Resistente Erreger im Visier

Strategien gegen die Rückkehr gefährlicher Infektionskrankheiten

Resistente Krankheitserreger sind weltweit auf dem ­Vormarsch. Der Mikrobiologe Volkhard Kempf und seine Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter setzen ihre Hoffnung in eine neue Gruppe von Wirkstoffen. Deren Funk­tionsprinzip könnte es Mikro­organismen erschweren, gegen die Substanzen unempfindlich zu werden.

Der Roboterarm umklammert einen dünnen Draht, an dessen unterem Ende ein winziger Tropfen glitzert – ein mit Pufferflüssigkeit verdünnter Teil einer eitrigen Probe. In schnellen Zickzackbewegungen fährt er damit über den Nährboden am Grunde der Petrischale. Ein weiterer Arm ergreift die Schale und stellt sie für den Brutschrank bereit. Unterdessen ist der Roboter schon mit der nächsten Probe beschäftigt.

Das Infektionslabor am Frankfurter Universitätsklinikum ist eines der größten seiner Art in Deutschland. Mehr als 170 000 Proben werden hier Jahr für Jahr auf die Anwesenheit von Mikroorganismen untersucht – Blut, Speichel, Ausscheidungen, Abstriche. Zentrale Arbeitsschritte wie die Anzucht der enthaltenen Bakterien auf Kulturplatten erfolgen automatisiert. Anders ließe sich die große Zahl von Analysen kaum bewältigen.

Immer häufiger stoßen die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter bei ihrer Arbeit auf Keime, die sich nur noch schwer mit Antibiotika bekämpfen lassen. Inzwischen ist jede hundertste Probe davon betroffen. »Früher waren das meist sogenannte Methicillin-resistente Staphylococcus-­aureus-Erreger, abgekürzt MRSA«, erklärt Volkhard Kempf. Der Mediziner leitet das Institut für Medizinische Mikrobiologie und Krankenhaushygiene am Universitätsklinikum und ist damit auch für das mikrobiologische Infektionslabor zuständig.

Auch weniger gefährliche Keime betroffen

Trotz größtmöglicher Bemühungen können in Feldlazaretten – hier in Carrefour, Haiti, nach dem großen Erdbeben 2010 – nicht dieselben Hygienestandards eingehalten werden wie im OP. Kriege und Naturkatastrophen gehören daher zu den wichtigsten Risikofaktoren für die Verbreitung multiresistenter Keime. Foto: Stefan Trappe, Süddeutsche Zeitung Photo

MRSA in Krankenhäusern und Pflegeeinrichtungen bescherten Ärztinnen und Ärzten rund um den Globus lange Zeit Albträume. Denn ­derartige Staphylokokken überstehen nicht nur eine Behandlung mit Methicillin, Penicillin und verwandten Antibiotika. Meist sind sie auch gegen andere Gruppen dieser einst hochwirk­samen Arzneistoffe unempfindlich. Aufgrund dieser Multiresistenz sind MRSA-Infektionen schwer zu behandeln. Weltweit gehen Schätzungen zufolge jedes Jahr 100 000 Todesfälle auf ihr Konto.

»Allerdings war die Zahl an schweren In­fektionen mit MRSA in den letzten Jahren in Deutschland und auch bei uns rückläufig«, sagt Kempf. »Das liegt vor allem an den aufwändigen Hygienemaßnahmen, die viele Kliniken inzwischen ergriffen haben, um ihre Verbreitung einzudämmen.« Sorge bereitet ihm aber ein anderer Trend – die Zunahme von sogenannten gram­negativen Bakterien mit verminderter Antibiotikaempfindlichkeit. Zu dieser Gruppe zählen etwa die Darmbakterien Klebsiella pneumoniae und Escherichia coli oder die Keime Acinetobacter baumannii und Pseudomonas aeruginosa, die zum Beispiel Lungenentzündungen und Harnwegsinfekte auslösen können.

»Manche dieser Erreger sind inzwischen sogar hochresistent, sprechen also auf praktisch keines der verfügbaren Antibiotika an«, betont Kempf. »In solchen Fällen besteht die Gefahr, dass sich selbst harmlose Krankheiten wie eine Blasenentzündung zu einer sogenannten Sepsis auswachsen – einer überschießenden Abwehrreaktion des Körpers, die tödlich verlaufen kann.«

Kriege und Not sind Treiber

Bislang sind hochresistente gramnegative Bakterien hierzulande noch selten. »Wir finden sie aber regelmäßig bei Patientinnen und Patienten, die sich aus Gesundheitssystemen in Ländern, in denen diese Erreger häufiger vorkommen, zu uns zur Behandlung begeben«, erklärt der Mikrobiologe. »In letzter Zeit gibt es zudem vermehrt Anzeichen, dass die Erreger auch in Deutschland heimisch werden. Wir haben kürzlich zum Beispiel eine junge deutsche Patientin mit einem Harnwegsinfekt getestet. Obwohl sie nie auf einer Fernreise gewesen war, hatte sie sich – außerhalb eines Krankenhauses – eine Infektion mit einem solchen hochresistenten Keim zu­ gezogen.«

Noch ist das eine Ausnahme. Wenn die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Infektionslabors bei Menschen aus Deutschland ein solches Bakterium finden, waren die Betroffenen meist kurz zuvor auf einer Reise in exotischen Gefilden. Unter anderem der Medizintourismus ist ein wesentlicher Grund dafür, dass sich multi­resistente Keime weltweit immer stärker verbreiten. Denn manche Reisende, die sich aus irgendwelchen Gründen im Ausland behandeln lassen, schleppen sie bei ihrer Rückkehr unerkannt in ihre Heimat ein.

Ein weiterer wichtiger Faktor sind Konflikte: In Kriegslazaretten müssen die Ärztinnen und Ärzte Verwundete unter einfachsten Bedingungen versorgen. Entsprechend leicht haben es die Erreger sich auszubreiten. Hinzu kommen Trends wie die Alterung der Gesellschaft. Immer mehr Menschen leiden in den letzten Jahren ihres Lebens unter behandlungsbedürftigen Krankheiten, die zumindest phasenweise einen Aufenthalt in einer Klinik erforderlich machen. »Bei einer komplexen Operation lässt sich nicht immer ausschließen, dass man sich eine Infektion zuzieht«, sagt Kempf. Auch ganz alltägliche Maßnahmen wie ein Wechsel der Infusion oder des Harnwegs­katheters sind ein möglicher Ansteckungsweg, dem aber durch konsequente Hygiene begegnet werden kann.

Suche nach neuartigen Wirkstoffen

Auf solchen Kulturplatten wird im Institut für Medizinische Mikrobiologie und Krankenhaushygiene geprüft, ob Bakterien Resistenzen gegen Antibiotika zeigen. Foto: Universitätsklinikum Frankfurt

Gerade in Krankenhäusern treffen zudem häufig sehr viele verschiedene Bakterienarten aufeinander. Auch das kann die Verbreitung von Resistenzen befördern. Denn manche Mikro­organismen können ihre Resistenz-Gene an Bakterien einer ganz anderen Art weitergeben. Sie stecken sich also bildlich gesprochen gegenseitig mit ihrer Unempfindlichkeit an. All diese Faktoren tragen dazu bei, dass viele Krankheiten, die ihren Schrecken weitgehend verloren hatten, in Zukunft wieder deutlich gefährlicher werden dürften.

Rund um den Globus suchen Forschende daher nach neuen, wirksameren Arzneistoffen – auch Volkhard Kempf. Seine Arbeitsgruppe und er setzen dabei ihre Hoffnung in Substanzen, die auf einem völlig neuen Wirkprinzip beruhen. »Antibiotika wie Penicillin stören die Vermehrung von Bakterien«, sagt er: »Sie verhindern etwa, dass die Mikroorganismen nach ihrer Teilung eine stabile Zellwand bilden.« Die Erreger können diesen Mechanismus beispielsweise unterlaufen, indem sie die molekulare Maschinerie verändern, die für den Bau der Zellwand zuständig ist.

Diese Art der Resistenz ist für die Bakterien kaum mit Nachteilen verbunden: Die Zellwandsynthese verläuft bei ihnen dann eben etwas anders. Kempfs Arbeitsgruppe sucht dagegen nach Antibiotika, die sich zum Beispiel an Strukturen heften, die die Bakterien für die Infektion ihrer Zielzellen benötigen. Um dagegen unempfindlich zu werden, müssten die Mikroorganismen diese Pathogenitätsfaktoren ver­ändern. Damit würden sie aber gleichzeitig sozusagen ihr Geschäftsmodell gefährden: Denn eigentlich benötigen sie diese Faktoren ja, um uns krank zu machen.

Angriff auf das Geschäftsmodell der Erreger

Forschende sprechen auch von einer Antivirulenz-Strategie: Der Wirkstoff richtet sich gegen Mechanismen, die die Erreger für die Infektion zwingend brauchen. »Wir hoffen deshalb, dass Medikamente, die auf diesem Prinzip basieren, ihre Wirksamkeit deutlich länger behalten«, sagt Kempf. Seine Arbeitsgruppe arbeitet vor allem an sogenannten Adhäsinen. Das sind gewissermaßen Moleküle, mit denen sich Bakterien an ihre Opfer kleben. Diese Klebstoffe sind aber extrem spezifisch: Sie binden ausschließlich an die Zellen im menschlichen Körper, auf die der jeweilige Erreger spezialisiert ist.

»Wir haben bereits Wirkstoffe gegen bestimmte Adhäsine gefunden, die auf der Oberfläche vieler gramnegativer Bakterien vorhanden sind«, erklärt Kempf. Die Erreger binden über diese Strukturen an ein Oberflächenmolekül, das beispielsweise auf den Endothelzellen vorkommt, die die Blutgefäße auskleiden – das Fibronektin. »Mit einem Antikörper ist es uns gelungen, die Bindung der Bakterien an die Endothelzellen stark zu reduzieren.«

Noch sind Antibiotika – neben Impfungen – eine scharfe Waffe gegen bakterielle Infektionen. Doch ist sie in den letzten Jahrzehnten stumpfer geworden. Das ist auch unserem eigenen Verhalten zuzuschreiben. So wurden die Wirkstoffe gerade in den Industrienationen lange Zeit zu unbedacht verschrieben – also etwa auch bei viralen Infekten, die gar nicht auf Antibiotika ansprechen. Hinzu kommt, dass manche Patientinnen und Patienten sie nicht so lange wie vorgeschrieben einnehmen, sondern direkt nach Abklingen der Symptome absetzen. Einige der resistenteren Bakterien können dann überleben und sich dann umso schneller vermehren, da ihnen ihre nicht resistenten Artgenossen keine Konkurrenz mehr machen.

Fibel für sorgsamen Umgang mit Antibiotika

In den letzten Jahrzehnten hat sich der Umgang mit den antimikrobiellen Wirkstoffen allerdings verändert. Ärztinnen und Ärzte verschreiben sie nicht mehr so leichtfertig, wie es teilweise vor zwanzig oder dreißig Jahren der Fall war, und klären Erkrankte besser darüber auf, wann der Einsatz der Medikamente wirklich indiziert ist und wann nicht. Unterstützung erhalten sie dabei auch vom Frankfurter Universitätsklinikum: Das Institut für Medizinische Mikro­biologie und Krankenhaus­hygiene und die Abteilung Infektiologie der Medizinischen Klinik II geben seit einigen Jahren ein Nachschlagewerk heraus, das Hinweise zur Handhabung und Dosierung von Antibiotika bei unterschiedlichen Krankheiten gibt – die Frankfurter Infektionsfibel.

Doch eine verbesserte Verschreibungs­disziplin allein wird das Resistenzproblem nicht lösen. Bei der Suche nach neuen Medikamenten kommt den Universitätskliniken eine besondere Bedeutung zu. Denn die Entwicklung neuer Wirkstoffe ist zeitraubend und teuer; die Entwicklungskosten gehen in die Milliarden. »Gleichzeitig können Pharmafirmen mit ihnen aber nicht viel Geld verdienen«, sagt Kempf. »Die neuen Antibiotika sollen ja schließlich nur dann eingesetzt werden, wenn es gar nicht anders geht, um zu verhindern, dass die Erreger auch gegen sie Resistenzen entwickeln.« Für die Industrie besteht also ein hohes Risiko, dass ihre Entwicklungsarbeit sich am Ende nicht auszahlt.

Universitäre Forschungseinrichtungen können es sich dagegen noch am ehesten leisten, einen langen Atem zu haben. »Oft braucht man viele Jahre, um die Infektionsbiologie eines Bakteriums zu verstehen und eine ­Vorstellung davon zu bekommen, wie sie sich am besten stören lässt«, sagt Kempf. Er weiß, wovon er spricht: Bis zur Entwicklung des Adhäsin-Antikörpers hat es fast 20 Jahre gedauert.

Foto: Universitätsklinkum Frankfurt

Zur Person / Volkhard Kempf, Jahrgang 1969, ist seit 2009 als Professor am Universitätsklinikum Frankfurt tätig, wo er das Institut für Medizinische Mikrobiologie und Krankenhaushygiene leitet. Kempf hat in Würzburg und Oxford Medizin studiert und in Würzburg zum Doktor der Medizin promoviert. Er ist unter anderem Mitglied der Kommission für Krankenhaushygiene (KRINKO) des Bundesministeriums der Gesundheit am Robert Koch-Institut. Außerdem hat er den Vorsitz der Ständigen Arbeitsgemeinschaft »Konsiliar- und Referenzlaboratorien« der ­Deutschen Gesellschaft für Hygiene und Mikrobiologie inne. 
volkhard.kempf@ukffm.de

Foto: Anne Baron

Der Autor / Frank Luerweg, Jahrgang 1969, ist Diplom-Biologe. Er war stellvertretender Pressesprecher der Universität Bonn und arbeitet seit 13 Jahren als freiberuf­licher Wissenschaftsjournalist.

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