Wenn die Bioinformatikerin Franziska Matthäus davon spricht, dass sie zusammen mit ihren Kooperationspartnern, Biologen in Edinburgh und Mathematikern in Turin und Darmstadt, Musterbildungsprozesse in der Haut von Mausembryonen beschreibt, dann klingt das nach Elfenbeinturm. Aber wenn sie fortfährt, es gehe beispielsweise darum, dass die Haarfollikel (aus denen später Haare herauswachsen) gleichmäßig über die Haut verteilt seien, „sonst wäre die Maus, zu der der Embryo heranwächst, an manchen Stellen kahl und hätte an anderen Körperstellen dichte Fellbüschel“ – dann wird deutlich, wie viel Sinn für anschauliche und lebensnahe Erläuterungen sie besitzt.
Matthäus, die dem Fachbereich 12 (Mathematik und Informatik) angehört, forscht mit ihren Studierenden und Promovierenden am ‚Frankfurt Institute of Advanced Studies‘ (FIAS). Sie und ihre Gruppe arbeiten demnach ausschließlich theoretisch: Sie modellieren und simulieren raumzeitliche Prozesse in vielzelligen Strukturen. „Natürlich befinden wir uns dabei immer in engem Kontakt mit experimentellen Partnern“, betont Matthäus und nennt dabei an erster Stelle den Arbeitskreis für physikalische Biologie der Goethe-Universität, der mit leistungsfähigen Fluoreszenz-Mikroskopen beispielsweise dreidimensionale Bilder von Käferlarven in verschiedenen Entwicklungsstadien aufnimmt. Diese Bilder sind dann die Daten-Basis, anhand derer Matthäus und ihre Gruppe Computermodelle entwickeln – die wiederum dazu dienen, zusammen mit den experimentellen Partnern die Entwicklung eines Insekts zu erforschen.
Dass sie sich den theoretischen Naturwissenschaften zuwenden würde, stand für Matthäus schon am Ende ihres eigenen Studiums (Biophysik an der Berliner Humboldt-Universität) fest: „Dass man Computer und Mathematik nutzen kann, um Prozesse zu verstehen, hat mich schon immer fasziniert“, sagt sie. „Ich habe während des Studiums ganz klar gemerkt, dass ich lieber vor dem Computer sitze, Daten analysiere und über Prozesse nachdenke, als dass ich im Labor mit großen Geräten und ausgefeilten Messtechniken umgehe, eine Pipette in die Hand nehme und die Daten selbst erhebe.“
Erfolg im Laborpraktikum
Natürlich brauchten auch Theoretiker zumindest eine Ahnung davon, auf welche Weise experimentell arbeitende Forscher an Messdaten gelangten, ergänzt sie und berichtet, wie sie in Heidelberg, wo sie ihre erste Gruppenleiter-Stelle innehatte, mit ihrer gesamten Arbeitsgruppe ein reguläres Laborpraktikum für Studierende am Deutschen Krebsforschungszentrum absolvierte: „Wir kannten uns mit Algebra und Informatik aus, aber wir hatten natürlich keinerlei Erfahrung im Labor, deswegen brauchten wir für die Versuche wesentlich länger als die Studierenden, die schon das eine oder andere Praktikum absolviert hatten.“ Ein bisschen stolz fügt sie hinzu: „Aber unsere Messergebnisse konnten sich wirklich sehen lassen – wahrscheinlich, weil wir mangels Labor-Erfahrung äußerst sorgfältig an die Versuche herangingen.“
Mit ihrer computergestützten Forschung kooperiert Matthäus nicht nur mit einzelnen Partnern, sondern ist auch an einer größeren Forschungsinitiative der Goethe-Universität beteiligt: dem Bündnis SCALE, das im Exzellenz-Wettbewerb der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) im Februar 2024 einen wichtigen Zwischenerfolg feierte. Hier bildet der ‚digital twin‘ (das digitale Abbild) einer biologischen Zelle das Kernprojekt.
Im Vergleich zu KI-Modellen beruhen digitale Zwillinge soweit wie möglich auf physikalischen Beschreibungen aller Prozesse. Sie können somit nicht nur voraussagen, wie sich ein System verhält, sondern zeigen auch auf, welche Mechanismen dabei wie eine Rolle spielen. Solche Modellierungsansätze sind die Kernexpertise der Arbeitsgruppe Matthäus, allerdings bisher auf Gewebeebene. „Aber wir arbeiten derzeit intensiv darauf hin, auch Strukturen im Inneren der Zellen stärker in den Blick zu nehmen und gemeinsam mit dem SCALE-Team digitale Zwillinge von einzelnen Zellen zu erschaffen“, betont Matthäus.
Intensive Arbeit für das C3S
Sich mit Modellierung, Daten und KI zu beschäftigen, ist für Matthäus auch eine der zukünftigen Aufgaben des „Center for Critical Computational Studies“ (C3S): An dieser im April 2023 gegründeten, fachbereichsübergreifenden Institution der Goethe-Universität sollen digitale Verfahren gleichermaßen entwickelt, angewandt und kritisch hinterfragt werden – gleich, ob es um naturwissenschaftlich-technische Phänomene, gesellschaftliche Auswirkungen oder kulturelle Erzeugnisse geht. Als „Gründungsvorstand Lehre“ ist Matthäus derzeit intensiv daran beteiligt, gemeinsam mit dem gesamten Gründungsboard sowie mit den Fachbereichen, Zentren und Initiativen der Universität auszuarbeiten, wie das C3S in die Lehrstrukturen der Goe-
the-Universität eingebunden werden kann. Für diese Aufgabe ist Franziska Matthäus insofern prädestiniert, als sie selbst leidenschaftlich gern ihr eigenes Wissen an Studierende weitergibt. Sie liebe es, junge Leute ein Stück weit in ihrem Lernprozess zu begleiten, schwärmt sie, und erinnert sich begeistert: „In meiner Zeit in Heidelberg war es das Größte für mich, wenn ich Studierende, die ich aus meiner Grundlagenvorlesung kannte, später als Mitglieder von Arbeitsgruppen wiedergetroffen habe, mit denen wir interdisziplinär zusammengearbeitet haben. Und inzwischen treffe ich auch ehemalige Studierende meiner Vorlesungen, die jetzt selbst eine Professur innehaben.“
Stefanie Hense