Hören, was gerade wichtig ist: Wie die Brillenblattnasen-Fledermaus Dauergeräusche ausblendet

Fledermäuse leben in einer Hörwelt: Sie orientieren sich über Echoortung und kommunizieren gleichzeitig mit Artgenossen. Wie die südamerikanische Brillenblattnasen-Fledermaus dabei wichtige Signale aus der Klangfülle herausfiltert, untersuchen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler vom Institut für Zellbiologie und Neurowissenschaften der Goethe-Universität.

Der Hunger der Brillenblattnasen-Fledermaus ist groß, und sie mag es gerne scharf: Bis zu 35 Pfefferfrüchte frisst die nur rund 20 Gramm leichte Fledermaus pro Nacht. In den subtropischen und tropischen Wäldern Mittel- und Südamerikas, wo die Brillenblattnase (wissenschaftlich: Carollia perspicillata) weitverbreitet ist, haben die kleinen Säugetiere eine wichtige Funktion im Ökosystem: Die Pfeffersamen wandern unbehelligt durch den Darm der Tiere, sodass die Blattnase mit ihrem Kot zwischen 350 und 2500 Pfeffersamen pro Nacht verbreitet. Auch eine Reihe anderer Früchte und Insekten stehen auf ihrem Speiseplan, und neben Samen verbreitet die Brillenblattnase auch Pollen.

Ultraschall: für Kommunikation und Echoortung

Brillenblattnasen sind sehr soziale Tiere und verbringen die Tage in Gruppen von 10 bis 100 Tieren in Baumhöhlen oder Felsgrotten. Sie verständigen sich untereinander mit speziellen Lauten, was in der Kolonie eine recht ordentliche Geräuschkulisse ergeben muss – ähnlich dem Stimmgewirr auf einer lebhaften Party. Menschen können davon freilich kaum etwas hören, denn die Kommunikationslaute werden überwiegend im für den Menschen unhörbaren Ultraschall-Frequenzbereich erzeugt. Und auch wenn die Brillenblattnasen nachts ausschwärmen zur Futtersuche, reißt die Kommunikation mit den Artgenossen nicht ab.

Ihre Stimme hat für die Tiere jedoch noch eine weitere, sehr wichtige Funktion: die Echoortung, die ihnen Orientierung gibt und bei der Suche nach Früchten hilft. Für ihre berühmte Ultraschall-Navigation wechseln die Fledermäuse allerdings in einen noch etwas höheren Frequenzbereich. Die permanent ausgestoßenen Rufe werden von allen Oberflächen reflektiert und mit den großen Ohren aufgefangen, sodass sie sich in traumwandlerischer Sicherheit selbst im Stockfinstern zurechtfinden.

Insgesamt verfügt die Brillenblattnase dabei über eine stimmliche Bandbreite, wie sie sonst nur Singvögel und Menschen haben. Die Lauterzeugung der Fledermaus ähnelt der beim Menschen: Die ausgeatmete Luft versetzt Schleimhautfalten im Kehlkopf, die Stimmlippen, in Schwingung. Moduliert durch Stimmbänder und Kehlkopfmuskeln entstehen dabei unterschiedliche Töne.

Wie aber filtern die Brillenblattnasen aus dieser permanenten Geräuschkulisse Laute heraus, die für die Kommunikation untereinander wichtig sind – etwa, wenn Artgenossen vor einer jagenden Schleiereule warnen oder wenn sich ihre Fledermausbabys im Durcheinander der Kolonie mit charakteristischen Isolationsrufen melden? Oder wenn eine Pfefferfrucht ein etwas anderes Signal als die Blätter und Äste des Waldes reflektiert? Diesen Fragen gehen der Biologie-Doktorand Johannes Wetekam und seine wissenschaftlichen Kolleginnen und Kollegen in der Abteilung Neurobiologie und Biosensorik (Prof. Manfred Kössl) am Institut für Zellbiologie und Neurowissenschaften nach.

Dazu schieben die Forschenden den Fledermäusen Elektroden – haarfein wie Akupunkturnadeln – unter die Kopfhaut, um ihre Hirnströme aufzuzeichnen. Währenddessen schlummern die Fledermäuse in Narkose, denn diese Messmethode ist so empfindlich, dass schon kleinste Kopfbewegungen der Fledermaus die Messergebnisse stören würden. Trotz des Narkoseschlafs reagiert das Fledermausgehirn auf Geräusche.

Dann spielt Johannes Wetekam den Fledermäusen Abfolgen zweier Töne unterschiedlicher Tonhöhen vor, wie sie entweder Echoortungsrufen oder Kommunikationsrufen entsprechen. Zunächst wird eine Sequenz abgespielt, in der Ton 1 sehr viel häufiger als Ton 2 vorkommt, zum Beispiel „1-1-1-1-2-1-1-1-2-1-1-1-1-1-1 …“. In der nächsten Sequenz ist es umgekehrt, und Ton 1 kommt selten und Ton 2 häufig vor. Dadurch wollten die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler feststellen, ob die neuronale Verarbeitung eines gegebenen Tons von seiner Auftrittswahrscheinlichkeit abhängt und nicht etwa von seiner Tonhöhe.

„In der Tat zeigen unsere Untersuchungsergebnisse, dass ein seltener und damit unerwarteter Ton zu einer stärkeren neuronalen Antwort führt als ein häufiger Ton“, erklärt Wetekam. Dabei reguliert das Fledermausgehirn die Stärke der neuronalen Antwort auf häufige Echoortungslaute herunter und verstärkt die Antwort auf seltene Kommunikationslaute. Wetekam: „Dies zeigt, dass die Fledermäuse unerwartete Geräusche in Abhängigkeit von der Frequenz unterschiedlich verarbeiten, um adäquate Sinneseindrücke zu erhalten.“

Interessant dabei ist, sagt Wetekam, dass die Verarbeitung der Signale offenbar bereits im Stammhirn erfolgt. Das Stammhirn ist für die Steuerung wesentlicher Lebensfunktionen zuständig wie zum Beispiel Atmung, Herzfrequenz oder verschiedene Reflexe. Bisher ging die Wissenschaft davon aus, dass das Stammhirn Hörsignale lediglich annimmt und in höhere Hirnregionen weiterleitet, wo die Signale miteinander verrechnet werden. „Unsere Daten“, so Wetekam, „deuten stark darauf hin, dass schon das Stammhirn zu abstrakten Rechnungen fähig ist – das hat uns überrascht. Wahrscheinlich erspart es dem Gehirn als Ganzem Energie, und es ermöglicht eine sehr schnelle Reaktion.“

Forschungsergebnisse auch mit medizinischer Relevanz

Schnelle Reaktionen, das leuchtet sofort ein, sind in der Hörwelt der Fledermäuse essenziell. Doch die Erkundung, wie sich Fledermäuse in ihrer faszinierenden Welt aus Tönen zurechtfinden, hat durch die vielfältigen Ähnlichkeiten von Lauterzeugung und Hören zum Menschen auch noch eine medizinische Relevanz: Seit mehr als 50 Jahren dienen Fledermäuse als Tiermodell zur Untersuchung, wie das menschliche Gehirn Hörreize verarbeitet und wie sich die menschliche Sprache entwickelt. Wetekam: „Wir kennen alle den Party-Effekt: Wir können die Unterhaltungen der Menschen in unserer Umgebung ausblenden, um uns ganz auf unseren Gesprächspartner zu konzentrieren. Hier liegen ähnliche Mechanismen wie bei der Fledermaus zugrunde. Wenn wir besser verstehen, wie Fledermäuse hören, könnte uns das in Zukunft helfen nachzuvollziehen, was bei Krankheiten wie zum Beispiel der ADHS (Aufmerksamkeitsdefizit-Hyperaktivitäts-Störung) geschieht, bei der Umweltreize nicht mehr angemessen verarbeitet werden können.“

Publikation: Johannes Wetekam, Julio Hechavarría, Luciana López-Jury, Manfred Kössl: Correlates of deviance detection in auditory brainstem responses of bats. Eur. J. Neurosci 2021, Nov 11 https://onlinelibrary.wiley.com/doi/10.1111/ejn.15527

Dieser Beitrag ist in der Ausgabe 1/2022 (PDF) des UniReport erschienen. 

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