»Single-Kaninchen in der Großstadt«

Die Geschichte einer Pressemeldung. Fragen an die Biologin Madlen Ziege; Foto: Kriesten
Die Geschichte einer Pressemeldung. Fragen an die Biologin Madlen Ziege; Foto: Kriesten

Anfang Februar veröffentlichte die Pressestelle der Goethe-Universität die Meldung „In der Stadt bauen Kaninchen dichter: Große Bauten für die ländliche Großfamilie, kleine Bauten für das städtische Pärchen.“ Die Meldung beruhte auf einem Fachartikel der Arbeitsgruppe Ökologie und Evolution im Journal of Zoology. Rasend schnell verbreitete sich die Meldung in den Medien – wir haben Madlen Ziege, Doktorandin in der Arbeitsgruppe Ökologie und Evolution einmal danach befragt, wie die Forschung mit populären oder besser: popularisierten Meldungen umgeht.

Frau Ziege, die Parallelität von Großstadt-Kaninchen und Großstadt-Menschen – war das für Ihre eigene Arbeit in irgendeiner Weise erkenntnisleitend? Oder haben die Medien das Bild vom Single-Kaninchen überhaupt erst geprägt?

Das Bild vom „Single-Kaninchen“ haben die Medien kreiert – wir haben dieses Bild nicht verwendet. Uns war wichtig zu zeigen, wie sich Kaninchen- und Bautendichten entlang eines ländlich-städtischen Gradienten ändern. Dabei haben wir dann beobachtet, dass sich auch die Struktur der Bauten verändert bzw. die Anzahl der darin lebenden Kaninchen. Wir können auch noch gar nicht mit Sicherheit sagen, ob die Kaninchen wirklich vom Land in die Stadt gewandert sind. Vielleicht sind die Populationen in der Stadt weniger starken Schwankungen unterworfen, weil hier mehr Futter zur Verfügung steht und weniger natürliche Feinde lauern.

Wie sind Sie auf das Thema gekommen?

Stadtökologie ist ein noch recht junger Forschungsbereich, da gibt es noch viel zu entdecken und zu erforschen. Auch wegen zunehmender Mensch-Wildtier-Konflikte. Gemeinsam mit dem Betreuer meiner Doktorarbeit, Prof. Martin Plath, bin ich auf der Suche nach einem Thema darauf gestoßen, dass in Frankfurt recht viele Wildkaninchen leben. Zusätzlich stellte sich nach Gesprächen mit Jägern heraus, dass es im Umland Frankfurts mittlerweile weniger Kaninchen gibt.

Frankfurt ist ja eine sehr spezielle Stadt: eine kleine Weltstadt mit relativ geringer Ausdehnung. Könnte denn die Kaninchen-Population sowas wie der Seismograph einer Stadt sein?

Die Stadtentwicklung hat in den letzten Jahren eine bestimmte Richtung genommen: Die verstärkte Anlage von Parks und Grünanlagen soll zu einer ‚Entstressung‘ von Großstädten beitragen. Frankfurt ist heute eine sehr grüne Stadt, was natürlich einen positiven Effekt auf Flora und Fauna hat. Das Vorkommen von vielen Wildkaninchen, Füchsen oder Wildschweinen in deutschen Städten wie Frankfurt oder Berlin ist also ganz allgemein gesprochen ein Indikator dafür, dass Städte durchaus einen geeigneten Lebensraum für Wildtiere darstellen.

Eine Betonwüste würde den Kaninchen nicht so behagen.

Genau. Unsere Ausgangshypothese war aber, dass es in der Stadt insgesamt weniger Bauten als auf dem Land gibt, aber an den wenigen geeigneten Stellen dann auf engem Raum große Populationen anzutreffen sind. Aber es war gerade umgekehrt: Die Bauten waren gleichmäßig über die Stadt verteilt, während es auf dem Land an bestimmten Stellen zu „Klumpen“ kam. Also insgesamt ein deutlicher Hinweis darauf, dass die Wildkaninchen Frankfurts Stadtlandschaft wohl mögen.

Wenn die Lebensbedingungen für Wildkaninchen so gut sind in der Stadt: Könnte man schon von einer Plage sprechen?

Die Tiere können gerade in kalten Wintern für Verbiss an Pflanzen sorgen; auch die Kaninchenbauten können Schäden an Gebäuden nach sich ziehen. Dementsprechend werden auch regelmäßig Jäger angeheuert, um die Populationen zu dezimieren. Als Biologin würde ich aber sagen, dass man da einen Mittelweg finden muss. Die Natur komplett aus der Stadt zu verbannen halte ich für falsch. Es hat ja auch positive Seiten: So kommen Großstädter in Kontakt mit Wildtieren.

Werden Sie weiter zum Thema Wildkaninchen in Großstädten forschen?

Die Feldarbeit, die im Rahmen meiner Doktorarbeit stattgefunden hat, ist jetzt abgeschlossen. Nun bin ich gerade dabei, die Da ten zu analysieren und zusammenzufassen; Die Doktorarbeit werde ich hoffentlich dieses Jahr abgeben können. Eine Weiterführung ist im Augenblick noch nicht geplant.

Muss man sich als Wissenschaftlerin für solche populären Meldungen bisweilen in der Fachcommunity rechtfertigen?

Ich habe bisher noch keine negativen Reaktionen erhalten; insgesamt war die Resonanz sehr gut, auch von internationalen Kollegen. Ich kann ja auch nichts dafür, was als Ergebnis meiner Arbeit herausgekommen ist (lacht).

Sie haben aber, entnehme ich Ihren Worten, selber nichts gegen eine Popularisierung Ihrer Forschungsergebnisse, so wie es gerade in den Medien stattgefunden hat.

Nein, überhaupt nicht. Denn dadurch wird die grundsätzliche Beschäftigung mit Wildtieren in der Stadt in die Öffentlichkeit getragen. Der Mensch kann und sollte sich nie ganz von der Natur abschotten, vielmehr mit offenen Augen durch die Stadt gehen und schauen, was sich dort mittlerweile alles findet. Das Verhältnis von Natur und Zivilisation scheint sich gerade etwas zu verschieben. Die offenen Agrarlandschaften auf dem Land sind nicht nur für das Wildkaninchen nicht mehr so günstig; auch das Rebhuhn oder der Hase finden dort immer seltener geeignete Lebensräume. [Die Fragen stellte Dirk Frank]

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