Geowissenschaften: Reise ohne Wiederkehr

Bei der Erforschung des Erdinnern stellen sich viele spannende Fragen. Zum Beispiel, ob in den Erdmantel absinkende kontinentale Kruste ab einer bestimmten Tiefe für immer stecken bleibt. Antworten darauf können nur Diamanten liefern.

Der Diamant aus Botswana verriet den Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern, dass in mehr als 600 Kilometern Tiefe erhebliche Mengen an Wasser im Gestein gespeichert sind. Foto: Tingting Gu, Gemological Institute of America, New York, NY, USA

In den achtziger Jahren entdeckten Geologen in den Alpen, eingeschlossen im Gestein, das Mineral Coesit. Eine Modifikation des Minerals Quarz, das in der kontinentalen Kruste häufig vorkommt. Diese bildet zusammen mit der ozeanischen Kruste die feste Außenschale unseres Planeten, die Erdkruste. Das Überraschende an dem Fund: Coesit bildet sich nur, wenn Quarz sehr hohem Druck ausgesetzt ist. Mindestens 2,8 Gigapascal, 28 000 bar, sind notwendig. Durch die Stapelung von kontinentaler Kruste bei der Alpenbildung ließ sich die Existenz des Minerals aber nicht erklären, weil der dabei entstehende Druck für die Metamorphose von Quarz zu Coesit nicht ausgereicht hätte. Das Mineral musste also vorher dort gewesen sein, wo 2,8 Gigapascal Druck herrschen: im Erdmantel in mindestens 90 Kilometern Tiefe. So weit war es abgesunken – und dann auch wieder schnell nach oben gelangt.

Der Alpen-Fund widersprach den bis dahin gängigen Vorstellungen über die Subduktion konvergierender, also sich aufeinander zubewegender Platten. Subduktion bedeutet, dass sich beim Zusammenstoß die eine Platte unter die andere schiebt und in den zähflüssigen Erdmantel abtaucht. Es gibt die Ozean-Kontinent-Subduktion, bei der die schwerere ozeanische Platte unter die leichtere kontinentale rutscht. Und es gibt die Subduktion, bei der zwei ozeanische Platten aufeinanderstoßen und sich die schnellere unter die langsamere schiebt. Kontinentale Kruste subduziert dagegen nie, weil sie viel leichter ist als der Erdmantel. Ihr fehlen die nötigen Abtriebskräfte zum Abtauchen. So die vorherrschende Meinung vor 40 Jahren.

Welche sich bald endgültig als falsch erwies. Nach dem Alpen-Fund begann weltweit die Suche nach weiteren Ultrahochdruck-Mineralien, die bei mindestens 2,8 Gigapascal entstanden sind. Es stellte sich heraus, dass sie in fast jedem Gebirgsgürtel der Erde stecken. Oft wurden sogar noch Mikrodiamanten in den Gesteinseinheiten gefunden. Ein Beleg dafür, dass kontinentale Kruste noch tiefer als 90 Kilometer gesunken war. Denn für die Umwandlung von Kohlenstoff in einen Diamanten braucht es mindestens vier Gigapascal. Ein Druck, der erst ab etwa 120 Kilometern Tiefe entsteht. Zudem umfassten die Funde riesige Gebiete von bis zu 45 000 Quadratkilometern. So stand fest: Es hatte ein echtes Abtauchen von großen Teilen kontinentaler Kruste tief in den eigentlich viel dichteren Erdmantel gegeben. Zu jeder Zeit der Erdgeschichte in fast allen Gebirgsbildungen der Erde. Lokal fanden sich sogar kleinere Gesteinseinheiten, die eine Versenkungstiefe von 200 bis 250 Kilometern belegten.

Nur ein Auf und Ab kontinentaler Platten?

Aber wie kommt kontinentale Kruste überhaupt so weit nach unten, wo es ihr doch an Dichte und damit Abtriebskraft fehlt? Der Geologe Frank Brenker von der Goethe-Universität hat die Antwort: „Es passiert, wenn ozeanische und kontinentale Platten aufeinanderstoßen. Dann schiebt sich ja die schwerere ozeanische unter die leichtere kontinentale und taucht schnell in die Tiefe. Wir gehen heute davon aus, dass sie dabei die kontinentale Platte hinter sich herzieht. Da sie so schwer ist, dass sie aus eigener Abtriebskraft in die Erde sinkt, kann sie alles mitnehmen, was hinten dranhängt.“ Für die kontinentale Platte geht es so lange im Schlepptau der ozeanischen abwärts, bis sie abreißt. Was spätestens passiert, wenn sie mit einer anderen kontinentalen Platte kollidiert. Dann fällt die Zugkraft nach unten weg, und die Platte rutscht auf dem gleichen Weg wieder nach oben. Brenker hat einen anschaulichen Vergleich für dieses Auf und Ab kontinentaler Platten: „Wir kennen es aus dem Schwimmbad, wenn wir ein Schwimmbrett aus Styropor unter Wasser ziehen und es dann wieder loslassen. Dann taucht es sofort wieder auf.“

Die Auf- und Abbewegung ist gut belegt, aber das vollständige Bild hat die Geologie noch nicht. So ist unklar, ob alle kontinentale Kruste, die absinkt, wieder hochkommt. Davon ist man bisher ausgegangen, doch eine aktuelle Theorie widerspricht dem: die Point-of-no-Return-Theorie. Diese stellt die Frage, was in einer Tiefe von 300 Kilometern mit der kontinentalen Kruste passiert. Dass es mit ihr so weit hinabgeht, gilt als sicher, weil die bisherigen Funde von Hochdruck-Mineralien, die eine Tiefe von 250 Kilometern belegen, nicht die am tiefsten gelegenen sein können. Brenker: „Wir sehen später an der Oberfläche nur den erodierten oberen Teil dieser Krusten und nicht die weiter unten gelegenen, die durchaus nochmal 50 bis 100 Kilometer tiefer gesunken sind.“ Und damit eine kritische Tiefe erreichen. Denn bei 300 Kilometern wandeln sich die weitaus häufigsten Minerale der kontinentalen Kruste in deutlich dichtere Strukturen um. So macht Quarz, bei knapp 100 Kilometern Tiefe schon zu Coesit geworden, einen noch größeren Dichtesprung. Es wird zur Modifikation Stishovit. Und Feldspat wandelt sich in 300 Kilometern Tiefe in die dichtere Struktur Hollandit um. „In der Summe wird die abgetauchte kontinentale Kruste dadurch plötzlich so dicht, dass sie sogar die Dichte des umliegenden Erdmantels übertrifft. Erreicht also ein kontinentales Krustenfragment 300 Kilometer Tiefe, kommt es aus eigener Auftriebskraft nicht wieder hoch. Es bleibt für immer versenkt.“

Was wäre, wenn es für die kontinentalen Platten tatsächlich kein Zurück mehr gäbe? Es sind ja riesige Platten, die Zehntausende von Quadratkilometern messen können. Steckengeblieben, würden sie die gesamte Dynamik des oberen Erdmantels behindern, so Brenker. „Von unten ginge da kaum noch Material durch, weil es an den Platten hängenbleibt.“ Ein Beispiel sind die Mantle Plumes, heißes Gesteinsmaterial, das aus dem tieferen Erdmantel aufsteigt. „Stoßen die Plumes plötzlich an kontinentale Krustenfragmente, geht es für sie nicht mehr weiter.“

Diamant als »Rosetta-Stein des Erdmantels«

Die Point-of-no-Return-Theorie zu beweisen, ist schwierig. Dafür braucht es Diamanten. Sie sind das einzige Material, das Proben aus diesen Tiefen an die Erdoberfläche bringen kann. Wobei es nicht reicht, irgendeinen Diamanten zu untersuchen. Er muss ganz bestimmte Einschlüsse enthalten: eine Kombination von Mineralien, die anzeigen, dass der Diamant sich innerhalb kontinentaler Kruste gebildet hat und dabei dem hohen Druck und auch den hohen Temperaturen ausgesetzt war, die in 300 Kilometern Tiefe herrschen. Dieser Diamant wäre eine Art Rosetta-Stein des Erdmantels, so Brenker. Damit spielt er auf die Nil-Steintafel an, die die Entzifferung der altägyptischen Hieroglyphen ermöglichte. Die Suche nach dem richtigen supertiefen Diamanten, der zu einem ähnlichen Durchbruch verhilft, läuft. Dafür haben sich geologische Institute aus Kanada, den USA, Frankreich und die Goethe-Universität zusammengetan. Gemeinsam untersuchen sie geeignet erscheinendes Material. „Für die Analysen brauchen wir die besten Labore“, erklärt Brenker. „Denn die Einschlüsse sind zum Teil winzig klein. Und es reicht nicht, einfach nur Stishovit oder Hollandit im Diamanten nachzuweisen. Wir müssen auch die chemische Zusammensetzung der Minerale überprüfen und damit die Gesteinschemie rekonstruieren, in dem sich der Diamant einst bildete. Dann erst wissen wir, ob wir da wirklich kontinentale Kruste haben.“

Wasserhaltige Übergangszone

Noch etwas unter dem 300-Kilometer-Bereich, dem möglichen Point of no Return für kontinentale Platten, liegt ein weiterer interessanter Forschungsgegenstand: die Übergangszone. Eine Grenzschicht zwischen 410 und 660 Kilometern Tiefe, die oberen und unteren Erdmantel voneinander trennt und eine Barriere für auf- und absteigendes Material bildet. Auch sie hat lange ihr kleines Geheimnis gewahrt. Es war nicht klar, ob es in der Übergangszone größere Wasservorkommen gibt. Oder sogar einen Ozean im Erdinnern, wie es sich der französische Schrifsteller Jules Verne ausmalte. Die für die Übergangszone typischen Minerale Wadsleyit (bis 520 Kilometer) und Ringwoodit (ab 520 Kilometer) sind dafür jedenfalls geeignet, weil sie große Wassermengen speichern können. Sehr große Mengen sogar. „Wäre die Übergangszone mit Wasser gesättigt, ließe sich dort das Sechsfache unserer heutigen Ozeane speichern“, so Brenker.

Mittlerweile steht fest: Ja, die Übergangszone ist wasserhaltig. Zusammen mit Kollegen aus Italien und den USA hat Brenker in diesem Jahr den Beweis geliefert. Auch dafür brauchte es den passenden Diamanten. Dieser war 1,5 Zentimeter klein und stammte aus einer Tiefe von 660 Kilometern. Also aus dem Bereich, wo die Übergangszone an den unteren Erdmantel stößt und Ringwoodit das typische Mineral ist. Dem kleinen Stein mit den noch viel kleineren Einschlüssen wurde mit den feinsten analytischen Techniken zu Leibe gerückt. Etwa der FTIRSpektrokospie, die mit Infrarotlicht arbeitet, um Wasser beziehungsweise Wasserstoff-Sauerstoff-Verbindungen aufzuspüren. Die Analysen ergaben nicht nur, dass der Stein eine Menge Ringwoodit-Einschlüsse hat. Sondern auch, dass diese einen hohen Wassergehalt aufweisen. Auch dass sich der Diamant in einem normalen Stück Erdmantel bildete, war anhand der chemischen Zusammensetzung belegbar. Brenker: „Damit hatten wir den Nachweis: Die Übergangszone ist kein trockener Schwamm, sondern speichert erhebliche Mengen Wasser. Wobei sich dort unten kein Meer befindet wie bei Verne, sondern wasserhaltiges Gestein, welches sich aber weder feucht anfühlt noch tropft.“

Wasservorkommen in der Übergangszone. Kontinentale Platten, die für immer in der Tiefe bleiben. Das Erdinnere ist zwar unerreichbar, aber dank Diamantenanalyse nicht unerforschbar. Bald wird es die nächsten spektakulären Ergebnisse geben, so viel verrät Brenker schon mal. „Dabei geht es um den tiefen Kreislauf des Phosphors, welcher für das Leben auf der Erde so wichtig ist.“

Andreas Lorenz-Meyer

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