Der Ausgang der amerikanischen Präsidentschaftswahl hat viele überrascht, auch die professionellen Beobachter in den Wissenschaften. Wir haben uns in verschiedenen Disziplinen der Goethe-Universität umgehört und Stimmen zum Phänomen Trump eingesammelt.
Haben die Medien und die Politikwissenschaft Trump unterschätzt? Eigentlich nicht, aber am Ende doch. Die sorgfältigeren Prognosen lagen im Ganzen nicht weit vom Ergebnis entfernt. Die ‚Los Angeles Times‘ sah Trump sogar vorn und hat sich damit Spott eingehandelt. Alle informierten Analysen haben über die letzten Wochen einen Sieg von Trump nicht ausgeschlossen. Sie haben ihn überwiegend nur für weniger wahrscheinlich gehalten. Und das hat, neben Wunschdenken, auch mit den Umfragen zu tun, die oft methodische Schwächen hatten (zu kleine telefonische Zufallsstichproben, ‚spatial bias‘, u. a.) und zu wenig berücksichtigt haben, dass die Befragten oft nicht sagen, was sie wirklich vorhaben. Darüber hinaus hat man auch die kapitalen Fehler der Clinton-Kampagne verharmlost, die insgesamt viele Möglichkeiten verschenkt und am Ende nicht einmal das Wenige getan hat, was die zwei/drei Schlüsselstaaten, die am Ende gefehlt haben, hätte bei der Stange halten können. Und vor allem ist wohl vielen Beobachtern nicht klar gewesen, wie stark populistischer Protest werden kann, wenn drei Faktoren zusammenkommen: Globalisierung mit Verelendungsfolgen; elektronische soziale Medien, die die Leute enthemmen und leichter radikalisieren können; und die Wahrnehmung einer jahrelang schlechten Regierung bei hinreichend vielen Menschen.
Meine Ausgangsthese ist, dass es in den meisten Gesellschaften eine substanzielle Anzahl autoritaristischer Personen gibt. Das Konzept wurde von Erich Fromm als Ich-Schwäche beschrieben. Adorno und Kollegen haben das Phänomen im Zusammenhang mit ihren Analysen des Faschismus verwendet. Man versteht heute unter einer autoritaristischen Persönlichkeit jemanden, der nach dem „starken Mann“ ruft, sich Gesetzen und Regeln sehr stark unterordnet und Abweichler streng bestrafen will. In Handeln verwandelt die autoritäre Person ihre Überzeugungen besonders dann, wenn es viel Unsicherheit gibt. Diese Unsicherheit haben wir derzeit durch globale (Finanz-)Krisen, Terrorismus und andere Veränderungen mehr als je zu vor. Am 8. November hat sich Handeln als Wahl für einen vermeintlich starken Mann mit einfachen Botschaften geäußert.
Der unerwartete Wahlerfolg Donald Trumps stellt neben allen politischen Konsequenzen eine Reihe sichergeglaubter Grundannahmen in Frage. Die Verfahren der statistischen Wahlprognose haben ebenso versagt wie die algorithmischen Analysen von Big Data, auf die die Digital Humanities setzen. Doch auch die Intuition der allermeisten Beobachter, mich eingeschlossen, lag falsch. In diesen Tagen stellt sich weniger die Frage, wieso ein großer Teil der Bevölkerung Trump wählen konnte – vor allem jene, von denen man es nicht erwartet hätte. Mit Schuldzuweisungen wird man nicht weiterkommen. Aus medienwissenschaftlicher Sicht geht es vielmehr über ein neues Nachdenken über den öffentlichen Raum und die Technologien seiner Vermittlung. Vielleicht ist das Soziale, das die in diesem Wahlkampf so wichtigen Sozialen Medien hervorbringen, mit der klassischen Unterscheidung von Öffentlichem und Privatem nicht mehr zu erfassen. Wir stehen, in anderen Worten, nicht nur im Hinblick auf die US-Wahl, sondern auch auf Hate Speech bei Facebook oder auf Geheimdienst- Überwachung vor der Herausforderung, das Private – und damit unsere eigene Privatsphäre – als öffentlich zu verstehen. Wir bewegen uns in den Medien unseres Alltags nicht in isolierten, abgeschlossenen Räumen, sondern in Resonanzverstärkern. Wenn wir unsere Privatsphäre als auf neue Weise mit der Öffentlichkeit verschränkt begreifen, können wir jene Räume wieder zugänglich machen, die von Gewalt, Radikalität und Lügen besetzt wurden und in denen wir uns als politische Subjekte frei entfalten können sollten – und das vielleicht nicht nur online, sondern auch offline.
Nach dem Sieg von Donald Trump sind Befürchtungen zu hören, welche politischen Vorhaben und Ideale nun in Gefahr sind, da die ‚leading power’ sich abzuwenden droht: Das reicht von der Umwelt- über die Friedens- bis hin zur Weltwirtschaftspolitik. Sicher ist bislang nur wenig: Trump stellt seine Regierungsmannschaft zusammen und besetzt sie mit konservativen Hardlinern. Das ist, mit der Ausnahme der Berufung des Rechtsaußen Bannon, zu erwarten gewesen. Klar ist, dass konkrete politische Projekte wie das Weltklimaabkommen und Freihandelsabkommen von TTP bis TTIP abgelehnt werden. Gravierender aber sind die Auswirkungen der Wahl auf die amerikanische und indirekt auch auf die europäische Gesellschaft. Die Zunahme an fremdenfeindlichen Übergriffen in den USA ist alarmierend und es steht zu befürchten, dass Trump auch den Rechtspopulisten in Europa weiteren Aufschwung verschaffen wird. Die leading power hat auch in diesem – unangenehmen – Sinne eine soft power.
Viele Beobachter in Europa relativieren momentan die Ängste vor dem neuen Präsidenten, wohl aus psychologischen Gründen: Im Vorfeld galt eine Wahl Trumps als eigentlich undenkbarer Super- GAU. Doch am nächsten Morgen ging ganz normal die Sonne auf, Trump lobte Clinton, Obama lobte Trump. Daher der Eindruck: So schlimm wird es schon nicht werden. Auch wenn sich Trump nun etwas staatsmännischer gibt als im Wahlkampf, besteht allerdings kaum Anlass zur Entwarnung, insbesondere innenpolitisch. Seine Regierungsmannschaft, soweit sie bisher bekannt ist, lässt darauf schließen, dass Trump versuchen wird, seine Law-and-Order-Ankündigungen umzusetzen. Doch egal, wie genau seine Politik nun aussehen wird: klar ist, dass die demokratische Kultur der USA gelitten hat. Die Ablehnung demokratischer Institutionen ist in den Institutionen selbst angekommen, die Delegitimierung liberaler Errungenschaften – ob Rechtsstaatlichkeit, freie Presse, oder Normen wie Deliberation, Pluralismus und Toleranz – wird von höchster Stelle forciert. Hoffnung macht, dass in der demokratischen Gesellschaft Amerikas, wie schon Tocqueville betonte, nichts so stetig ist wie der Wunsch nach Wandel. Sollte Trump mit seinen vollmundigen Wachstumsversprechen scheitern, haben die Demokraten in vier Jahren die Chance, die freigesetzten populistischen Energien auf sich umzuleiten.“
Die ökonomischen Beziehungen zwischen Europa und den USA werden sich unter Donald Trump lockern. Er will Handelsabkommen aufweichen, um die Produktion im Inland zu stärken; in die Infrastruktur investieren, auch wenn den hochverschuldeten USA dafür das Geld fehlt; und den Finanzsektor deregulieren. Sorgen machen muss man sich beim letzten Punkt jedoch eher über die Reaktion der EU. Die Brüsseler Signale in der Finanzmarktregulierung stehen plötzlich auf Abschottung: Hürden für außereuropäische Institute, gelockerte Zügel nach innen. Doch während die USA ihren Bankensektor nach der Krise saniert haben, ist ein Großteil der europäischen Institute weiterhin marode. Fazit: Nicht nur der Handel mit den USA wird abnehmen, auch der Reformdruck von dort. Und das ist – zumal post-Brexit – brandgefährlich.
Der Wahlerfolg von Donald Trump ist in den europäischen Medien auf Unverständnis gestoßen. Doch hat man über der vielfach oberflächlichen Kritik den historischen Blick aus den Augen verloren. Trump erinnert an vorherige Präsidenten, die sich ebenfalls strikt an amerikanischen Interessen orientierten. Die Weltwirtschaft ist aus US-Sicht kein Wert an sich, sondern allenfalls ein hilfreiches Mittel. Franklin D. Roosevelt etwa, als Populist Trump noch deutlich überlegen, interessierte die Weltwirtschaft wenig; ihm ging es um das Schicksal der kleinen Leute, der Farmer und der Arbeitslosen in der Weltwirtschaftskrise. Er gab den Goldstandard zugunsten der nationalen Handlungsfähigkeit auf. ‚America First‘ ist keine Erfindung Trumps – im historischen Vergleich ist er eher der gewohnte Typus eines amerikanischen, vor allem binnenwirtschaftlich orientierten Präsidenten. Hier hat er wohl auch seine Wähler gefunden, die sich von den Globalisierungseliten der Ost- und Westküste im Stich gelassen fühlen. Für die Zukunft der Weltwirtschaft gibt es damit ein großes Fragezeichen, doch dürfte die Weltwirtschaft wie bei Roosevelt nicht Trumps erste Sorge sein, so lange es nur den USA gut geht.
Dieser Artikel ist in der Ausgabe 6.2016 des UniReport (PDF-Download) erschienen.