Learning Analytics: Auf dem Weg zu einer datenbasierten Feedback-Kultur

Die weltweit wichtigste Konferenz zu Learning Analytics findet im März an der Goethe-Universität statt. Prof. Hendrik Drachsler, einer der verantwortlichen Organisatoren, erläutert Design, Potenziale und Grenzen des recht jungen Forschungsfeldes der Bildungswissenschaft.

Damit hätte keiner gerechnet: Die nächste Konferenz der Learning Analytics Community wird in Frankfurt an der Goethe-Universität stattfinden. Bei der Bewerbung konkurrierte Deutschland unter anderem mit Japan, einem sehr medienaffinen Land, wie Hendrik Drachsler, Professor für Informatik mit dem Schwerpunkt Educational Technologies am DIPF | Leibniz-Institut für Bildungsforschung und Bildungsinformation und an der Goethe-Universität, betont.

„Wir waren daher schon sehr überrascht, dass wir uns durchsetzen konnten, aber freuen uns natürlich auch, eine solch international besetzte Veranstaltung, auf der zudem das zehnjährige Bestehen der LAK gefeiert wird, in Frankfurt durchführen zu können. Wir erwarten ungefähr 600 Teilnehmende aus allen Erdteilen.“

Interdisziplinarität

In Deutschland mag das Forschungsfeld der Learning Analytics (LA) noch nicht überall bekannt sein. Es beschreibt das technikgestützte Messen und Auswerten von Daten aus Lernprozessen, um das Lernen zu unterstützen und zu optimieren. Hendrik Drachsler gefällt die Interdisziplinarität dieses Teilbereichs der Bildungswissenschaft, an dem Informatiker, Psychologen und Pädagogen gemeinsam arbeiten.

Drachsler bewegt sich selber gewandt zwischen verschiedenen Disziplinen; so hat er zuerst Informatik studiert und dann noch zusätzlich in Mediendidaktik bei Prof. Michael Kerres an der Universität Duisburg-Essen einen Abschluss gemacht. Promoviert hat er in den Niederlanden – „dort sind die Grenzen zwischen den Fachdisziplinen nicht so ausgeprägt wie in Deutschland“, erklärt er. Was zeichnet nun aber die Learning Analytics aus, welche Daten werden erhoben und ausgewertet?

Es geht um Logdaten – Daten, die bei mediengestützten Bildungsprozessen automatisch mitgeschrieben werden. Anhand dieser Daten lassen sich Einblicke gewinnen, die für Lehrende, Lernende oder auch Manager interessant sind. Während man früher schriftliche oder mündliche Befragungen der Teilnehmenden eines Seminars durchführen musste, hat man es bei digital basierten Seminaren mit 100 Prozent der Population zu tun. Drachsler bringt zur Erläuterung ein Beispiel aus einer Vorlesung:

LAK 20
Thema der zehnten Ausgabe der LAK ist „Shaping the future of the field“. Die Konferenz ist eine Veranstaltung der weltweit vernetzten Society for Learning Analytics Research (SoLAR); Ausrichter der LAK 20 sind das DIPF | Leibniz-Institut für Bildungsforschung und Bildungsinformation, die Goethe-Universität Frankfurt und die TU Darmstadt. Mitgliedern der Goethe-Universität können reduzierte Tagestickets angeboten werden. Ein Workshop, der von der Jacobs Foundation unterstützt wird, wendet sich speziell an Lehrkräfte und Schulleitungen, die auch ohne Erfahrung mit dem Thema teilnehmen können.

23. bis 27. März 2020, Campus Westend, Goethe-Universität.
Veranstaltungssprache: Englisch.
Weitere Informationen und Anmeldung: https://lak20.solaresearch.org
Kontakt: info@lak20.solaresearch.org

Bei einer Einführung in die Programmierung, an der ca. 800 Studierende teilnehmen, lassen sich über die erfassten Daten in einer Grafik verschiedene Aktivitäten der Teilnehmenden darstellen: Erfasst wird beispielsweise über einen Zeitstempel, wann und mit welcher Abweichung die Hausaufgaben eingereicht wurden.

„Wenn der Dozierende nun in Bezug auf eine ganze Population signifikante Abweichungen vom Curriculum erkennen kann, dann sind das wichtige Informationen, um Anpassungen vorzunehmen“, sagt Hendrik Drachsler; ebenso können die Ergebnisse auch aufschlussreich für Studierende sein, wenn z. B. die im Kurs erreichten Punkte in Relation zu den Ergebnissen früherer Kohorten gestellt werden. Auch für Gruppenarbeiten bietet die LA große Potenziale, können die Logdaten doch aufzeigen, wie produktiv oder innovativ sich ein Teilnehmender einbringt.

Neben der Erfassung schriftlicher Kommunikation in einer Lernumgebung können auch Gespräche im Seminar über eine Software verschriftlicht werden. Im Unterschied zum Forschungsansatz der Large-Scale-Assessment-Community, bei dem Psychologen psychometrische Tests für Studien wie PISA erarbeiten, geht es bei Learning Analytics nicht um ein Assessment, sondern um eine Verbesserung der Lernkultur durch Feedback. Allerdings, das sieht Drachsler, werden sich Assessment-Forschung und Learning Analytics künftig aufeinander zubewegen, um gemeinsam Stärken und Schwächen auszuloten.

Datenschutz

Ein wichtiger Punkt ist der behutsame Umgang mit individuellen Daten. „Wir gehen bei Learning Analytics, so wie wir es in Europa verstehen, auf deutlichen Abstand zum Prinzip Big Brother. Uns geht es um eine Verbesserung der Kultur des Lehrens und Lernens. Was wir auf keinen Fall wollen, ist eine Überwachung.“

Ohnehin arbeitet Drachsler mit seinem Team nur im Hochschulkontext, weil dort die Lernenden selber entscheiden können, ob und welche Daten sie freigeben. Er konzediert, dass sich kulturelle und gesellschaftliche Unterschiede bei der Anwendung von LA ergeben; so habe man in asiatischen Ländern weniger Bedenken, sich über eine Anonymisierung von Daten hinwegzusetzen. Unterschiede bestünden aber auch zwischen Deutschland und den Niederlanden. Drachsler beschreibt den Gegensatz folgendermaßen:

„In Deutschland ist alles verboten, das nicht explizit erlaubt ist; in den Niederlanden hingegen ist alles erlaubt, das nicht explizit verboten ist.“ In Entstehung befindet sich gerade ein Code of Conduct, in dem sich Vertreterinnen und Vertreter der LA zu zentralen Werten und Prinzipien selbst verpflichten. Ausgeschlossen werden dabei Formen der Überwachung, aber auch einer kommerziellen Nutzung. Sieht Drachsler beim Umgang mit Daten einen generationsspezifischen Unterschied?

Gut vorbereitet auf die LAK 20: Hendrik Drachsler (l.) und sein Team.

„Das kann ich aus meinen Erfahrungen eigentlich nicht direkt bestätigen. So überlegen sich unsere Studierenden sehr genau, welche Daten sie für unsere Forschung freigeben. Während sie bei den Daten, die in der Lernumgebung entstehen, relativ offen sind, möchten die meisten Studierenden nicht, dass wir über die App Zugriff auf ihre Handys erhalten.“

Man könne vielleicht insgesamt feststellen, dass Ältere digitalen Technologien mit einer gewissen Skepsis begegnen, Jüngere hingegen wesentlich selektiver agierten und auch nach dem Mehrwert der Datenfreigabe fragen. Auch wenn Drachsler sich nicht in der Rolle sieht, Learning Analytics „missionarisch“ in die Breite zu tragen, würde er sich schon freuen, wenn die Kritik an neuen Ansätzen in der Bildungsforschung nicht immer in eine Fortschrittsfeindlichkeit münden würde.

Er hat sich in seiner Doktorarbeit mit Empfehlungssystemen in der Bildung beschäftigt; vom Prinzip ließe sich das als „Amazon in der Bildung“ umschreiben, so Drachsler. Dabei geht es aber nicht um Konsumempfehlungen, sondern darum, zu erfassen, welche Lernertypen mit welchen Medien und Methoden besonders gut klarkommen. „Diese Informationen lassen wir im Augenblick leider noch brachliegen; es dominiert immer noch das Prinzip, dass der Lehrende allen Studierenden die gleichen Medien und Lernformen vorgibt. Angesichts der seit vielen Jahren hohen Studierendenzahlen ist dieser Verzicht auf Skalierbarkeit nicht nachzuvollziehen.“

Europäischer Weg der Learning Analytics

Drachsler hofft, dass durch die Ausrichtung der zehnten LAK den internationalen Kolleginnen und Kollegen vermittelt werden kann, wo Deutschland und Europa im Bereich der Learning Analytics stehen. Bei den zur Konferenz eingereichten Papers konnte man die höchste Einreichquote erzielen, berichtet er nicht ohne Stolz; in jedem Beitrag soll ein Gedankenspiel enthalten sein:

Wie wird der jeweilige Forschungsansatz in zehn Jahren aussehen? Drachsler setzt darauf, dass die Europäer im Diskurs mit ihren internationalen Kollegen ihre ethischen Maßstäbe stark machen können. Die Menschen, davon ist der Bildungsforscher überzeugt, müssen bei der Nutzung von Learning Analytics mit einbezogen werden – es gehe um ein „human centered design“.

Dieser Artikel ist in der Ausgabe 1.20 des UniReport erschienen.

Außerdem liegt die neue Ausgabe des UniReport an sechs Standorten in „Dispensern“ aus: Campus Westend – Gebäude PA, im Foyer / Treppenaufgang; Hörsaalzentrum, Ladenzeile; Gebäude PEG, Foyer; Gebäude RuW, Foyer; House of Finance, Foyer. Campus Riedberg – Gebäude N, Foyer vor Mensaeingang.

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