Forscher lesen zu können, berichtet Geschichtsprofessor Frank Bernstein. „In den Geisteswissenschaften erschließen wir uns die Welt über Sprache. Sie ist das elementarste Vehikel der Verständigung mit ihrer Genauigkeit, rhetorischen Qualität, ihrem Nebensinn, ihrer Raffinesse.“

Daher warnt er davor, Anglisierung mit Internationalisierung zu verwechseln. „Die Stärke einer Universität ist die Anerkennung von Diversität und Individualität der Fachkulturen.“ Momentan sei die englische Sprache in vielen Wissensbereichen der Filter, um international wahrgenommen zu werden. Aber als Historiker glaubt er an wellenförmige Entwicklungen: „Langfristig werden sich nicht-englischsprachig aufgewachsene Menschen nicht so dominieren lassen.“ [Autorin: Julia Wittenhagen]

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