Welche Bedeutung hat der Rhythmus in der Dichtung? Diese Frage ist von der Literaturwissenschaft bislang nicht erschöpfend beantwortet. Prof. Achim Geisenhanslüke will dies ändern. Im Rahmen eines von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) geförderten Reinhart Koselleck-Projekts wird er an einer Poetik des Rhythmus arbeiten.
„Poetik des Rhythmus“ – so lautet der Titel des Projekts, das in diesen Tagen offiziell an den Start geht. Prof. Achim Geisenhanslüke, Professor für Allgemeine und Vergleichende Literaturwissenschaft an der Goethe-Universität, hat sich zum Ziel gesetzt, die von der Literaturwissenschaft noch nicht vollständig ausgeschöpften Möglichkeiten einer Poetik des Rhythmus systematisch wie historisch zu entfalten. Die Frage nach der grundsätzlichen Bedeutung des Rhythmus für die Theorie und Praxis der Dichtung (= Poetik) verbindet er mit der nach konkreten Erscheinungsformen dieses Phänomens in der Dichtung aus Moderne bis Gegenwart.
Im Zentrum der Untersuchung steht der Rhythmus in der Lyrik. Heißt der Rhythmus in Gedichten nicht einfach Metrum? Durchaus nicht, sagt Achim Geisenhanslüke. Zwar beschreibe auch der Rhythmus die „Form in Bewegung“ in der dichterischen Rede, sei aber wesentlich umfassender als der Begriff des Metrums. Gerade in Hinblick auf moderne Lyrik sei das Potenzial des Rhythmus-Begriffs noch wenig erforscht. Mit seinem Ansatz knüpft Geisenhanslüke vor allem an das Werk des französischen Lyrikers sowie Sprach- und Literaturwissenschaftlers Henri Meschonnic (1932-2009) an, der im Rahmen einer kritischen Auseinandersetzung mit strukturalistischen und poststrukturalistischen Literaturtheorien eine Aufwertung des Rhythmusbegriffs eingeleitet hat.
Das Projekt von Achim Geisenhanslüke wird sich dem Thema in drei Teilstudien nähern: In der ersten geht es um den Rhythmus in Gedichten von Friedrich Hölderlin, in einer weiteren erfolgt eine kritische Auseinandersetzung mit Foucaults Diskurs- und Meschonnics Rhythmustheorie. Die dritte Teilstudie schließlich widmet sich dem Rhythmus als „Form in Bewegung“ im modernen Gedicht bis zur Gegenwart, von Annette von Droste-Hülshoff und Charles Baudelaire bis zu Thomas Kling.
Den notwendigen Freiraum, um sich all diesen Aspekten widmen zu können, verschafft die finanzielle Förderung durch die DFG. 750.000 Euro werden auf fünf Jahre verteilt in das Projekt fließen, bei einer flexiblen Verteilung für Vertretungen, Stellenbesetzungen, Hilfskräfte, Workshops und Tagungen.
Die seit 2008 vergebene Förderlinie ist nach Reinhart Koselleck (1923-2006) benannt, einem der bedeutendsten deutschen Historiker des 20. Jahrhunderts, der als Mitbegründer der modernen Sozialgeschichte gilt. Reinhart Koselleck-Projekte werden an „durch besondere wissenschaftliche Leistung ausgewiesene Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler“ vergeben. Voraussetzung für eine Bewilligung sind besonders innovative Denkansätze sowie eine gewisse Risikobehaftung. Im Falle des Projekts von Achim Geisenhanslüke liegen die Risiken im Versuch, im Rahmen eines komparatistischen Ansatzes mit dem Rhythmus einen für die Literaturwissenschaft ebenso zentralen wie unterschätzten Begriff zum Gegenstand zu nehmen, um auf diese Weise der Poetik einen neuen Impuls zu geben – wer nichts riskiert, der kann auch nichts gewinnen.