Förderprojekt mit Studierenden unterstützt Kindergarten und Grundschulkinder beim Deutschlernen.
Entscheide leise für dich, ob du die Aufgabe gut geschafft hast. Wenn nicht, komm mit deinem Heft und einem Bleistift vor zur Tafel“ – Deutschlehrerin Eva Reinfelder spricht sehr langsam und deutlich. Sie will, dass alle Kinder sie auf Anhieb verstehen. Sechs Kinder kommen nach vorn und setzen sich im Kreis auf den Boden. Es geht um Silbentrennung und die wichtigsten Trennungsregeln. Valentina und Julieta klatschen aufmerksam mit, um die richtigen Trennstellen zu erkennen.
Doch um die Aufgabe im Heft zu lösen, brauchen sie noch Unterstützung. Dafür ist Angela Bilger da. Die Studentin der Romanistik, Pädagogik und Ethnologie nimmt teil am Projekt „Sprachentdecker! Alltagsintegrierte Sprachförderung in Kitas und Grundschulen“, das im Jahr 2016 gestartet ist und nun um weitere drei Jahre fortgesetzt werden kann. Die Idee: Kinder mit Nachholbedarf im Deutschen sollen nicht nur in speziellen Kursen gefördert werden, sondern in ihrem Alltag in Schule und Kindergarten.
Die Qualifizierung der Teilnehmerinnen – sowohl der Studierenden als auch der beteiligten Lehrerinnen und Kita-Fachkräfte – übernimmt Diemut Kucharz, Professorin für Erziehungswissenschaft an der Goethe-Universität, in Kooperation mit dem Amt für multikulturelle Angelegenheiten der Stadt. Das Projekt, das in den ersten drei Jahren von der BHF-Bank- Stiftung mit rund 100.000 Euro gefördert wurde, geht nun in eine neue Runde.
Denn der Bedarf ist groß. „Hier lest ihr sechs Regeln für die Silbentrennung, nun sollt ihr die Wörter zuordnen“, erklärt Angela Bilger den beiden Mädchen, die inzwischen an ihren Tisch im hinteren Teil des Klassenraumes zurückgekehrt sind. Welche Trennregel gilt für das Wort „Katze“? Und welche für „Unterricht“? Eifrig schreiben die beiden Zehnjährigen in ihr Heft, Angela Bilder hilft ihnen, die Zuordnung sprachlich zu begründen.
Valentina und Julieta sind Zwillinge. Ihre Mutter stammt aus Argentinien, die Mädchen sprechen zu Hause vor allem Spanisch. An der Liebfrauenschule besuchen sie eine bilinguale vierte Klasse. Angela Bilger ist zweimal in der Woche im Unterricht und unterstützt dort die Mädchen sprachlich. Dieses begleitende Unterstützen sei für die Kinder sehr positiv, sagt Deutschlehrerin Eva Reinfelder. Auch zusätzlicher Förderunterricht sei notwendig, aber die Integration einer Sprachförderkraft in den Unterricht gewährleiste, dass die Kinder am Unterrichtsfortgang teilnehmen könnten.
Das entlaste die jeweilige Lehrkraft, die sich bei mehr als 20 Kindern in einer Klasse nicht intensiv genug mit einzelnen Kindern befassen könne. Sie selbst habe durch die Kooperation auch fachlich profitiert: Durch die Fortbildung an der Universität habe sie manche sprachlichen Schwierigkeiten anders zu sehen gelernt. Außerdem habe das Projekt zu einer engeren Partnerschaft mit den Kindertagesstätten beigetragen, aus denen die ABC-Schützen kommen.
Zwei- und Mehrsprachigkeit bei Frankfurter Kindern
Die große Nachfrage von Kitas und Grundschulen zeigt: Das Projekt ist in der Mainmetropole genau richtig. 63 Prozent der Kinder zwischen fünf und sechs Jahren wachsen hier zwei- oder mehrsprachig auf – und zum Teil ohne Deutsch in der Familie. In 40 Prozent der Frankfurter Kitas liegt der Anteil der mehrsprachigen Kinder bei mehr als 80 Prozent. Aber auch viele Kinder mit Deutsch als Muttersprache haben sprachliche Defizite.
Vor diesem Hintergrund hatte die BHFBank- Stiftung die Initiative ergriffen, um Kinder so früh wie möglich in ihren deutschen Sprachkenntnissen zu fördern. Mit ihrem Anliegen kam die Stiftung direkt zu Prof. Diemut Kucharz, die an der Goethe-Universität am Institut für Pädagogik der Elementar- und Primarstufe lehrt. Sie hatte in Fellbach bereits Erfahrungen mit einem ähnlichen Projekt gesammelt.
Das Projekt wurde im Masterstudiengang Erziehungswissenschaften angedockt in Form eines Seminars, das den Studierenden Feldstudien ermöglicht – Befragungen der Lehrkräfte oder aber auch Sprachstandserhebungen bei den Kindern. Viele verwenden ihre Ergebnisse auch für die Masterarbeit, sagt die Pädagogik-Professorin. Im Seminar lernen die Teilnehmerinnen, wie man Sprachproben analysiert und die Kinder mit gezielten Maßnahmen fördert – Sprachfördertechniken, die dabei helfen, die Kinder zum Sprechen zu bringen und dabei korrektes Deutsch zu lernen.
Dazu gehören das „korrektive Feedback“ – das Wiederholen der kindlichen Äußerung in einer korrekten Version –, Modellierungstechniken wie das Aufgreifen und Erweitern einer Äußerung oder besonders stimulierende Fragetechniken. Dieselben Inhalte wie die Studierenden lernen auch die beteiligten Erzieherinnen und Lehrkräfte. Jeweils im Frühjahr treffen sich alle Beteiligten zum gegenseitigen Kennenlernen – so auch in diesem Jahr.
Studierende und Einrichtungen stellten sich vor, erste Allianzen wurden gebildet. So haben sich auch Eva Reinfelder und Angela Bilger kennengelernt und sind sich einig geworden. Seit Juni besucht Angela Bilger zweimal in der Woche die Liebfrauenschule. Das Projekt wurde in den ersten beiden Jahren evaluiert, der Erfolg sprach für sich:
„Bei den Kindern wurden deutliche Fortschritte in der sprachlichen Kompetenz im Deutschen dokumentiert“, sagt Kucharz. Waren zu Beginn nur Schulen im Frankfurter Westen beteiligt, weitet sich das Projekt in einer Art Schneeballsystem stetig aus. Die Kapazität auf Uniseite sei inzwischen ausgeschöpft, so Kucharz: Mehr als 25 Lehr- und Fachkräfte gleichzeitig könne man nicht betreuen. Obwohl der Aufwand groß sei, würde sie die „Sprachentdecker“ gern verstetigen:
„Als Pädagogin finde ich das einfach sehr sinnvoll.“ Damit das Geld, das die Stiftung bislang investiert habe, auch nachhaltige Wirkung habe, seien bereits Gespräche mit dem Kultus- und Sozialministerium geführt worden – bislang allerdings ohne sichere Zusagen. Valentina und Julieta freilich haben schon jetzt vom Projekt „Sprachentdecker“ profitiert.
Dieser Artikel ist in der Ausgabe 6.18 des UniReport erschienen. PDF-Download »