Wie das Klima früher war: Eisforscher des Alfred-Wegener-Instituts erhält Professur an der Goethe-Universität

Glaziologe und ERC-Preisträger Pascal Bohleber verstärkt Frankfurter Schwerpunkt Paläo-Klimaforschung – gemeinsame Projekte von Goethe-Universität und AWI zur Analyse von Eisbohrkernen geplant

Die dicken Eispanzer in den polaren Gebieten der Erde haben Spuren der Klimaveränderungen über Millionen von Jahren gespeichert und sind daher ausgezeichnete Klimaarchive. Der Glaziologe Pascal Bohleber vom Alfred-Wegener-Institut untersucht Eisbohrkerne aus der Antarktis auf solche Spuren, um die Ursachen für die Klimawechsel der Erdgeschichte zu ergründen, und entwickelt neue Analysetechniken dafür. In diesem Forschungsfeld wird er künftig als Kooperations-Professor eng mit der Goethe-Universität zusammenarbeiten, wo Klimaveränderungen der Vergangenheit mit einem wissenschaftlich-methodisch komplementären Schwerpunkt analysiert werden.

Pascal Bohleber

Der menschengemachte Klimawandel unserer Zeit geht mit einer Geschwindigkeit vonstatten, die die Erdgeschichte bislang selten kennt. Wechsel von Warm- und Eiszeiten hat es jedoch seit der Entstehung unseres Planeten schon sehr viele gegeben. Seit ca. 2 Millionen Jahren leben wir in einer kühleren Phase, einem Eiszeitalter, in dem beide Pole mit Eiskappen bedeckt sind. Doch auch hier gibt es regelmäßig globale Temperaturschwankungen, die in Änderungen unserer Umlaufbahn um die Sonne begründet sind. Bis vor ungefähr einer Million Jahre führten diese Schwankungen alle 41.000 Jahre zu einer Eiszeit, in denen die Pole mit einer – verhältnismäßig dünnen – Eisschicht bedeckt waren, die während der wärmeren Zwischeneiszeit zumindest in der Arktis weitgehend wegtauten.

Das änderte sich drastisch vor etwa einer Million Jahre: Der Wechsel von Kalt- und Zwischeneiszeit verlängerte seinen Rhythmus auf 120.000 Jahre, und es wurde insgesamt kälter. Auch in den wärmeren Zwischeneiszeiten blieb der Eispanzer in der nördlichen Polregion bestehen. Da sich die Taumelbewegung der Erde um die Sonne nicht veränderte, sind die genauen Ursachen für diesen sogenannten Mittel-Pleistozän-Übergang (Mid-Pleistocene Transition, MPT) noch unklar.

Aus dem “ewigen” Eis der Antarktis gewinnen Forschende des Projekts „Beyond EPICA – Oldest Ice“ Eisbohrkerne, die Spuren des Klimas hunderttausender Jahre bewahrt haben. Panichi©PNRA/IPEV

Pascal Bohleber will durch die Untersuchung von extrem altem Eis aus der Antarktis herausfinden, wie die Atmosphäre vor einer Million Jahre und mehr zusammengesetzt war. Im großen europäischen Konsortiumprojekt „Beyond EPICA – Oldest Ice“ arbeitet er mit Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern an der erstmaligen Gewinnung und Analyse eines Eisbohrkerns, der ein kontinuierliches Klimaarchiv der letzten 1,5 Millionen Jahre enthalten soll. Hierfür wird gegenwärtig an einer sorgfältig ausgewählten Stelle in der Zentralantarktis bis zum Grundgestein gebohrt. Das „älteste Eis“ wird für 2025 in den europäischen Labors erwartet. Bohleber hat am AWI eine Messapparatur installiert, mit deren Hilfe er vor allem winzige Verunreinigungen im Eis analysieren kann, die Auskunft über die Beschaffenheit der Atmosphäre während des Mittelpleistozän-Übergangs geben können. Die Apparatur kombiniert einen Laser, der hauchfeine Eisschichten abträgt, mit einem Massenspektrometer und wird als bildgebendes Verfahren zur hochauflösenden Untersuchung von chemischen Verunreinigungen in 2D eingesetzt. Zur Entschlüsselung der im tiefen Eis gespeicherten chemischen Klimasignale soll zusätzlich künstliche Intelligenz zum Einsatz kommen. „Wir hoffen, dass wir so beitragen können das MPT-Geheimnis zu lüften“, meint Bohleber. „Das Wissen darüber, was die Veränderungen im Klimasystem damals ausgelöst hat, wird einen wichtigen Beitrag zum Verständnis des Klimawandels unserer Tage leisten“, ist der Glaziologe überzeugt.

Sein Gegenpart in Frankfurt ist Wolfgang Müller, Professor für Geologie und Paläoumweltforschung an der Goethe-Universität. Auch er ist unter anderem auf die Analyse winziger chemischer Spuren in Eisbohrkernen spezialisiert, die er mit einem weltweit einzigartigen, speziell für die Goethe-Universität gebauten Gerät (einem sogenannten Cryo-Laser-Ablationssystem mit dualer Wellenlänge, kombiniert mit einem Plasma-Massenspektrometer) detektierten kann. Unter anderem lassen sich damit die Veränderungen des atmosphärischen Staubs während klimatischer Kalt-Warm-Übergänge messen, während die Menge und Beschaffenheit von Schwefelverbindungen etwas über Vulkanausbrüche in der Vergangenheit verrät. Diese Arbeiten ergänzen die Forschungen im von ihm geleiteten LOEWE-Schwerpunkt „Vergangene Warmzeiten als natürliche Analoge unserer „hoch-CO2“-Klimazukunft (kurz VeWA), der hauptsächlich in Fossilien mit ähnlicher Laser-Messmethodik nach Spuren vergangener Klimawandel tiefer in der geologischen Vergangenheit sucht.

Wolfgang Müller freut sich sehr über die Berufung Bohlebers an die Goethe-Universität und hat diese aktiv stark unterstützt: „Die bisherige Zusammenarbeit mit dem AWI wird durch unseren neuen Kollegen Bohleber intensiviert, und auch das akademische Lehrangebot an der Goethe-Universität durch ihn in Richtung Glaziologie erweitert werden. Sein System der Laserablations-Massenspektrometrie arbeitet komplementär zur unserer Frankfurter Technologie, sodass wir uns wissenschaftlich ergänzen und technisch in dieser neuen Technologie voneinander und miteinander lernen können. Zudem werden die Eisanalysen die Modelle und Erkenntnisse von VeWA vervollständigen. So werden wir dazu beitragen, durch ein besseres Bild der damaligen Welt heutige Klimamodelle weiterzuentwickeln und präzisere Klimavorhersagen treffen zu können.“

Pascal Bohleber, Jahrgang 1981, promovierte in Physik an der Universität Heidelberg und arbeitete mehrere Jahre dort in der Forschungsgruppe „Klima und Eis“. Anschließend wechselte er an das Institut für Interdisziplinäre Gebirgsforschung der Österreichischen Akademie der Wissenschaften in Innsbruck. Die zweimalige Auszeichnung durch Marie-Skłodowska-Curie-Stipendien der Europäischen Union (2019 und 2022) ermöglichten ihm, sich am Climate Change Institute der University of Maine (Orono, USA) sowie an der Ca‘ Foscari-Universität in Venedig, wo er zuletzt als habilitierter Assistant-Professor tätig war, auf die Analyse von Eisbohrkernen zu spezialisieren. 2023 warb er einen „Consolidator Grant“ des Europäischen Forschungsrats (ERC) ein, um am Europäischen Forschungsprojekt „Beyond EPICA – Oldest Ice“ teilzunehmen. Hier bohren Forschende in der Antarktis nach bis zu 1,5 Millionen Jahre altem Eis, um die Zusammensetzung der Atmosphäre in der Vergangenheit zu erkunden. Anfang 2024 wechselte Bohleber an das Alfred-Wegener-Institut in Bremen. Seit dem 1. Oktober forscht und lehrt er zusätzlich als Professor für Kryosphärenforschung an der Goethe-Universität.

Hintergrund:

Forschungsprojekt Beyond EPICA – Oldest Ice“ / https://www.beyondepica.eu/en

zum LOEWE-Schwerpunkt VeWA: LOEWE-Schwerpunkt „Vergangene Warmzeiten als natürliche Analoge unserer „hoch-CO2“-Klimazukunft“ (2019) / https://www.vewa-project.de

Als die Arktis tropisch war: Was wir aus vergangenen Warmzeiten lernen können (Forschung Frankfurt 2-2020)

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